(K)ein Licht am Ende des Tunnels?
Am 18. und 19. September 2023 kamen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zum SDG-Gipfel in New York zusammen, um zur Halbzeit der Agenda 2030 Bilanz zu ziehen. Eine düstere Bilanz, denn nach den aktuellen Berechnungen des Weltberichts über nachhaltige Entwicklung, der eigens zum Gipfel angefertigt wurde, wird die Weltgemeinschaft bei gleichbleibendem Tempo die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) nicht einmal zum Jahr 2050 erreicht haben.
UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Staaten daher beim Gipfel auf, einen »Rettungsplan für die SDGs« zu verabschieden und sich auf konkrete Maßnahmen für die zweite Halbzeit der Agenda 2030 zu einigen. Das offizielle Ergebnis des Gipfels – die politische Erklärung – wird dem allerdings kaum gerecht. Sie enthält viele Versprechungen, jedoch kaum konkrete Maßnahmen. Angesichts des erschreckenden Umsetzungsstandes zur Halbzeit kommt nun vermehrt die Frage nach dem Sinn der Agenda 2030 auf. Kritische Stimmen fragen, ob die Agenda 2030 überhaupt noch verfolgt werden sollte oder ob die Staaten nicht schon über die Verhandlung einer Nachfolge-Agenda nachdenken sollten, wenn die Ziele der Agenda 2030 doch ohnehin nicht mehr erreicht werden könnten.
Zu ehrgeizige Ziele oder Agenda mit Potenzial?
Wird die eigentlich so ehrgeizige Agenda 2030 nur eine weitere unerreichte UN-Agenda, so wie es beispielsweise bei den Millennium-Entwicklungszielen (Millennium Development Goals, MDGs) der Fall war, die bis 2015 erreicht werden sollten? Aus Sicht vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen gibt es einige Gründe, um trotz der schlechten Bilanz weiterhin an der Agenda 2030 und den Zielen für nachhaltige Entwicklung festzuhalten.
Die Agenda 2030 ist das ambitionierteste und umfassendste Abkommen zu Umwelt- und Entwicklungsfragen, auf das sich die Staatengemeinschaft je geeinigt hat und schon allein deshalb von ungeheurem Wert. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Spannungen würde eine Nachfolge-Agenda (sollte man sich denn überhaupt auf eine solche einigen können) mit großer Sicherheit nicht annährend so ehrgeizig ausfallen. Mit realistischeren beziehungsweise leichter erreichbaren Zielen hätte man im Endeffekt aber nichts gewonnen.
Dass beim diesjährigen SDG-Gipfel überhaupt eine politische Erklärung verabschiedet werden konnte (wenn auch mit Vorbehalten einiger Staaten) und dies in Teilen als Erfolg gefeiert wurde, verdeutlicht das Problem, aber auch das Potenzial der Agenda 2030. Unabhängig von ihrem Umsetzungsstand ist und bleibt die Agenda 2030 ein wichtiger Referenzrahmen, zu dem sich die Staats- und Regierungschefs der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Halbzeit erneut bekannt haben. Sie bietet damit nicht nur den Staatenvertreterinnen und -vertretern eine wichtige Gesprächsgrundlage für das gemeinsame Erreichen von Zielen, sondern stellt auch für zivilgesellschaftliche Akteure einen wichtigen Bezugspunkt dar. Als Regierungsagenda mit klar festgesetzten Zielen bietet sie diesen einen Referenzrahmen, um Handlungen und Umsetzung einzufordern.
Das große Potenzial der Agenda 2030 ist klar ersichtlich. Worauf könnte oder sollte nun in den kommenden sieben Jahren der Fokus gelegt werden? Klar ist: Den Ehrgeiz, den die Staaten bei der Verhandlung der Ziele im Jahr 2015 an den Tag gelegt haben, müssten sie nun auch bei der Umsetzung zeigen, vor allem bei der Bereitstellung der Mittel. Ehrgeizige Ziele erfordern ehrgeizige Mittel. Das ist bisher nicht ausreichend der Fall. Schuldenschnitte, eine Reform der internationalen Finanzarchitektur, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe und 100 Milliarden US-Dollar jährlich fürs Klima wären ein Anfang. Darüber hinaus könnten eine stärkere Einbindung der Parlamente sowie die gesetzliche Verankerung der Agenda 2030 in der zweiten Halbzeit zu mehr Verbindlichkeit bei der Umsetzung führen.
Großes Potenzial schlummert auch auf lokaler Ebene. Viele zivilgesellschaftliche Initiativen und lokale Gemeinschaften treiben die Umsetzung der Agenda 2030 auf lokaler Ebene voran. Darüber hinaus haben mittlerweile zahlreiche Städte und Kommunen in Anlehnung an die Agenda 2030 eigene Nachhaltigkeitsstrategien aufgesetzt und berichten über deren Umsetzung mit Lokalberichten, sogenannten Voluntary Local Reviews – als Pendant zu den Staatenberichten (Voluntary National Reviews) beim Hochrangigen Politischen Forum (High- Level Political Forum, HLPF) in New York.
Wie geht es nun weiter?
Mit dem im September 2021 vorgelegten Bericht »Unsere gemeinsame Agenda« hat UN-Generalsekretär Guterres einige konkrete Reformvorschläge gemacht, die nicht nur den Multilateralismus und die Vereinten Nationen stärken sollen, sondern auch ein »Booster-Shot« für die Umsetzung der Ziele sein können. Mit dem Zukunftsgipfel, dem »Summit for the Future«, dessen Verhandlungsführer Deutschland und Namibia sind, steht im Jahr 2024 ein weiterer wichtiger UN-Gipfel für die SDGs bevor. Genau dort müssen sich die Staaten dann darüber unterhalten, wie und mit welchen Mitteln die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung gestärkt werden kann. Dass Deutschland bei diesem Gipfel Verhandlungsführer sein wird, könnte auch für die deutsche Zivilgesellschaft die Möglichkeit bieten, verstärkt Einfluss zu nehmen.
Eileen Roth Und Judith Hermann, Forum Umwelt und Entwicklung