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Karibik: Wirksamere Sozialpolitik und erhöhte Widerstandsfähigkeit unverzichtbar

„Die Verletzlichkeit der Karibik nimmt zu. Die Region sieht sich mit einer zunehmenden multidimensionalen Armut konfrontiert. Es gab im Laufe der letzten Jahrzehnte ein anhaltend niedriges Wachstum und eine Erosion früherer Erfolge auf dem Gebiet der menschlichen Entwicklung.“ Dies schreibt Helen Clark, die Exekutivdirektorin des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, im Vorwort des gerade erschienenen regionalen „Berichtes über die menschliche Entwicklung“ für die Karibik.

Titelseite der Studie ist sehr bunt
Ein neuer UNDP-Bericht stellt die karibischen Regierungen vor die Aufgabe einer Neuausrichtung ihrer Entwicklungs- und Sozialpolitik.

Der regionale „Bericht über die menschliche Entwicklung“ unter dem Titel „Multidimensional Progress: human resilience beyond income“ („Multidimensionaler Fortschritt: menschliche Widerstandsfähigkeit jenseits der Frage des Einkommens“) hebt hervor, dass Entwicklung nicht lediglich an Prokopfeinkommen, Wachstumsraten und Bruttosozialprodukt gemessen werden kann. Nichts, was die Rechte der Menschen oder die ökologische Nachhaltigkeit beeinträchtigt, könne als Fortschritt bezeichnet werden, wird im Bericht festgestellt.

Verschuldung als Entwicklungshindernis

Die karibischen Staaten werden in ihrer Entwicklung durch eine hohe Schuldenlast beeinträchtigt. Da sie aber zu den Ländern mit einem mittleren Einkommen gezählt werden, profitieren sie nicht von verschiedenen internationalen Entschuldungsinitiativen. Die Verfasser des Berichtes plädieren dafür, die Kriterien für den Zugang zu solchen Programmen zu überprüfen und die ökonomische und ökologische Verletzlichkeit der karibischen Staaten stärker zu berücksichtigen.

Jessica Faieta, die UNDP-Regionaldirektorin für Lateinamerika und die Karibik, betonte bei der Präsentation des Berichtes: „Die Herausforderungen einer nachhaltigen, ganzheitlichen und umfassenden Entwicklung enden nicht beim Überschreiten einer bestimmten Einkommensschwelle: Wir ‚graduieren‘ nicht von Entwicklungsschwierigkeiten, wenn wir keine angemessenen Antworten auf die multiplen Dimensionen finden, die Menschen daran hindern, ein Leben zu führen, dass sie als wertvoll betrachten.“

Hohe Anforderungen für das Erreichen der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Im Bericht wird hervorgehoben, dass ein breites Spektrum von Investitionen erforderlich ist, um die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Investitionen in Menschen, Umwelt, nachhaltige und bezahlbare Energie, institutionelle Effizienz, Stabilität und Sicherheit gehören zu den zentralen Faktoren, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

„Das Wirtschaftswachstum in der Karibik ist bisher nicht inklusiv. Viele Disparitäten und Verletzlichkeiten werden bei der Untersuchung von Armut, Ungleichheit und multidimensionalen Fortschritt offenkundig. Es ist ein grundlegend neuer Ansatz beim Wirtschaftswachstum erforderlich, der den Fokus auf menschlichen Fortschritt legt. Die neue Perspektive für das Wirtschaftswachstum muss Inklusion zum zentralen strategischen Element machen und darf nicht zulasten der Umwelt gehen.“

Aus dem „Bericht für die menschliche Entwicklung“ für die Karibik

Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass dieses Wirtschaftswachstum inklusiv ist, die Menschen stärkt, niemanden zurücklässt und nicht auf Kosten der Umwelt erzielt wird.

Besonders verletzliche Gruppen müssen im Mittelpunkt stehen

Ausführlich befasst sich der UNDP-Bericht mit der Frage, wie besonders verletzliche soziale Gruppen von einer umfassenden nachhaltigen Entwicklung profitieren können. So wird diagnostiziert, dass Frauen bisher auf dem Arbeitsmarkt stark benachteiligt sind und weniger verdienen und weniger qualifizierte Jobs erhalten als Männer. Auch sind sie stärker von der hohen Arbeitslosigkeit in der Region betroffen. Das ist der Fall, obwohl Frauen in der Karibik über eine deutlich bessere Bildung verfügen als Männer. Dieser Bildungsvorsprung wirkt sich auch im politischen Leben nicht aus, denn Frauen stellen höchsten ein Viertel der Parlamentsabgeordneten in den karibischen Staaten, in manchen Fällen sogar deutlich weniger als ein Zehntel.

Für die Jugend ist die Arbeitslosigkeit eine der gravierendsten Formen des Ausschlusses. In fast allen Ländern haben zwischen 18 und 47 % der jungen Leute keinen Job. Die Jugendarbeitslosigkeit ist zwei- bis dreimal so hoch wie die der Erwachsenen. Die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten vieler junger Frauen werden durch frühe Schwangerschaft stark eingeschränkt. Junge Männer sind häufig Täter oder Opfer der hohen Kriminalität in der Region. Erforderlich sind zudem entschlossene Maßnahmen gegen die weit verbreitete Kinderarbeit.

Der Anteil älterer Menschen an der karibischen Bevölkerung steigt rascher als in Lateinamerika, verbunden mit einer hohen Altersarmut vor allem von älteren Frauen. Besonders sie leiden darunter, dass die Rentensysteme unzureichend sind und auf eine ineffiziente Weise verwaltet werden.

Die indigene und Schwarze Bevölkerung ist überproportional häufig von Armut, Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft junger Frauen und Drogenmissbrauch betroffen, wird im Bericht festgestellt.

Soziale Investitionen als Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung

Zu den beunruhigenden Ergebnissen des Berichtes gehört, dass die karibischen Staaten proportional nur ein Zehntel dessen für staatliche Sozialprogramme ausgeben wie lateinamerikanische Länder. Um so dringender ist es nach UNDP-Einschätzung, dass die karibischen Regierungen vor allem vier Bereiche fördern: soziale Absicherung, soziale Versorgungssysteme (vor allem für Kinder und für ältere Menschen), materielle und finanzielle Vermögensbildung (um Krisensituationen besser überstehen zu können) sowie berufliche Aus- und Fortbildung.

Im Bericht wird betont, dass anerkannt werden muss, dass Wirtschaftswachstum und die Erhöhung der Durchschnittseinkommen allein nicht ausreichen, um Menschen von Armut zu befreien. „Als eine Konsequenz sind Maßnahmen von entscheidender Bedeutung, die auf zentralen Ursachen von Verletzlichkeit und Entbehrungen abzielen und diese bekämpfen. Es gilt, die Anpassungsfähigkeiten auf Gebieten wie Bildung, Gesundheit, Ausbildung, Beschäftigung und sozialer Absicherung zu stärken.“ Das stellt, geht aus dem Bericht hervor, die karibischen Regierungen vor gewaltige Aufgaben bei der Formulierung und vor allem Umsetzung einer Politik der umfassenden menschlichen Entwicklung.

Frank Kürschner-Pelkmann

 


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