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Eine Resolution für Syrien, doch vom Frieden weit entfernt

Nach langem Ringen einigte sich der UN-Sicherheitsrat am Wochenende auf eine Feuerpause für Syrien. Ein dauerhaftes Ende der Gewalt ist jedoch nicht in Sicht. Der Krieg hat sich internationalisiert, die Fronten zwischen den beteiligten Staaten sind verhärtet. Friedensbemühungen der Vereinten Nationen werden immer wieder von nationalen Interessen ihrer Mitglieder ausgebremst.

UN-Sicherheitsrat beschließt Resolution über 30-tägige Feuerpause für Syrien. (UN Photo)

UNICEF ist sprachlos. Die letzte Pressemitteilung des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen zur Lage in Syrien enthielt nur wenige Worte. Aus gutem Grund: „Keine Worte werden den getöteten Kindern, ihren Müttern, ihren Vätern und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfahren lassen“, heißt es dort. In der syrischen Region Ost-Ghuta nahe Damaskus sind rund 400 000 Zivilisten eingeschlossen. Weit über 300 Menschen starben binnen einer Woche durch die Bombardierung der Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, tausende sind verletzt. Nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen wurden mehrere Krankenhäuser gezielt angegriffen. Jakob Kern, der Landesdirektor des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in Syrien, berichtete von ausgehungerten Menschen, die sein Team zuletzt in dem Gebiet angetroffen habe. „Eine Erkältung, die in eine Entzündung übergeht, wird lebensbedrohlich, weil keine Antibiotika verfügbar sind“, erzählt er in einem Interview. Grundnahrungsmittel seien kaum noch verfügbar, auch die letzte Bäckerei sei unter dem Beschuss zerstört worden.

Der lange Weg zu einer Resolution im Sicherheitsrat

Die Verurteilungen der Gräueltaten durch Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Gemeinschaft überbieten sich in ihrer Schärfe. UN-Generalsekretär António Gutierrez sprach von „der Hölle auf Erden für 400 000 Menschen“. Der Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, warnte vor einem „zweiten Aleppo“. Doch egal wie deutlich die Wörter, wirklich beschreiben oder verstehen lässt sich das unfassbare Leid der Menschen in Syrien wohl kaum.

Nach tagelangem Ringen einigten sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates am Wochenende schließlich auf eine Resolution, die eine 30tägige Feuerpause für Syrien vorsieht, so dass Hilfslieferungen in die umkämpften Gebiete gelangen. Russland hatte den von Schweden und Kuweit initiierten Entwurfs zunächst blockiert. „Unrealistisch“ nannte der russische Vertreter Vassily Nebenzia den Vorschlag und tat die verheerende Situation in Ost-Ghuta als mediale „Massenpsychose“ ab. Das ständige Mitglied Russland hatte zuvor bereits gegen zehn Resolutionen zu Syrien ein Veto im Sicherheitsrat eingelegt, unter anderem gegen UN-Untersuchungen zum Einsatz von Chemiewaffen. Die nun verabschiedete Resolution enthält Zugeständnisse an Russland. So dürfen Terrorgruppen auch währen der Feuerpause weiter bekämpft werden. Das könnte Assads Truppen als Begründung dienen, Orte wie Ost-Ghuta weiter zu bombardieren. Auch, weil die Resolution keine völkerrechtlich bindenden Druckmittel enthält, ist unklar, ob und wie lange sich die Konfliktparteien daran halten werden.

Die Feuerpause soll Hilfslieferungen für die Menschen in belagerten Gebieten ermöglichen. (Foto: UNICEF)

Versagen die Vereinten Nationen in Syrien?

Trotz der letztlich verabschiedeten Resolution im Sicherheitsrat: Eine dauerhaft gemeinsame Linie der involvierten Staaten bleibt unwahrscheinlich. Stattdessen internationalisiert sich der Krieg zunehmend, neue Konfliktlinien brechen offen aus, es gibt mittlerweile direkte Konfrontationen zwischen den beteiligten Staaten. Wir tief und zahlreich die internationalen Gräben sind, offenbarte auch die Münchener Sicherheitskonferenz: Israel gegen den Iran, Russland gegen die USA, die Türkei gegen Syrien und die eigentlich mit dem Westen verbündeten Kurden im Norden Syriens.

Die Kritik an dem immer diffuseren internationalen Kräftemessen ernten in der Öffentlichkeit auch die Vereinten Nationen. Von „Untätigkeit“ und „Versagen“ ist die Rede. Die UN wurden einst gegründet, um solche Verbrechen wie in Syrien für immer der Vergangenheit angehören zu lassen. Dass es nun Vorwürfe hagelt, ist deshalb verständlich. Gleichwohl fehlt es mit Blick auf die UN in der öffentlichen Wahrnehmung oft an Differenzierung.

Denn die Vereinten Nationen sind nicht identisch mit den im Sicherheitsrat vertretenen Großmächten. Die haben zweifelsohne die Macht, wirkungsvolles und koordiniertes internationales Handeln zu boykottieren. Aber weder die USA unter Donald Trump noch ein Russland unter Vladimir Putin sollten mit den Vereinten Nationen verwechselt werden. Natürlich bleibt der Sicherheitsrat der relevante Akteur, der über Krieg und Frieden entscheiden kann. Und natürlich macht es für die leidende Zivilbevölkerung in Syrien kaum einen Unterschied, wer bei den Vereinten Nationen internationale Friedensbemühungen blockiert. Gleichzeitig sind die UN aber eben auch jene Vielzahl von Akteuren, die alles dafür tun, die humanitäre Katastrophe in Syrien zu reduzieren. UNICEF, das WFP, die Weltgesundheitsorganisationen WHO und viele mehr werden von den nationalen Interessen mächtiger Mitgliedstaaten ausgebremst, ebenso wie die UN-Diplomaten, die all ihre Energie in Friedensverhandlungen stecken.

Spielräume nutzen und politischen Druck steigern

Die Entwicklungen im Syrienkrieg lassen wenig Raum für Optimismus. Längst besteht die Schwierigkeit nicht mehr allein darin, in Genf Oppositionelle und syrische Regierung an einen Tisch zu bekommen. Die Konfliktlinien und Interessengegensätze zwischen den involvierten Staaten – von den USA über Russland bis Saudi-Arabien und der Türkei – erfordern diplomatische Kraftakte an mehreren Fronten.

Was also können die Vereinten Nationen tun, wenn Staaten im Sicherheitsrat gemeinsame Lösungen blockieren? Auf institutionelle Reformen der internationalen Gremien, die die Allmacht alter Großmächte begrenzen, werden die Menschen in Syrien nicht warten können. Denn das wird Jahre dauern. Viel hängt jetzt an den anderen Staaten, an ihrer Einigkeit, an ihrem diplomatischen Geschick und dem Druck, den sie gegenüber den internationalen Kriegsparteien aufbauen können. Es gilt daher – etwa von Seiten Deutschlands – weiter um jeden Minimalkompromiss zu werben, um weitere Feuerpausen, freien Zugang für Hilfslieferungen, die Aufarbeitung der Chemiewaffeneinsätze. Auch die Generalversammlung kann als Gremium, in dem alle UN-Mitgliedstaaten vertreten sind, ihre universelle Symbolkraft nutzen, um den Druck auf den Sicherheitsrat zu erhöhen. In einer Sondersitzung könnten die Staaten mit Hilfe einer sogenannten „United for Peace“-Resolution, ein deutliches Signal setzen und mit einer Zweidrittelmehrheit den Sicherheitsrat zum Handeln auffordern. Unter Umständen könnte bei einer weiteren Lähmung des Rates die Generalversammlung sogar den Einsatz von Waffengewalt fordern. Außerdem könnte der Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen in Syrien beauftragen. Allerdings braucht es auch dafür die Zustimmung des Sicherheitsrates. In der Vergangenheit scheiterte eine solche Maßnahme bereits am Veto Russlands.

Um weiteren politischen Druck zu erzeugen, braucht es auch die internationale Zivilgesellschaft. Denn wenn Meldungen von Fassbombeneinsätzen, Hungersnöten oder einem türkischen Angriffskrieg gegen die nordsyrischen Kurden keine nennenswerten gesellschaftlichen Reaktionen provozieren, mindert das auch den Antrieb der politischen Entscheidungsträger, ihren internationalen Einfluss für Friedensbemühungen auszuschöpfen.


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