Menü

Eine starke Zivilgesellschaft: People-centered multilateralism in der internationalen Zusammenarbeit

Eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in politische Prozesse wird von zahlreichen Akteuren aus der Entwicklungszusammenarbeit mit Verweis auf den people-centered multilateralism gefordert. Die Arbeit der Vereinten Nationen weist grundlegende Aspekte dieses Ansatzes auf.

Die SDG-Aktionszone für multilaterales und vielfältiges Engagement wird auf dem Rasen des UN-Hauptquartiers in New York errichtet.
Die SDG-Aktionszone für multilaterales und vielfältiges Engagement wird auf dem Rasen des UN-Hauptquartiers in New York errichtet. (UN Photo/Ariana Lindquist)

Anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens haben die Vereinten Nationen ein weltweit angelegtes Dialogformat gestartet. Unter dem Motto „Shaping our future together“ bietet die Aktion UN@75 and Beyond Menschen weltweit die Möglichkeit, ihre Ansichten über globale Gestaltungspotenziale, Herausforderungen sowie Formen des gemeinsamen Zusammenlebens zu teilen. Die über das Internet aber auch über analoge Veranstaltungen eingebrachten Beiträge werden schließlich auf der UN-Generalversammlung im September 2020 den Staats- und Regierungschefs präsentiert werden.

Mit der Einbeziehung explizit zivilgesellschaftlicher Akteure in die Arbeit der Vereinten Nationen greift UN@75 and Beyond auch die Forderung zahlreicher NGOs aus der Entwicklungszusammenarbeit auf, die Zivilgesellschaft in die Gestaltung von internationalen Politiken stärker einzubinden. Gegenstand entsprechender Forderungen bildet hierbei seit vielen Jahren vermehrt das Eintreten für den people-centered multilateralism (PCM), der sich in seinen Ansätzen und Praktiken von eher klassischen Verständnissen multilateraler Zusammenarbeit konzeptionell und praktisch unterscheidet. Im Zentrum des PCM steht eine stärkere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie einzelnen und direkt betroffenen Menschen in die internationale staatliche Zusammenarbeit.  
 

PCM: Die Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren in multilateraler Politik 

Die vielen Definitionen und Arbeiten zum Begriff des Multilateralismus machen eine präzise inhaltliche Festlegung nahezu unmöglich. Weitgehender Konsens besteht jedoch dahingehend, dass mit Multilateralismus Formen der (diplomatischen) Zusammenarbeit zwischen mindestens drei Akteuren im Rahmen der internationalen Politik beschrieben werden. Charakteristisch für das Zusammenwirken von multilateralen Zusammenschüssen ist hierbei das gemeinsame Handeln vor dem Hintergrund beschlossener Prinzipien, Normen und Regelwerke zur Erreichung von gemeinsam und/oder verfahrenstechnisch festgelegten Zielen. 

Während jedoch meist Staaten als die entscheidenden Akteure in Prozessen der multilateralen Zusammenarbeit betrachtet werden, setzen sich Verfechter des PCM für eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in eben solche Prozesse ein. Vorschläge wie eine substanziellere Einbindung von Privatpersonen, NGOs, Wissenschaftlern und Konzernen in multilaterale Prozesse praktisch vollzogen werden kann, sind jedoch ebenso vielseitig wie Definitionen über den Multilateralismus. Beispielsweise schlug der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Dr. Boutros Boutros-Ghali bereits im Jahr 2005 vor, eine nicht-staatliche Generalversammlung mit gewählten Vertretern aus der Zivilgesellschaft als Pendant zur Generalversammlung der Mitgliedstaaten einzurichten. 
 

Warum braucht es PCM? 

Die Agenda 2030

Als zentrale Argumentationsfigur für eine stärkere Integration der Zivilgesellschaft in die internationale Politik wird die Komplexität der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geführt, die in ihrer Entstehung bereits maßgeblich von zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen aus aller Welt konzeptionell geprägt wurde. So betont die NGO We the peoples, dass transnationale Herausforderungen, wie sie in den 17 Entwicklungszielen der Agenda 2030 auftauchen, nicht nur auf zwischenstaatlicher Ebene erfolgreich angegangen werden können. Zu vielschichtig stellen sich globale Entwicklungen, Problemstellungen und Konflikte dar. Diffuse Verteilungen von Machtressourcen auf nicht-staatliche Gruppierungen, Organisationen und transnationale Netzwerke machen ein Umdenken in der Gestaltung einer, noch viel zu oft auf staatliche Akteure ausgerichteten, multilateralen Politik unumgänglich.
 

Entwicklungszusammenarbeit

Neben Argumentationen, welche die Notwendigkeit des PCM hinsichtlich der Agenda 2030 hervorheben, wird vor allem auch in der Entwicklungszusammenarbeit eine stärkere Rolle für die Zivilgesellschaft eingefordert. So setzt sich das Netzwerk UN2020 für eine stärkere Einbindung regionaler Organisationen in die Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen ein, um nachhaltigere Lösung und Ansätze zu erarbeiten, die auf unmittelbare Bedürfnisse der Menschen vor Ort angepasst sind. Hieran anknüpfend betont die Kampagne der britischen UN-Gesellschaft Together First, dass aus staatlichen-und nicht-staatlichen Akteuren bestehende smart coalition models nicht nur passgenauere entwicklungspolitische Maßnahmen erarbeiten, sondern diesen auch eine gesteigerte Legitimität bei den Adressaten der Maßnahmen verleihen können. 

Allerdings ist die Integration der Zivilgesellschaft in politische Prozesse nicht immer möglich. In vielen Ländern der Erde sind Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, weswegen von zahlreichen NGOs ein noch weitreichenderer Einsatz der Vereinten Nationen in der Stärkung der Zivilgesellschaft in betroffenen Ländern gefordert wird. 
 

Die Einbindung der Zivilgesellschaft in die Arbeit der UN

UNICEF: Human Centred Design (HCD) 

HCD stellt einen Ansatz dar, der in der Konzeption und Durchführung von entwicklungspolitischen Maßnahmen auf enge Kooperationen mit betroffenen Menschen setzt, um hierdurch komplexe und vielschichtige Problemlagen auf Projektebene effektiver berücksichtigen zu können. Mit der Anwendung des HCD konnte UNICEF vorrangig in Malaysia große Erfolge verzeichnen. So wurden durch UNICEF unter anderem bauliche Modernisierungen im öffentlichen Raum in Kooperation mit bewegungseingeschränkten Kindern vor Ort und ihren Betreuern vollzogen. In Myanmar kooperierten UNICEF und das Ministerium für soziale Sicherheit mit der lokalen NGO Point B bei der Ausbildung von Case-Managern.
 

Multi-Stakeholder Groups

In ihren verfahrenstechnischen Richtlinien betonen zahlreiche Organisationen der UN-Familie wie UNDP, IOM, ITC, UNHCR, UN Women, UNFPA und UNITAR, wie wichtig es ist, viele unterschiedliche Akteure in die Erarbeitung und Durchführung von entwicklungspolitischen Maßnahmen einzubinden. Die Berücksichtigung von Erfahrung und Wissen von Menschen vor Ort helfe Herausforderungen ganzheitlich angehen zu können und gleichzeitig lokale Bereitschaft zur Mithilfe an Projekten zu erzeugen. Erfolgreich zeigt sich dieses Vorgehen beispielsweise in Imbabura und Pichincha (Ecuador), wo öffentliche und private Institutionen sowie zivilgesellschaftliche und internationale Organisationen mit Migrantinnen und Migranten zusammenarbeiten. 

Komplexer werdende Lebensrealitäten machen es notwendig, Kenntnisse über lokale Dynamiken in die Entwicklung von politischen Maßnahmen einzubinden. Die Eingliederung von betroffenen Menschen in die staatliche Zusammenarbeit birgt dabei das Potenzial, komplexe und vielseitige Lebenssituationen für die internationale Politik offen zu legen. 

Vincent Berendes


Das könnte Sie auch interessieren


  • Eine Menschenschlange vor einem Wahllokal bei den Parlamentswahlen in Timore-Leste.

    Eine Perspektive jenseits des Multilateralismus

    26.05.2020
    Internationale Institutionen - auch die Vereinten Nationen - können nur so stark sein, wie die Mitgliedstaaten es zulassen. Globale Abhängigkeiten erfordern aber ein beherztes und vor allem demokratisch legitimiertes Handeln. Die demokratische Reform… mehr

  • Standpunkt | Inklusion statt Systemkonkurrenz

    Standpunkt | Inklusion statt Systemkonkurrenz

    19.12.2022
    Dr. Pascal Abb ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens und Konfliktforschung (HSFK), Prof. Dr. Hanna Pfeifer und Prof. Dr. Jonas Wolff arbeiten ebenfalls an der HSFK sowie an der Goethe-Universität… mehr

  • Wie legitim sind die UN?

    Wie legitim sind die UN?

    20.08.2020
    Das 75. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen ist Anlass genug, um über die Legitimität der Organisation nachzudenken. Anzeichen für einen säkularen Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit scheint es keine zu geben. Dies steht im Kontrast zur… mehr