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Ein Preis – viele Botschaften

Es besteht kein Zweifel: Der Friedensnobelpreis für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) ist verdient. Angesichts von 690 Millionen hungernden Menschen weltweit, von denen 250 Millionen von akutem Hunger bedroht sind, leistet das WFP Bewundernswertes, das an Sisyphus denken lässt.

Eine Nahrungslieferung des WFP in Sudan. (UN Photo/Albert González Farran)

Ein Kommentar von Dr. Ekkehard Griep

Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, wird in Oslo der Friedensnobelpreis an das Welternährungsprogramm verliehen. Die nach eigenen Angaben größte humanitäre Organisation weltweit hat im Jahr 2019 rund 97 Millionen Menschen in 88 Ländern versorgt und damit Unterernährten und unverschuldet Hungernden das Leben gerettet. Tagtäglich sind 5.600 LKWs, fast 100 Flugzeuge und 30 Schiffe für das Programm unterwegs, um Nahrung zu liefern – eine gigantische logistische Operation. In einer Zeit, die durch andere Schlagzeilen beherrscht wird – Klimarisiken, Biodiversitätsverluste, Pandemiebekämpfung, friedliche Proteste gegen autoritäre Regime – hat das Nobelkomitee einen Akteur gewürdigt, der kaum als Preisträger erwartet wurde.

Dabei transportiert dieser Nobelpreis bei näherer Betrachtung eine Reihe von Botschaften:  

  • Zunächst gehen Dank und Respekt an die 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Welternährungsprogramms, die vor Ort oft mit Extremsituationen konfrontiert sind, in denen sich Hunger und Not durch die Multiplizierung von Krisen – Dürre, Armut, Konflikte, nun auch COVID-19 – weiter zuspitzen.
  • Aber das WFP steht auch für das UN-System als Ganzes. Bereits zum zwölften Mal wirft der Friedensnobelpreis Glanz auf die segensreiche Arbeit der Vereinten Nationen: Dies waren unter anderem das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) und die UN-Friedenstruppen, auch die Generalsekretäre Dag Hammarskjöld und Kofi Annan. Mit dem Welternährungsprogramm wird erneut eine Organisation gewürdigt, die viele Betroffene am eigenen Leib als letzte Rettung, als „last resort“ erleben.
  •  An die Empfängerländer geht die Botschaft: „Ihr seid nicht vergessen.“ Von Syrien über Jemen bis in den Sahel lindern Beiträge des Welternährungsprogramms die Not und helfen Krisen einhegen. Sie stabilisieren, wo Fragilität herrscht. Sie tragen dazu bei, dem Nachhaltigkeitsziel „Beseitigung des Hungers bis 2030“ wenigstens ein Stück näherzukommen.
  • Mit dem Preis geht auch Dank an die Geber einher – und die Bitte um Kontinuität. Da das WFP ausschließlich durch freiwillige Beiträge finanziert wird, ist es auf großzügige Geber angewiesen. Das „Danke, Deutschland!“ in Richtung Berlin ist eine ehrliche, herzliche Geste an den seit einigen Jahren zweitgrößten finanziellen Unterstützer des Programms. Doch Fakt ist auch: COVID-19 und häufigere Dürren werden mehr Hungernde zur Folge haben – und damit mehr Finanzbedarf. So verwundert es nicht, dass das Welternährungsprogramm den Rückenwind des Nobelpreises nutzt, um über Staaten und Organisationen hinaus neue Quellen zu erschließen: Wirtschaft, Privatsektor, Milliardäre. Und: Auch Privatpersonen können über die Webseite in beliebiger Höhe spenden.
  • Multilateralismus wirkt – dies ist das Signal in die internationale Gemeinschaft. Das Welternährungsprogramm macht den Unterschied – nicht unilateral, sondern durch multilaterale Kooperation. Es erscheint zweifelhaft, ob einzelne Staaten einen vergleichbar professionellen Apparat mit weltweitem strategischem Ansatz unter den aktuellen herausfordernden Bedingungen realisieren könnten.  
  • Schließlich: Anders als eine Reihe amerikanischer Absetzbewegungen in den zurückliegenden Jahren weg vom Multilateralismus bringen sich die USA massiv in die Arbeit des Welternährungsprogramms ein, nicht nur als größter Geber. Mit David Beasley steht seit 2017 auch ein ehemaliger (republikanischer) Gouverneur von South Carolina an der Spitze des WFP, seinerzeit nominiert von US-Präsident Trump. Er verkörpert eine zupackende, erfolgsorientierte Art – nicht gegen oder neben, sondern im UN-System. Beasley zeigt, dass die USA und Multilateralismus keine Gegensätze sein müssen, sondern beachtliches Win-win-Potenzial vorhanden ist.

Es war ein Novum, als der UN-Sicherheitsrat im Jahr 2018 mit seiner einstimmig verabschiedeten Resolution 2417 einen Zusammenhang zwischen Hunger und Konflikten anerkannte, die zynische Nutzung von Hunger als Kriegswaffe verurteilte und dazu aufrief, den Teufelskreis zwischen Konflikten und Ernährungsunsicherheit zu durchbrechen. Heute, zwei Jahre später, wird diese Botschaft durch den Nobelpreis weitergetragen. Denn die weiterhin notwendige Unterstützung für das WFP darf nicht dazu führen, die Ursachen des Hungers aus dem Blick zu verlieren.

Dieser Nobelpreis ist auch eine Aufforderung an die internationale Politik, die sich häufig gegenseitig verstärkenden Ursachen des Hungers beherzter anzugehen: durch präventives Krisen- und Konfliktmanagement, durch vorausschauende, nachhaltige Entwicklungsarbeit, durch gemeinsames multilaterales Handeln.

Dr. Ekkehard Griep ist stellvertretender Vorsitzender der DGVN und Mitglied des Redaktionsbeirats der Zeitschrift Vereinte Nationen.

Dieser Kommentar erschien zuerst in  der Zeitschrift Europäische Sicherheit und Technik.

 


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