Chancen und Gefahren für Frauen in der Tourismusbranche
Wegen des enormen Einflusses der Tourismusindustrie, von der knapp 108 Millionen Jobs und somit 3,6 Prozent aller Arbeitsplätze direkt abhängen, hat die UN 2017 zum Internationalen Jahr des nachhaltigen Tourismus für Entwicklung erklärt. „Jedes Jahr reisen fast 1,2 Milliarden Menschen außerhalb ihres Landes. Tourismus ist zu einer transformativen Kraft geworden, die Millionen von Leben verbessern kann“, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres in seiner Ansprache zu Beginn des UN-Jahres. Besonders mit Blick auf die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs), die auch sonst einen neuen Fokus auf die Dimension Gender legen, komme dem Wirtschaftszweig eine entscheidende Rolle zu.
Empowerment von Frauen durch Tourismus
Schillernd, bunt und unbeschwert erzählt dementsprechend ein Video von „Travel. Enjoy. Respect“, der UN-Kampagne zum Internationalen Jahr, den Traum vom Reisen – einschließlich der Hoffnung auf (wirtschaftlichen) Wandel zum Besseren und einer durch Reisen vereinten Welt.
Globaler Tourismus hat tatsächlich seine guten Seiten. Die Branche kann der Schlüssel zu mehr Gendergerechtigkeit sein – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch auf sozialer und politischer Ebene. Frauen – bezogen auf ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe – arbeiten gerade deshalb so häufig in dem Sektor, weil Einstiegshürden niedrig und Arbeitszeiten flexibel sind. Das wiederum kann zu mehr finanziellem Spielraum und somit zu (wirtschaftlichem) Empowerment einschließlich eines einfacheren Zugangs zu Ressourcen und mehr Handlungsspielraum führen. Tourismus kann ein Türöffner aus der Armut sein und ist eine Möglichkeit für Frauen, am öffentlichen Leben teilzuhaben. Er kann ihre Stellung in der Gesellschaft aufwerten, ihr Selbstbewusstsein stärken und auch in den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung positiv wirken.
Wie nachhaltig und gendergerecht kann die riesige Tourismusindustrie sein?
Doch kitschig anmutende Bilder wie in dem Video von „Travel. Enjoy. Respect.“ blenden aus, dass Tourismus heute zunächst einmal eines ist: eine riesige Industrie. Die privatwirtschaftliche Organisation World Travel & Tourism Council (WTTC) schätzt das jährliche Wachstum auf circa zwei Prozent.
Die Nachfrage kommt vor allem aus dem Globalen Norden. Im Globalen Süden profitieren längst nicht alle Menschen vom Tourismus. Er vergrößert oft bestehende Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Ländern. Sogenannter „Ökotourismus“ sollte daher seit Ende der 1980er neben dem Schutz der Umwelt auch das Wohlergehen der lokalen Bevölkerung berücksichtigen. Die UN rief 2002 zum Internationalen Jahr des Ökotourismus aus. Ähnliche Ziele finden mittlerweile vor allem unter den Schlagworten „nachhaltiger“ und „sozialverträglicher Tourismus“ Beachtung. Tourismuskritische Organisationen bemängeln jedoch, dass derlei Label von der Industrie zu Leerformeln abgenutzt werden und die Dimension Gender oft vernachlässigt wird.
Prekäre Beschäftigung trifft vor allem Frauen
Dabei benachteiligt die Tourismusindustrie gerade solche Gruppen, die ohnehin Diskriminierung erfahren – sei es etwa aufgrund ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung, Klassenzugehörigkeit oder eben Geschlecht. Prekäre Beschäftigung und unzumutbare Arbeitsbedingungen betreffen beispielsweise Frauen eher als Männer. Gerade im Tourismus arbeiten Frauen vor allem in schlechten oder sogar unbezahlten, oft informellen Jobs mit geringerer Qualifikation. Das wiederum bedeutet, dass sie rechtlich bei Unfällen oder Krankheit nicht abgesichert sind. Häufig verrichten sie weniger angesehene und häufig saisonale Tätigkeiten. Oft landen sie in stereotyp „weiblichen“ Aufgabenbereichen hinter den Kulissen, sei es als Zimmermädchen oder Wäscherin, während Männer in höheren Positionen als Hotelmanager das Vielfache verdienen.
Doch auch bei gleicher Arbeit verdienen Frauen durchschnittlich fast ein Viertel weniger als männliche Kollegen. Tourismus kann also gesellschaftliche Ungleichheiten zementieren und bestehende geschlechtsspezifische Rollenmuster verstärken. Problematisch ist das auch dann, wenn es zu einer Mehrbelastung von Frauen führt. Diese müssen gesellschaftlich bedingt oft zusätzliche Pflichten im Haushalt schultern, weil sich die Aufgabenverteilung oder Infrastruktur etwa bei der Kinderbetreuung oft nicht verändern.
Umweltprobleme durch Tourismus belasten meist Frauen im Globalen Süden
Auch Umweltprobleme durch Tourismus belasten Frauen stärker als Männer. Besonders prägnant zeigt sich das am Beispiel des gewaltigen Wasserverbrauchs durch Tourismus. Je größer und luxuriöser die Hotels, desto schlimmer meist die Bilanz. Hotels in Sansibar verbrauchen beispielsweise bis zu 2.000 Liter Wasser pro Tourist oder Touristin am Tag. Bei einheimischen Haushalten sind es nur 30 Liter. Wasserknappheit und -verschmutzung sind die Folgen. Durch geschlechtsspezifische und sozial bedingte Arbeitsteilung sind es meistens Frauen, die sich um die Wasserversorgung kümmern und daher etwa weitere Wege zurücklegen müssen, wenn diese Ressource knapp wird.
Auch die schrecklichen Schattenseiten internationaler Tourismusströme, wie etwa Sextourismus, Prostitution und Menschenhandel, beuten vor allem Frauen aus. Männer sind von männlichem – und gerade in afrikanischen, karibischen und südostasiatischen Ländern auch weiblichem – Sextourismus weniger betroffen.
Auch jenseits von Sextourismus geht die Branche mit sexueller Diskriminierung und Belästigung einher. Weibliche Angestellte im Hotelgewerbe sind oft sexualisierter Gewalt ausgesetzt – auch in Europa: In Dänemark gaben 2015 bei einer Umfrage etwa 27 Prozent der Frauen in der Hotelbranche an, in den vergangenen zwölf Monaten Erfahrungen sexueller Belästigung gemacht zu haben.
UNWTO und UN Women fokussieren Frauen im Tourismus
Solche Ungleichheiten sind Gründe für die Welttourismusorganisation UNWTO, Gendergerechtigkeit und Empowerment von Frauen im Tourismus immer mehr Bedeutung zuzumessen. Nicht nur im Internationalen UN-Jahr 2017 geht es unter der Federführung der UNWTO neben dem Kampf gegen Armut und Klimawandel auch um die wirtschaftliche Stärkung von Frauen. Auch Artikel 2 des bereits 2001 in Kraft getretenen „Global Code of Ethics for Tourism“ der UNWTO hat die Gleichstellung von Männern und Frauen als Ziel. Davon ausgehend arbeitet die UNWTO unter anderem über das „Ethics & Social Responsibility Programme“ zusammen mit UN Women daran, geschlechtsspezifische Herausforderungen in der Tourismusindustrie sichtbar zu machen und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern, sprich Gender Mainstreaming in den tourismusbezogenen Politiken der Mitgliedsländer zu implementieren. Der 2010 von UNWTO und UN Women veröffentlichte „Global Report on Women in Tourism“ hat untersucht, wie Frauen international in der Tourismusbranche beschäftigt sind und viele der Probleme aufgezeigt. Im Nachgang wurde ein „Women in Tourism Empowerment Phttps://www.unwto.org/gender-and-tourismrogramme“ (WITEP) geplant, das analysieren soll, wie sich Tourismus mit Blick auf Gender positiv nutzen lässt. Doch die Tatsache, dass bisher kein weiterer Report veröffentlicht wurde und auch WITEP noch auf sich warten lässt, zeigt, wie viel noch zu tun ist.
Die UNWTO muss mehr für Gendergerechtigkeit tun
So kritisiert auch Antje Monshausen, Leiterin von Tourism Watch: „Die Studie zeigt, dass sich die UNWTO zwar mit dem Thema auseinander setzt, aber es scheint keine grundlegende Veränderung zu geben. Sie müsste die Regierungen mehr in die Verantwortung nehmen, ihren Beitrag zum Empowerment von Frauen zu leisten.“ Gerade die Agenda 2030 und die SDGs könnten neue Impulse setzen. Nichtregierungsorganisationen wie Equality in Tourism setzen sich dafür ein, dass die SDGs gendergerecht im Tourismus umgesetzt werden.
Fragwürdig ist auch, dass die UNWTO ihr Hauptaugenmerk auf die ökonomische Stärkung und das wirtschaftliche Potential von Frauen legt. Die Organisation argumentiert, damit nicht nur das gesamtwirtschaftliche Wohl zu fördern, sondern auch stabilere und gerechtere Gesellschaften, mehr „Entwicklung“, sowie Nachhaltigkeit und Menschenrechte zu generieren. Von feministischer Seite wird dieser neoliberale Blick, der sich auch im „Smart Economies“-Ansatz der Weltbank wiederfindet, als zu einseitig kritisiert. So hatte ein Programm der Weltbank auf Honduras mit Tourismus-Mikrokrediten zwar den Anspruch, vor allem indigenen Frauen zu nutzen. Die Maßnahmen blieben mit Blick auf Gender jedoch zu vage und kamen mangels tatsächlicher Beteiligung der Frauen vor allem ohnehin schon privilegierteren Gruppen zugute.
Positive Beispiele machen Hoffnung
Doch es gibt auch positive Fälle, wo Tourismus zu tatsächlichem Empowerment und Gendergerechtigkeit beigetragen hat. Eines davon ist die gezielte Tourismuspolitik der Regierung in Botswana, die Interessen und Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung berücksichtigt hat. Außerdem ermöglichten dortige Gesetze vor allem Frauen, legal an Straßenständen ihre Produkte zu verkaufen. Dadurch hat es die Regierung geschafft, die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Situation von Frauen gezielt zu stärken. In Indien wiederum forciert beispielsweise das Sozialunternehmen Kabani Community Tourism & Services in Kerala Tourismus von Frauen für Frauen, der die lokale Bevölkerung aktiv in alle Entscheidungsprozesse einbezieht. Das Unternehmen unterstützt gezielt Homestays, Frauentaxis und -rikschas und bildet weibliche Tourguides aus.
In Nepal schult 3 Sisters Adventure Trekking weibliche Sherpas, die Touren für Frauen leiten. Das ist auch eines der Good Practice-Beispiele, das die Gender Responsible Tourism Association aufzeigt, um Frauen in der Branche zu stärken. Die Organisation arbeitet mit der UNWTO und UN Women zusammen und setzt sich für faire Arbeitsbedingungen, gerechte Entlohnung, Partizipation und Frauen in Führungspositionen ein.
Zwar findet internationaler Tourismus vor allem in einer Richtung statt: vom Globalen Norden in den Globalen Süden. Diese Beziehung und die Auswirkungen auf die Menschen vor Ort müssen daher auch im Internationalen Jahr im Fokus stehen. Dennoch braucht es eine differenzierte Perspektive, die über Stereotype von Frauen des Globalen Südens als Opfer hinweg kommt. Die geschlechtsspezifischen Probleme von Tourismus machen nämlich auch vor Hotelzimmern in London nicht Halt.
Astrid Ehrenhauser