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Das schärfste Schwert des Staates

Der erste Entwurf über ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten verzichtet auf die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Einführung eines nationalen Unternehmensstrafrechts. Ein fatales Signal.

Am 26. Juni 2014 setzte der UN-Menschenrechtsrat in Genf auf Initiative Ecuadors und Südafrikas eine Arbeitsgruppe ein, die ein rechtsverbindliches Instrument formulieren sollte, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für Menschenrechtsvergehen zur Verantwortung gezogen werden können. Zwar stimmten viele Industrienationen, darunter auch Deutschland, gegen die Einleitung dieses sogenannten Treaty Process, trotzdem wurde in den Folgejahren auf dem diplomatischen Parkett unter reger Anteilnahme der Zivilgesellschaft fleißig verhandelt, um die Tätigkeit großer Unternehmen auf internationaler Ebene menschenrechtlich stärker zu regulieren.

Mittlerweile gibt es sogar einen ersten Entwurf des Vertrags, der im Juli diesen Jahres vorgestellt wurde und auf den ersten Blick positiv anmutet, sind doch ausführliche Regelungen zu der Verantwortung von Konzernen für Rechtsverstöße und den Rechten von Betroffenen enthalten. Und doch hat der Widerstand aus der nördlichen Hemisphäre Früchte getragen und es geschafft, in den Verhandlungen viele schärfere Regelungen abzuwenden.

Paradigmatisch hierfür ist, dass die Staaten in dem zero draft des UN-Vertrags nicht ausdrücklich zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts verpflichtet werden, obwohl viele Staaten vor allem aus dem Globalen Süden genau dies als unabdingbar für ein effektives Vorgehen gegen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen gefordert hatten. Wichtig ist hier der Artikel 10.12 des Entwurfs, in dem es heißt, dass „falls im Rechtssystem einer Vertragspartei das Strafrecht nicht auf juristische Personen anwendbar ist, soll diese Partei dafür Sorge tragen, dass juristische Personen effizienten, verhältnismäßigen und abschreckenden nicht-strafrechtlichen Sanktionen unterzogen werden.“

Die Treaty Alliance Deutschland, ein breiter Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, die sich für ein strenges internationales Abkommen einsetzen und versuchen, die deutsche Bundesregierung unter Druck zu setzen, ist daher enttäuscht. „Es ist bedauerlich, dass hier nicht die Chance genutzt wurde, Staaten dazu zu verpflichten, ihre nationalen Strafrechtsordnungen so umzugestalten,  dass auch strafbare Handlungen von Unternehmen geahndet werden können. Denn einem Unternehmensstrafrecht kommt eine wichtige Signalfunktion zu, indem deutlich gemacht wird, dass kriminelles Verhalten von Unternehmen nicht länger toleriert, sondern konsequent  verfolgt und sanktioniert wird,“ heißt es in einer Stellungnahme des NGO-Bündnisses zum zero draft.

Um sich klar zu machen, was genau der Verzicht auf das Unternehmensstrafrecht im Kontext des UN-Abkommens bedeutet, ist es lohnenswert, sich die Grundfunktion strafrechtlicher Sanktionsregime ins Gedächtnis zu rufen. Die Anwendung des Strafrechts ist aufgrund des immensen Eingriffs in die Grundrechte Einzelner stets das „schärfste Schwert des Staates“. Daher soll es immer nur als ultima ratio eingesetzt werden, also nur dann, wenn den staatlichen Organen kein anderes Mittel mehr zur Verfügung steht, um den Rechtsfrieden wieder herzustellen.

Nun hat die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte transnationalen Firmen eine Machtfülle beschert, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Dass bei den Operationen dieser Global Player die Menschenrechte oft auf der Strecke bleiben - wenn beispielsweise Kleidung für den Weltmarkt in Südostasien unter sklavereiähnlichen Umständen produziert wird oder die Territorien indigener Gemeinschaften in Lateinamerika gegen deren Willen für extraktive Projekte genutzt werden - hat die Debatte der vergangenen Jahre bewiesen. Die Erfahrung zeigt auch, dass diese Verstöße meist ungeahndet bleiben. Zu groß ist der Einfluss der Konzerne, zu gut ihr Kontakt zu den Schaltstellen der Macht. Häufig bleiben dann nur einzelne Mitarbeiter übrig, denen konkrete Delikte nachgewiesen werden können, obwohl das gesamte unternehmerische Vorgehen als kriminell zu bewerten wäre. Zwar können auch empfindliche Geldstrafen ein probates Mittel sein, um Großunternehmen an die Menschenrechte zu erinnern, allerdings ist klar, dass solche Strafzahlungen für milliardenschwere Unternehmen oftmals viel zu leicht zu schultern sind.

Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung besteht ein klarer Unterschied zwischen solchen zivilrechtlichen Sanktionen, die häufig als äußerst mildes Mittel wahrgenommen werden, und strafrechtlichen Sanktionen, die der Allgemeinheit klar machen würden, dass das Recht in der Lage ist, auf neue Entwicklungen und sich daraus ergebenden Missstände entschieden zu antworten. Angesichts dieser Situation wäre es also höchste Zeit gewesen, dass alle UN-Staaten zur Einführung von Strafvorschriften für Unternehmen verpflichtet worden wären, die im schlimmsten Falle zur Auflösung der juristischen Person führen könnten.

Dass es nicht so gekommen ist, lag maßgeblich auch an der deutschen Regierung. Zwar ist das Thema auch hierzulande den letzten Jahren vor allem durch zivilgesellschaftlichen Druck stärker in den Fokus gerückt, getan hat sich allerdings wenig. „Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne,“ hieß es noch 2013 im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Eine Legislaturperiode später war dann nur noch von einer Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen die Rede.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung in den bisherigen Verhandlungen für das UN-Abkommen eine unrühmliche Rolle spielte und alle strikteren Regelungen mit Hilfe der EU, der USA und anderen Industriestaaten zu blockieren versuchte. Daher muss sich die Berliner Regierung auch die Frage gefallen lassen, was denn nun eigentlich wichtiger ist: die Menschenrechte aller oder die Profite einiger weniger?

 

Alexander Gorski ist Jurist und schreibt als freier Journalist u.a. aus Lateinamerika über Menschenrechtsverletzung durch multinationale Unternehmen.


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