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Der Klimawandel, Menschenrechte und die Frage nach Gerechtigkeit

Der kleine Inselstaat Vanuatu bekommt wie kaum ein anderes Land die Folgen des Klimawandels zu spüren – und setzt sich nun zur Wehr: Ein Rechtsgutachten vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag soll klären, ob der Klimawandel die Menschenrechte der Bewohner Vanuatus verletzt.

Guterres trägt ein grünes, gemustertes Hemd und blickt auf eine Meeresbucht, der Himmel ist bewölkt.
Wie kann Klimagerechtigkeit aussehen? UN-Generalsekretär Guterres bei einem Besuch in Port Vila, Vanuatu. UN Photo/Mark Garten

Die Menschenrechte werden seit dem Inkrafttreten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 konstant weiterentwickelt. Doch Menschenrechtsverletzungen sind auch heute noch keine Ausnahme. Oft wird dabei über Missachtung der Rechte während bewaffneter Konflikte oder innerhalb repressiver Regime gesprochen. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Klimawandel tauchen seit ein paar Jahren auch neue Zusammenhänge in der Debatte auf: Verletzt der Klimawandel die Menschenrechte? Und wenn ja, auf welche Weise?

Dass der Klimawandel tödlich sein kann, zeigt sich durch die zunehmende Zahl an Naturkatastrophen. Jedes Jahr kostet er Menschenleben und ist so kaum mit dem Recht auf Leben, geschweige denn einem Leben in Sicherheit zu vereinbaren. Im dritten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist genau dieses Recht auf Leben und Sicherheit festgeschrieben.

Wie kann Klimagerechtigkeit aussehen?

Nicht nur Forderungen nach einer effektiven und schnellen Bekämpfung des Klimawandels wurden in den letzten Jahren lauter. Auch das Stichwort Klimagerechtigkeit taucht immer öfter auf. Der Begriff bedeutet, dass die Folgen des Klimawandels gerecht auf alle Staaten und Menschen verteilt werden. Momentan bekommen die Länder des globalen Südens die Folgen des Klimawandels meistens viel stärker zu spüren – obwohl sie für deutlich weniger Emissionen verantwortlich sind als der globale Norden.

Es gibt verschiedene Ideen und Ansätze, wie Klimagerechtigkeit erreicht werden könnte. Eine neuere Entwicklung ist dabei, dass Initiativen, aber auch Individuen oder sogar Staaten versuchen, über gerichtliche Institutionen mehr Gerechtigkeit zu erlangen. Der Inselstaat Vanuatu möchte nun genau diesen Weg gehen: über den internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dort soll ein Gutachten belegen, inwiefern der Klimawandel die Menschenrechte und die Rechte kommender Generationen bedroht.

Vanuatu – ein kleines Land mit großem Risiko

Vanuatu liegt östlich von Australien im Südpazifik und setzt sich aus 83 Inselgruppen zusammen. Rund 300.000 Menschen leben auf Vanuatu. Laut des Weltrisikoberichts, der jedes Jahr das Risiko ermittelt, mit welchem ein Land von einer Naturkatastrophe getroffen werden kann, liegt Vanuatu auf Platz eins. Damit ist es das Land mit dem höchsten Risiko weltweit, dass ein Naturereignis tatsächlich zur Katastrophe wird. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 161. Katar ist das am wenigsten gefährdete Land des Berichts und liegt auf Platz 181.

Vanuatus bitterer erster Platz ist aber kein Zufall, denn zehn der fünfzehn gefährdetsten Länder sind Inselstaaten, die vom steigenden Meeresspiegel in ihrer Existenz bedroht werden. Vanuatu hält sich nun schon seit dem Jahr 2011 unangefochten auf dem ersten Platz. Abgesehen vom Meeresspiegelanstieg wird der kleine Inselstaat immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht: Erdbeben, Tropenstürme und Vulkanausbrüche. Die Aufmerksamkeit der internationalen Medien richtete sich im Jahr 2015 auf den Südpazifik, als der Wirbelsturm Pam mit über 300 Kilometern pro Stunde über die Inselgruppe hinweg fegte. Pam forderte zahlreiche Opfer, zerstörte Häuser und hinterließ viele Menschen obdachlos und traumatisiert. Diese Ereignisse sind sicher auch ein Grund für die ambitionierte Klimapolitik des Inselstaates.

Das Ziel: Ein Gutachten vor der UN-Generalversammlung

Ob das Gutachten, dass Vanuatu fordert, tatsächlich erstellt wird, hängt von einer Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ab. Dort wird der Inselstaat eine Frage einreichen, die sich mit dem Zusammenhang des Klimawandels und der Beeinträchtigung der Menschenrechte beschäftigt.

Falls bei der Generalversammlung im September 2022 in New York eine einfache Mehrheit den Antrag Vanuatus unterstützt, soll der internationale Gerichtshof ein Gutachten erstellen und in diesem die Frage, die Vanuatu bei der Generalversammlung einreichen wird, beantworten.

Der genaue Wortlaut der Frage steht noch nicht fest, doch sie wird voraussichtlich ähnlich wie die folgende lauten: „Was sind die Verpflichtungen von Staaten durch das internationale Recht, um heute lebende und kommende Generationen vor den negativen Folgen des Klimawandels zu schützen?”

Das Gutachten, das dann ausgearbeitet werden würde, heißt “advisory opinion” oder wortwörtlich übersetzt „beratende Meinung”. Wie der Name schon vermuten lässt, ist eine beratende Meinung nicht rechtlich bindend, sondern eine Art wissenschaftlich fundierter Handlungsvorschlag.

Der internationale Gerichtshof mit Sitz in Den Haag genießt weltweit hohes Ansehen – immerhin ist er der höchste Gerichtshof weltweit. Daher ist zu erwarten, dass diese Art von Gutachten großes mediales Interesse provozieren wird. In der Vergangenheit war das bei anderen Verfahren und Gutachten so, zum Beispiel als es um die Illegalität von Nuklearwaffen ging. Dabei entschied der Internationale Gerichtshof im Jahr 1996 auf Anfrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass weder die Drohung mit Atomwaffen, noch deren Besitz oder Einsatz durch das Völkerrecht explizit verboten wird. Diese Entscheidung gilt bis heute als richtungsweisend. Ein weiterer Vorteil eines solchen Gutachtens ist, dass die Allgemeingültigkeit einer advisory opinion hoch ist. Soll heißen, es geht bei dieser Art des Gutachtens nicht um zwei Streitparteien, sondern um eine generelle Empfehlung für alle Länder der internationalen Staatengemeinschaft.

“World’s Youth for Climate Justice” 

Die Mehrheit der bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmberechtigten Staaten davon zu überzeugen, Vanuatus Vorhaben zu unterstütze – das hat sich die internationale Kampagne “World's Youth for Climate Justice” zum Ziel gesetzt. Im Jahr 2019 schlossen sich 27 Jura-Studierende zusammen und gründeten das Netzwerk “Pacific Islands Students Fighting Climate Change”. Daraus entstand die heutige Kampagne, die mittlerweile nicht nur im pazifischen Raum, sondern auch in Asien, Europa, der Karibik, Südamerika und Afrika aktive Untergruppen hat.

Von Franka Bernreiter, UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung


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