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Jemen: Saudi-Arabien blockiert weiter Untersuchung von Kriegsverbrechen

Mit einem schweren Luftangriff der von Saudi-Arabien geführten Koalition auf eine Trauerfeier erreichte der Krieg im Jemen einen weiteren tragischen Höhepunkt. Nun sollen 72 Stunden Waffenruhe herrschen. Es besteht die vage Hoffnung, dass diese verlängert werden könnte, um erneuten Friedensgesprächen den Weg zu bahnen. Eine unabhängige Untersuchung der möglichen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Jemen durch die Vereinten Nationen ist, trotz Bemühungen des Hohen Kommissars für Menschenrechte, jedoch noch nicht in Sicht. Denn Saudi-Arabien blockiert das Vorhaben im UN-Menschenrechtsrat. Menschenrechtsorganisationen fordern nicht nur deshalb einen Ausschluss Saudi-Arabiens aus dem Rat.

Der Einschlagsort einer Bombe ist zu sehen. Komplett ausgebrannte Autos, verkohlte Rest und schwarze Erde, Trümmer. Dazwischen stehen einige Männer.
Einer der zivilen Orte im Jemen, der von einer Bombe der durch Saudi-Arabien angeführten Koalition getroffen wurde. (Foto: Almigad Mojalli/IRIN)

Seit 2014 bekriegen sich im Jemen Huthi-Rebellen und die Regierung. Unterstützt wird die jemenitische Regierung dabei von Bodentruppen und Luftangriffen einer von Saudi-Arabien angeführten Koalition. Westliche Verbündete wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und das Vereinigte Königreich unterstützen die Koalition beratend und logistisch.

Die am 19. Oktober deklarierte 72-stündige Waffenruhe beinhaltet nach Angaben des Sondergesandten der Vereinten Nationen für den Jemen, Ismail Ould Cheikh Ahmed, vor allem die Verpflichtung, humanitärer Hilfe und Hilfspersonal ungehinderten Zugang zu allen Regionen im Jemen zu gewähren und die Friedensverhandlungen fortzusetzen. Zuvor waren bereits mehrere Versuche gescheitert, eine dauerhafte Unterbrechung der Kampfhandlungen zu erwirken. Erst im August 2016 war die letzte Waffenruhe ausgesetzt worden.

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden im Bürgerkrieg bisher drei Millionen Jemeniterinnen und Jemeniter vertrieben und fast 7000 getötet, ein Großteil davon Zivilisten. Die Bevölkerung des Jemen, eines der ärmsten Länder weltweit, befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder sind unterernährt und 80% der Bevölkerung auf mindestens eine Form humanitärer Hilfe angewiesen.

Zivilisten werden Opfer von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen

Die Bombardierung einer Trauerfeier durch die Koalition mit mindestens 140 Todesopfern am 8. Oktober in Sana’a markiert nur einen Höhepunkt in einer Reihe von möglichen Verstößen der Konfliktparteien gegen das Humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Mit außergewöhnlicher Härte verurteilten der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein und der Generalsekretär Ban Ki-moon die Angriffe als „abscheulich“ und „skandalös“.

Nach Angaben des Amts des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) und diverser Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen oder Human Rights Watch kam es im Verlauf der bisherigen Kampfhandlungen im Jemen wiederholt zu Luft- und Artillerieangriffen auf zivile Ziele wie Wohngebiete, Betriebe, Marktplätze, Schulen und Krankenhäuser, die keinerlei militärische Relevanz hatten und besonderem Schutz durch das Humanitäre Völkerrecht unterstehen. Erst kürzlich unterstrich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut den Schutzstatus von Krankenhäusern (S/RES/2286 (2016)).

In einem detaillierten Bericht an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen schildert das OHCHR weitere Verletzungen internationalen Rechts, die teils auch Kriegsverbrechen gleichkommen könnten. Hierzu zählen nicht nur die Artillerie- und Luftangriffe auf Zivilisten, sondern auch die Verwendung von sogenannter Cluster-Munition und Landminen, sexuelle Gewalt, Freiheitsentzug, Rekrutierung von Kindern für militärische Zwecke, außergerichtliche Hinrichtungen, Zwangsumsiedlungen und Vertreibung.

Ein Junge sitzt neben einem Erwachsenen auf einer Ladefläche eines Pick-Up und hat ein Sturmgewehr in der Hand. Er lächelt. Der Mann schaut ihn interessiert an. Im Hintergrund sind Ruinen zu sehen. Ganz links sitzt ein weiterer etwas älterer junger Man
Alle Konfliktparteien verletzen massiv Kinderrechte. Saudi Arabien wurde deshalb auf eine sogenannte schwarze Liste gesetzt, später aber wieder gestrichen. (Foto: Mohammed Al-Ariqi/IRIN)

Unabhängige Untersuchungen mehrfach erfolglos gefordert

Die entsprechenden Stellen bei den Vereinten Nationen betonen stets, dass alle Konfliktparteien ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht gerecht werden. Dennoch stellte der Hochkommissar im März 2016 fest, dass es den Anschein habe, als ob die von Saudi-Arabien angeführte Koalition für doppelt so viele zivile Opfer verantwortlich sei wie alle anderen Konfliktparteien zusammengerechnet. Das sei hauptsächlich den Luftangriffen der Koalition zuzuschreiben.

Trotz der zahlreichen und schwerwiegenden Vorwürfe hat bisher keine unabhängige Untersuchung der Ereignisse im Jemen durch die Vereinten Nationen stattgefunden. Insgesamt zwei Resolutionen des Menschenrechtsrats aus den Jahren 2015 und 2016, die diese Forderung aufgriffen, wurden zurückgezogen (A/HRC/30/L.4/Rev.1 und A/HRC/33/L.32). Beide waren vorrangig von Staaten der Europäischen Union eingebracht worden. Anstelle dessen beschloss der Menschenrechtsrat die Resolution A/HRC/30/18. Sie wurde von Saudi-Arabien eingebracht und hauptsächlich von der arabischen Staatengruppe mitgetragen. Statt einer Untersuchung durch das OHCHR selbst, wurde der Hochkommissar ersucht, einer nationalen jemenitischen Untersuchungskommission zu assistieren. Diese wurde vom jemenitischen Staatspräsidenten im Exil per Dekret ins Leben gerufen; genau dem Präsidenten, der von Saudi-Arabiens geführter Koalition unterstützt wird.

Es ist nicht verwundernswert, dass die Unabhängigkeit, die Glaubwürdigkeit und die Effizienz dieser Kommission in Frage gestellt wurden. Ein Zusammenschluss mehrerer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisierte: sie habe unter anderem keinen Zugang zu allen Gebieten im Jemen und fokussiere sich vor allem auf Verstöße der Huthi-Rebellen und anderer Rebellenmilizen, nicht jedoch auf die der Koalition. Ähnlich äußerte sich auch der Hochkommissar Al Hussein. Ebenso kritisch wird auch die Arbeit einer von Saudi-Arabien im August 2016 eingesetzten Kommission (engl. Joint Incidents Assessment Team) bewertet.

Schatten auf dem Menschenrechtsrat

Auf der Ebene der Vereinten Nationen bleibt trotz der bisherigen Rückschläge weiterhin die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung bestehen. Insbesondere im Lichte des verheerenden Luftangriffs auf die Trauerfeier bietet sich die Gelegenheit, diesen Nachdruck zu verleihen. Die Waffenruhe wird wohl eher keine Gelegenheit für eine solche Forderung bieten. Die viel zu wenigen Stunden müssen gänzlich ausgenutzt werden um die Bevölkerung im Jemen zu versorgen. Ein gerechter Friedensprozess, aufbauend auf der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen der Konfliktparteien, ist aber ebenso wenig denkbar.

Der Krieg im Jemen wirft jedoch auch wieder einen Schatten auf die Handlungsfähigkeit des Menschenrechtsrats, der dieses Jahr sein zehntes Jubiläum feiert. Dessen Menschenrechtsschutzinstrumente werden im Hinblick auf den Jemen durch Saudi-Arabien blockiert, das noch bis Ende des Jahres Mitglied des Rates ist und wiedergewählt werden möchte. Das wirft berechtigterweise Fragen nach der Legitimität des Rates auf.

Saudi-Arabien ist dieses Jahr bereits in den Fokus gerückt, als es auf einer sogenannten „schwarzen Liste“ der Staaten und Gruppierungen landete, die Kinderrechte verletzten. In Folge dessen drohte der Golfstaat unter anderem mit dem Einfrieren der Mitgliedsbeiträge für die Vereinten Nationen. Mit Erfolg: Das Generalsekretariat strich den Staat von der Liste.

Vier Vertreter*innen con Amnesty International und Human Rights Watch bei einer ressekonferenz sitzen an einem Tisch und schauen zu den Jounalisten. Im Hintergrund stehen die jeweiligen Werbetafeln der Organisationen.
Repräsentanten informieren die Presse über die Mitgliedschaft Saudi-Arabiens im Menschenrechtsrat und seine Rolle im Jemen. 29. Juni 2016, Vereinte Nationen, New York. (UN Photo/Loey Felipe)

Ausschluss Saudi Arabiens

In Anbetracht dieser Umstände werden insbesondere aus der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Stimmen lauter, die im Schulterschluss mit Menschenrechtsorganisationen ein resoluteres Handeln fordern: den Ausschluss Saudi-Arabiens aus dem Menschenrechtsrat. Dabei verweisen NGOs auch auf die Menschenrechtslage im Golfstaat selbst (vgl. Human Rights Watch). Ein Ausschluss ist theoretisch möglich und wurde 2011 bereits im Falle Libyens praktiziert. Notwendig ist hierzu eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung. Zu bedenken ist jedoch, dass Saudi-Arabien derzeit mit Sicherheit nicht das einzige Mitglied des Menschenrechtsrats ist, das eine zweifelhafte Menschenrechtsbilanz aufweist (vgl. Mitgliedsstaaten).

Eine weitere Handlungsoption ist auch bilateraler Druck der Mitgliedstaaten auf Saudi-Arabien. Immerhin zählen Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich zu den wichtigsten Waffenlieferanten des Königreichs Saudi-Arabien und unterstützen teilweise die Koalition logistisch bei den Luftschlägen.

Welche dieser Optionen die erfolgversprechendste ist, bleibt den Regierungen der Mitgliedstaaten überlassen. Fest steht jedoch, dass die derzeitige Lähmung des Menschenrechtsrats im Hinblick auf den Jemen zahlreiche Opfer fordert und seine Legitimation und Reputation beschädigt. Und noch eines ist gewiss: am 28. Oktober 2016 wählt die Generalversammlung 14 Mitglieder in den Menschenrechtsrat. Eine Wiederwahl Saudi-Arabiens zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein fatales Signal.


Prokop Bowtromiuk


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