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Der Wilde Weltraum

Der Weltraum gehört niemandem. Doch die staatliche Handlungsfähigkeit hängt im digitalen Zeitalter vermehrt von Satelliten- und Kommunikations­systemen ab. Dadurch wächst die sicherheitspolitische Bedeutung des Orbit – und die Anzahl von Staaten mit weltraumfähigen Waffen.

Kranzniederlegung zum 50. Jahrestag des ersten Weltraumflugs von Juri Gagarin im Arianepark in Genf
Kranzniederlegung zum 50. Jahrestag des ersten Weltraumflugs von Juri Gagarin im Arianepark in Genf (UN Photo/Jess Hoffman)

Der „Wettlauf ins All“ (engl. space race) war eine wettkampfartige Episode des Kalten Kriegs zwischen 1955 und 1975. Die Kontrahenten aus den USA und der Sowjetunion entsendeten die ersten Satelliten und schließlich die ersten Menschen in den Weltraum. Es ging um die technologische Vor­macht­stellung der beiden Staaten. 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs betreiben bereits über 70 Staaten Weltraumprogramme. Und es sollen mehr werden. Hinzu kommt die mediale Euphorie im 50. Jubiläums­jahr der Mondlandung. Private Unternehmen wie SpaceX, Blue Origin und United Launch Alliance (Boeing, Lockheed Martin) benutzen den Weltraum als unternehmerisches Geschäftsfeld. Mitspracherecht auf der internationa­len politischen – und ökonomischen – Bühne hat in Zukunft nur, wer im Space Race 2.0 mitmischt. Einen Indikator dafür bilden die Anzahl der Satelliten.

Stau im Orbit? 

Aktuell sind ungefähr 2.000 Großsatelliten in der irdischen Umlaufbahn. Mit Abstand die meisten davon haben mit 849 die USA. Danach folgen China mit ungefähr 300, die EU mit über 200 und Russland hat etwa 150 Satelliten. „Die Zahl der Objekte im All hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht“, schreibt der Rüstungsexperte Götz Neuneck. So betrug der Umsatz der Weltraumindustrie 2017 satte 320 Milliarden US-Dollar. Durch den zunehmenden Wettbewerb sinken auch die Startkosten. Das gilt vor allem für sogenannte Klein­satelliten, beispielsweise die Satellitenreihe BeeSat (Berlin Experimental and Educational Satellite): Kleine, zehn mal zehn Zentimeter große Satelliten, die weniger als ein Kilogramm wiegen. Kostet der Start eines Großsatelliten etwa 100 Millionen Euro, sind die Kleinen mit ca. 20.000 Euro deutlich günstiger. 2019 starteten fünf dieser Kleinsatelliten an Bord einer russischen Sojus-Rakete in die Erdumlaufbahn. 

Auch private Unternehmen nutzen sie. So plant der Internetkonzern Google mit Hilfe der Kleinsatelliten ein weltum­spannendes Internet. Auch der Handelskonzern Amazon plant mit „Projekt Kuiper“ einen weltweiten Internetzugang via Satellit. Dafür sollen langfristig 3.236 Satelliten entsendet werden. Die Bank Morgan Stanley schätzt aufgrund dieser Entwicklungen, dass sich die Weltraumwirtschaft auf ein Volumen von einer Billion US-Dollar vergrößert. 

Der Weltraum ist begrenzt 

1967 wurde der Weltraumvertrag (WVR) vereinbart. Bis heute haben ihn 107 Staaten unterschrieben. Zweck des WVR war ursprünglich die Verhinderung der Besetzung von Himmelskörpern – sprich des Monds – durch einzelne Staaten (Art. II). Auch sollten keinerlei Atomwaffen in den Weltraum verfrachtet werden (Art. IV). Nach Art. I ist die Erforschung und Nutzung des Weltraums „im Interesse aller Länder ohne Ansehen ihres wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwick­lungsstandes“ durchzuführen und damit „Sache der gesamten Menschheit“. Gerade die Nutzung bereitet jedoch Pro­bleme. So ist die Anzahl möglicher Satellitenpositionen begrenzt, wie beispielsweise im geostationären Orbit (GSO) in 36.000 Kilometern Höhe. Dort reichten drei Satelliten aus, um ein „weltumspannendes Nachrichtensystem“ aufzu­bauen, schreibt der Jurist Marcus Schladebach. Und nach Art. I WVR stünde auch jedem Staat eine GSO-Position zu, so Schlade­bach weiter.

Was in der Konsequenz schon zu „Verteilungskämpfen zwischen Industrienationen und Entwicklungs­ländern“ geführt hat. Deshalb wurde 1977 der GSO zur „begrenzten natürlichen Ressource“ erklärt. Erweitert wurde diese Regelung 1998 auf sämtliche Umlaufbahnen. Zuständig für die Orbitpositionen ist die Internationale Fernmeldeunion (ITU). Zum Vergleich: Die Internationale Raumstation (ISS) befindet sich im sogenannten Low Earth Orbit (LEO) und damit in niedriger Bahnhöhe zwischen ca. 200 – 2000 Kilometer.  

Waffenarsenale für den Weltraum 

Der Schutz der Satelliten ist für Staaten von großer – und wachsender – sicherheitspolitischer Relevanz. Der französische Präsident Emmanuel Macron sieht den Weltraum als „neuen Bereich der Konfrontation“ und baut deshalb ein Welt­raum­kommando auf. US-Präsident Donald Trump hat 2018 eine Weltraumstreitkraft angekündigt. Rüstungsexperte Neuneck schätzt, dass ein Viertel der Satelliten bereits militärisch genutzt werden. Dabei handelt es sich beispielsweise um Satellitensteuerung zur Truppennavigation und für Drohneneinsätze. 

Offiziell sind keine Waffen im Weltraum stationiert. In Wahrheit jedoch begann die Entwicklung von weltraumfähigen Waffensystemen mit der Eroberung des Weltalls im Kalten Krieg. Bereits unter US-Präsident John F. Kennedy wurde 1962 das erste erfolgreiche Anti-Satelliten-Programm (ASAT) getestet. ASAT-Programme bilden öffentlichkeitswirksame Weltraummanöver. So hat Indien im März dieses Jahres einen eigenen Satelliten erfolgreich ballistisch abgeschossen. Premierminister Nassendra Modi bezeichnete dies als verteidigungspolitischen „Durchbruch“. In China wurde ein ASAT-Test bereits 2007 durchgeführt. China schoss damals einen eigenen Wettersatelliten ab.

Die direkte Zerstörung von Satelliten hat zwar einen Vorführeffekt. Das Waffenarsenal umfasst jedoch auch subtilere Methoden. Störsender und Cyberattacken beispielsweise, die Datenströme manipulieren oder die Informationsflüsse zwischen Kommandozentrale und Bodentruppen unterbrechen. Das „Zentrum für Strategische & Internationale Studien“ (CSIS) mit Sitz in Washington D.C. schreibt in einem Bericht von 2018, dass China „bedeutende Fortschritte“ in nicht-ballistischen Angriffsformen erreicht habe. „Strahlenwaffen“ wie Laser oder Mikrowellen würden das Blenden der Sensorik von Satelliten ermöglichen. 

Zivile und militärische Nutzung

Eine der dringendsten Herausforderung stellt die sogenannte Dual-Use-Problematik dar: Zivile Technologien können auch für militärische Zwecke genutzt werden (und umgekehrt). Im Juni 2016 startete China sein Aolong-1 Raumschiff. Zur Ausrüstung des Raumschiffs gehörte ein Roboterarm, der offiziellen Angaben zufolge zum Einsammeln von Welt­raumschrott eingesetzt werden soll. Die CSIS-Studie erwähnt jedoch auch das Gefährdungspotential eines solchen Roboterarms: Aufgrund seiner Greiffähigkeiten kann er auch dazu verwendet werden, andere Satelliten zu schädigen. 

Diese Entwicklungen, aber auch die Realität eines globalen Wirtschafts- und Kommunikationssystems erfordern eine faire Koordinierung. Mit der ITU besteht ein Forum, um diese Konflikte multilateral auszuhandeln, zum Bespiel zwischen Staaten und Unternehmen. Auf der 2012 von der ITU ausgetragenen World Conference on Telecommunications zur Internetregulierung verhinderten die EU-Staaten und die USA, dass einzig Staaten und keine Privatunternehmen über die Nutzung des Internet entscheiden. China, Russland, Iran und Saudi-Arabien beharrten damals darauf. Eine ähnliche Dynamik zeichnet sich für die Satellitenpositionierung im Orbit ab. Denn es sind vor allem Privatunternehmen, die über die ITU ihre Satellitenstarts anmelden.

Lange werden die Staaten jedoch nicht um eine Einigung herum kommen, möchte man die friedliche Nutzung des Weltraums weiterhin gewährleisten. Die enge Verschränkung wirtschaftlicher und politisch-militärischer Interessen im Weltraum sind dabei gleichzeitig Anreiz und Hindernis für Kooperation.

Dominik Schlett

 

Die neue Ausgabe der Zeitschrift Vereinte Nationen  befasst sich mit dem Weltraum. Sie erscheint Mitte August 2019.


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