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In Gefahr: Der Ursprung aller Nahrungsmittel

Die wachsende Weltbevölkerung in Zeiten der Klimakrise zu ernähren, ist eine der drängendsten Herausforderungen. Daher ist Ernährungssicherheit eine Top-Priorität der UN. Doch wie zukunftssicher ist der Einsatz der FAO, wenn es um den Ursprung aller Nahrungsmittel – das Saatgut – geht?

Mongolische Bäuerinnen arbeiten im „Fruchtsamen-Projekt“ in der Provinz Khovd, das von UNDP unterstützt wird. (UN Photo/Eskinder Debebe)

Saatgut ist der Ursprung unserer Nahrungsmittel. Doch die biologische und genetische Vielfalt in der Landwirtschaft, die sogenannte Agrobiodiversität, schwindet rasant: Von den weltweit schätzungsweise 30.000 essbaren Pflanzensorten, sogenannte Kulturpflanzen, kommen nur etwa 200 Sorten auf unsere Teller. Laut Schätzungen der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization – FAO) sind in den letzten 100 Jahren 75 Prozent aller Kulturpflanzen verloren gegangen, in der Europäischen Union sogar 90 Prozent.  

Die Aufrechterhaltung der Agrobiodiversität und die damit verbundene Vielfalt von Saatgut ist essenziell für die weltweite Ernährungssicherheit und damit das zweite Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal – SDG 2) und das Menschenrecht auf Nahrung. Sie ermöglicht die Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an sich verändernde Klima- und Umweltbedingungen und die Widerstandsfähigkeit (Resistenz) gegen bestimmte Krankheiten und Parasiten. Daher hat der rapide Verlust von Agrobiodiversität dramatische Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit. Die FAO hält hier eine zentrale Rolle inne: Sie wurde gegründet, um die weltweite Agrobiodiversität zu erhalten, einen gerechten Zugang und eine gerechte Verteilung zu garantieren, um damit Ernährungssicherheit und einen guten Lebensstandard umzusetzen. Doch ist der Einsatz der FAO zielführend, wenn es um die Aufrechterhaltung der Agrobiodiversität und den gerechten Zugang zu ihr geht?

Die industrielle Landwirtschaft als Treiber des Verlusts von Agrobiodiversität

Die industrielle Landwirtschaft trägt durch Monokulturen, Waldrodungen, Übernutzung der bestehenden landwirtschaftlichen Flächen, Zerschneidung natürlicher Lebensräume und den Einsatz von Pestiziden maßgeblich zum Verlust an Agrobiodiversität bei.

Mit der weltweiten Ausweitung der industriellen Landwirtschaft nimmt die Konzentration auf einige wenige, besonders ertragreiche, Kulturpflanzen zu. Schon heute wird die Hälfte der Welternährung lediglich durch Mais, Reis und Weizen gedeckt und nur neun  Pflanzenarten machen 75 Prozent der globalen Erntemenge aus. Auch innerhalb dieser Arten geht die Vielfalt zurück: Anstelle einer Vielfalt von tausenden, jeweils an die besonderen lokalen Bedingungen angepassten, regionalen Saatgutarten dominieren heute vielerorts wenige Hochertragssorten die Felder. Damit geht nicht nur die Saatgut-Vielfalt verloren, sondern auch das jahrhundertealte Wissen und die Erfahrung von Landwirten und Landwirtinnen über deren Zucht und Anbau.

Drei Konzerne beherrschen den globalen Saatgutmarkt

Damit ist die industriellen Landwirtschaft maßgeblich dafür verantwortlich, dass heute weltweit nur noch 25 Prozent der Kulturpflanzen übrig sind. Dieselben Konzerne, die diese Art der Landwirtschaft verbreiten, sind es auch, die den globalen Markt des kommerziellen Saatguts, des Saatguts mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO-Saatgut) und der chemischen Pestizide kontrollieren. Die Konzentration am globalen Markt führt zu geringerem Wettbewerb und dadurch können diese Konzerne die Produkte, Preise und Qualität maßgeblich bestimmen. Mit ihrer Marktmacht nehmen die Konzerne einen direkt Einfluss auf Gesetzgebungen.

Nach der Fusion der größten Unternehmen am Saatgutmarkt beherrschen heute drei Konzerne mehr als 60 Prozent der Märkte für Saatgut und Agrar-Chemikalien: der US-Konzern DowDuPont, der chinesische Konzern ChemChina und der deutsche Konzern Bayer. Diese Konzerne bieten fast jedes GVO-Saatgut an und besitzen die Mehrheit aller Patente und Sortenschutztitel. Seit einigen Jahren wächst dieser Markt jährlich um fast 6 Prozent. Prognosen zufolge soll er bis 2025 mehr als 61 Milliarden US-Dollar wert sein.

Neue enge Zusammenarbeit der FAO mit Agrar-Konzernen

Die FAO arbeitet eng mit diesen Saatgut- und Pestizidkonzernen zusammen. Im November 2020 unterzeichnete sie eine Absichtserklärung in der die formelle Kooperation mit CropLife International, dem Wirtschaftsverband der weltweit größten Agrarkonzerne, „erneuert und verstärkt“ wird. In Zukunft wolle man noch enger zusammenarbeiten, vor allem in den Bereichen des sogenannten „integrierten Schädlingsmanagement“, um die ländliche Entwicklung durch Investitionen und digitale Innovationen zu fördern.

Daraufhin haben 350 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 63 Ländern, die hunderttausende von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie tausende Menschenrechtsaktivistinnen vertreten, dem FAO-Generaldirektor, Qu Dongyu, einen offenen Brief geschrieben, in dem sie ihn auffordern, von dieser Kooperation wieder zurückzutreten. Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit haben diese Forderungen unterstützt und ebenfalls einen sofortigen Rücktritt von der Kooperation gefordert. Denn die FAO sollte nicht Privatkonzerne unterstützen, die vom Verkauf von Produkten profitieren, die nachweislich schädliche Auswirkungen auf die Agrobiodiversität, und die Funktion von Ökosystemen haben und die darüber hinaus die Gesundheit und den Lebensunterhalt von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern negativ beeinträchtigen sowie indigene Gemeinschaften gefährden. Eine strategische Ausrichtung der FAO auf diese Industrie stellt laut den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern einen fundamentalen Interessenkonflikt mit der Mission und dem Mandat der UN dar. Denn diese sind es, die biologische Vielfalt zu schützen, das Gemeinwohl zu unterstützen und die Menschenrechte zu respektieren.

Das globale Agrar- und Ernährungssystem am Scheideweg

Alle Ernährungssysteme hängen von der Agrobiodiversität ab. Je vielfältiger das Saatgut, umso krisenresistenter und gesünder die Nahrung. Während die industrielle Landwirtschaft hauptverantwortlich für den Verlust der Agrodiversität ist, gibt es ‚Bottom-up‘-Ansätze wie die Agrarökologie, die Ökosysteme nachhaltig schützt und für die Diversität auf Acker und Teller ein Grundelement ist. Die Agrarökologie stellt bestäubtes und lokal angepasstes Saatgut an die Basis ihres Ansatzes, denn der Zugang zu diesem Saatgut ist frei von Unternehmenskontrolle. Landwirtinnen und Landwirte können dieses Saatgut über lokale Märkte und informelle Handelsnetze tauschen, weiter züchten, teilen und verkaufen. Somit können sie nicht nur lokal angepasste und vielfältige Pflanzen anbauen, sondern auch ein gutes Einkommen aus der Züchtung und dem Verkauf von Saatgut erzielen.

Die FAO verfolgt beide Ansätze: Sie arbeitet mit Konzernen zusammen, um die industrielle Landwirtschaft zu verbessern und voranzutreiben und sie arbeitet mit Organisationen zusammen, um ökologische Ansätze wie die Agrarökologie zu unterstützen und zu verbreiten. Doch indem die FAO mit diesen Agrar-Konzernen zusammenarbeitet, fördert sie auch die Verbreitung der industriellen Landwirtschaft und die Konzerne werden ihren Absatz weiter erhöhen und ihre Marktmacht noch mehr ausbauen können. Solange diese Konzerne an einem Agrarmodell festhalten, das allein auf Produktivitätssteigerungen, Monokulturen, den Einsatz von Pestiziden und GVO-Saatgut setzt, wird die Agrobiodiversität immer mehr abnehmen. Einmal verloren gegangenes Saatgut ist für immer verloren.

Laura Reiner


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