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Der UN-Minderheitenschutz auf dem Prüfstand

75 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen bleibt der Rechtsschutz von Minderheiten immer noch eine globale Herausforderung. Die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Schaffung eines Global Minority Caucus erweisen sich für die Konsolidierung der Minderheitenrechte als unentbehrlich.

Eine alte Frau und spielende Kinder auf einer Straße in Rahovec (Orahovac) in Kosovo, wo besonders Angehörige von Minderheiten leben.
Straßenszene in einem Stadtteil von Rahovec (Orahovac) in Kosovo, wo besonders Angehörige von Minderheiten leben. (UN Photo/Flaka Kuqi)

Mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte 1948 sprach man vor Minderheitenrechten von Menschenrechten, die die Rechte des Einzelnen ins Zentrum stellte. Einen kollektiver Minderheiten­rechtsschutz hing dagegen mit der Sorge zusammen, in Konkurrenz zum Individualrechtsschutz zu stehen. Eine bindende Anerkennung der Rechte von Minderheitenangehörigen über das Kollektiv sowie ein ausgeweiteter Antidiskriminierungsschutz wurden erst in bestimmten UN-Verträgen (Zivilpakt, ICERD, Kinderrechtskonvention) festgeschrieben.
 

Menschenrechte vs. Minderheitenrechte

Mit einer ersten Definition zu Minderheiten 1979 und mit dem Ende des Kalten Krieges konnte 1992 die Erklärung über die Rechte von Personen, die zu nationalen oder ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden. Dies stellte vor dem Hintergrund der damaligen politischen Umbrüche im Osteuropa, zwar der Auflösung von multinationalen Staaten wie der Sowjetunion und dem gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens ein unentbehrlicher Schritt zum Minderheitenschutz dar. Damit zielte man darauf ab, öffentliches Wissen über die Geschichte und Kultur der in einem Staat lebenden Minderheiten beziehungsweise den notwendigen Raum für ihre gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Die globale wirtschaftliche Krise 2007 und die daraus resultierende Rezession haben neben Populismus und Nationalismus dazu geführt, dass das integrative kulturbezogene Gesellschaftsnarrativ zu Minderheiten in die Wiederbelebung des alten Fremdenklischees gemündet ist. Bereits wirtschaftlich und sozial verwundbare Minderheitengruppen wurden zur Zielscheibe von Rassismus, Gewalt und verstärkter Ausgrenzung gemacht.
 

Etablierung eines Minderheitenrechtsschutzes

Jeder Staat sollte die Anliegen von Minderheiten, die auf seinem Staatsgebiet und damit nicht in ihrem eigenen Mutterland (Kinstate) leben, anerkennen und angemessen umsetzen. Eine besondere Relevanz weist diesbezüglich der Fall der Roma auf, die keinen „Kinstate“ als Zufluchtsort haben und nach dem Holocaust bzw. des langen Prozesses seiner Anerkennung immer noch massiver Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung ausgesetzt sind.

Weitreichende Schritte zum Schutz der Minderheiten waren 2007 deshalb die Schaffung der sogenannten Sonderverfahren durch den UN-Menschenrechtsrat: das UPR (Universal Periodic Review, Allgemeines Periodisches Überprüfungsverfahrens) und das Mandat zur Sonderberichterstattung.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Mandat des Sonderberichterstatters für Minderheitenfragen zu. Seine Hauptfunktion liegt darin, bei Menschenrechtsverletzungen das Gespräch mit Regierungsvertretern und anderen Stakeholdern zu suchen und dabei die Zivilgesellschaft miteinzubeziehen und ihre Rolle zu stärken. 2007 wurde das Forum für Minderheitenfragen etabliert, die einzige internationale Dialogplattform dieser Art, wo jährlich Regierungen und der Zivilgesellschaft in Austausch treten und Kooperationen abstimmen können. Somit wird die Tätigkeit des Sonderberichterstatters bezüglich eines festgelegten thematischen Menschenrechtsbereiches unterstützt und vorangetrieben. Seit 2018 wird das Forum auch regional (Europa, Asia and Afrika) organisiert, um es ansprechbarer und zugänglicher zu den lokalen Realitäten zu gestalten. Das Thema des bevorstehenden Forums ist „Hate Speech, Social Media and Minorities“.

Auch die 2015 verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung stellt ein wichtiges Instrument für den Minder­heitenschutz dar. Die Nachhaltigkeitsziele setzen darauf, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten (z. B. Armut, Geschlechter- und Kinderdiskriminierung, erschwerter Zugang zu Arbeits- und Wohnungsmarkt), die auch von der Dis­kriminierung von und Vorurteilen gegenüber Minderheiten herrühren, zu bekämpfen. Obwohl rechtlich nicht bindend, gelten die „Abschließenden Bemerkungen“ zu einem Staatenbericht zur Lage der Menschen- und Minderheiten­rechte durch die Vertragsausschüsse als Leitlinien für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf nationale Ebene.
 

Minderheitenrechte: Bedarf an Konsolidierung

Eine Voraussetzung für die nachhaltigen Gewährleistung der Minderheitenrechte bleibt nach wie vor die Stärkung der Zivilgesellschaft und von Aktivistinnen und Aktivisten. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf bietet seit 2005 das „Minorities Fellowship Programme“ (MFP) an, das umfassendste Trainingsprogramm in diesem Bereich, an dem Angehörige einer Minderheit, die sich für ihre Rechte einsetzen, nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren teilnehmen können.

Aus Mangel an Ressourcen bleibt weltweit vielen der Zugang zu den UN-Mechanismen in Genf und New York immer noch verschlossen. Aus diesem Grund haben die MFP-Fellows 2018 ein öffentliches Gespräch um das Forum für Minderheitenfragen zur Schaffung eines Global Minority  organisiert. Dieser soll es, ähnlich dem bereits existierenden UN Global Indigenous Youth Caucus, zivilgesellschaftlichen Organisationen ermöglichen, sich Verhör und Sichtbarkeit in den UN-Menschenrechtsgremien zu verschaffen, bei politischen Entscheidungsprozess mitzuwirken und Bewusstsein über die Menschenrechtslage ihrer Communities zu schaffen.

Weiterhin besteht seit einiger Zeit Bedarf an der Reformierung und Harmonisierung der Vertragsabkommen (Treaty Bodies) hinsichtlich ihrer Effektivität und Transparenz. Eine entsprechende Initiative ist im Juni 2020 in einer schriftlichen Mitteilung durch die Ständigen UN-Missionen der Schweiz und Marokkos an den Präsidenten der UN-Generalversammlung ergriffen worden. Ein informelles Netzwerk von ehemaligen MFP-Fellows hat dazu Empfehlungen ausgearbeitet und diese beim Sekretariat der Vertragsabkommen eingereicht. Auch der Sonderberichterstatter für Minderheitenfragen, Dr. Fernand de Varennes betonte im Rahmen eines Webinars zum Thema „The Protection of Minorities Youth Rights“, organisiert im August 2020 von ehemaligen MFP-Fellows, die Notwendigkeit der Einigung auf ein Vertragsabkommens für Minderheitenschutz.

Bisherige Errungenschaften und Zukunftsvisionen zur Gewährleistung der Menschen- und Minderheitenrechte sowie der weltweiten Friedenssicherung werden mit den aktuell steigenden autokratischen und autoritären Tendenzen in manchen Ländern Europas und der Welt offensiv in Frage gestellt. Mit dem Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Menschenrechtsrat wird zudem die multilaterale Menschenrechtsarbeit infrage gestellt und internationale Rechtstaatlichkeit unterhöhlt. Das Prinzip der Stärkung der Zivilgesellschaften sowie die der Ausbau von Menschenrechts- und Demokratieprogrammen auf nationaler und lokaler Ebene sind damit umso wichtiger.
 

Marian Luca
Der Autor war 2019 Senior Fellow des Stipendiatenprogramms für Minderheitenagehörige des UN-Hochkommisariats für Menschenrechte in Genf.

 


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