Myanmar – reiches Land mit armen Menschen
Diese Woche reist Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier nach Myanmar – ein Land, das wegen seiner mutigen Schritte hin zur Demokratie oft im Blickfeld ist – in den Medien, in politischen Diskussionen, auch in der diesjährigen Studienreise der DGVN.
Deutschland ist auf bilateraler Ebene konstruktiv engagiert in Myanmar. Programme der GIZ unterstützen den Demokratisierungsprozess, beraten das junge Parlament sowie Klein- und Mittelbetriebe. Die politischen Stiftungen begleiteten die wichtigen Wahlen Ende 2015 mit politischer Bildungsarbeit und Wahlbeobachtung; die wiederzugelassenen Gewerkschaften profitieren von Fachberatung und Austausch. Das Goethe-Institut bietet sich als Austauschplattform für die kreativen jungen Menschen des Landes an. Aber Deutschland hätte noch mehr zu bieten.
Myanmars Übergang zu einer gerechten Demokratie ist äußerst fragil. Die Landbevölkerung ist desillusioniert, weil sie zunehmend unter Landraub leidet und nach wie vor 70% der Bevölkerung keinen Strom hat. Arbeitnehmer in der Staatsbetrieben verlieren im Zuge von Privatisierungen Arbeitsplatz oder Rentenansprüche. In den Sonderwirtschaftszonen sind Gewerkschaften nicht zugelassen, und Fachkräfte aus anderen Ländern werden statt der Myanmaresen eingestellt.
Waffenstillstandsverhandlungen mit den 18 Armeen ethnischer Minderheiten werden immer wieder unterlaufen. In den nördlichen Bundesstaaten Kachin und Shan leben mindestens 100.000 Binnenvertriebene, die vor Angriffen beider Seiten fliehen. Die Unterdrückung der Minderheit der Rohingya droht nun in einen fundamentalistisch-angefachten bewaffneten Konflikt umzuschlagen.
Diese Ungerechtigkeiten und Konflikte müssen dringend angegangen werden. Sie verletzen systematisch die Menschenrechte. Sie unterminieren die Bemühungen, eine Demokratie aufzubauen, denn die Ausübung von Macht und totaler Kontrolle sind tief im Militär und Teilen des alten Regierungsapparats verankert und perpetuieren sich leicht, trotz der neuen Regierungsführung unter der charismatischen Aung San Suu Kyi.
Und: es ist wichtig, sich dieser Konflikte bewusst zu sein, gerade weil sie in den ökonomisch-boomenden Zentren des Landes – Yangon, Nay Pyi Taw, Mandalay, Myawaddy – völlig unsichtbar sind. Dort gibt es luxuriöse Einkaufsgalerien, 5-Sterne-Hotels, teure Autos, eine kosmopolitische Oberschicht und eine jeunesse dorée. Dies vermittelt leicht den trügerischen Eindruck, alles sei auf dem besten Weg.
Die Konflikte haben vielschichtige, hochkomplexe Ursachen. Aber allen gemeinsam ist die enorme Ungleichverteilung in Myanmar. Eine Konferenz des Ministeriums für Planung und Finanzen letzte Woche in der Hauptstadt Nay Pyi Taw stellte sich den Herausforderungen, angesichts der Tatsache, dass 70% der Bevölkerung nach wie vor unter der Armutsgrenze leben.
Eine Strategie, die Einkommensarmut zu bewältigen, ist Migration. Geschätzte 3 Millionen Myanmaresen, vor allem die verarmte Landbevölkerung und junge Menschen aus den Konfliktgebieten, arbeiten in hochprekären, ausbeuterischen Jobs in Nachbarländern und in den Golfstaaten. Eine andere Strategie ist Kinderarbeit. Für die meisten Kinder hört die Schule mit der 5. Klasse auf, und UNICEF Myanmar berichtet, dass ein Viertel der Kinder in der Altersgruppe 5-14 Jahren arbeiten, und zwar bis zu 52 Stunden in der Woche.
Dabei könnte das Armutsproblem leicht angegangen werden, denn Myanmar ist ein reiches Land – mit armen Menschen. Myanmar hat immense Bodenschätze – Erdöl, Erdgas, Teak, Edelsteine, Jade. Die Wachstumsrate des Landes ist mit 8% die höchste der ASEAN-Region.
Aber was fehlt ist eine Umverteilungspolitik. Es fehlt eine effiziente Steuerpolitik, um Einnahmen aus diesem Wachstumsspurt in die Staatskasse zu lenken, um der strukturellen Armut entgegenzutreten durch gute Schulen, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, und mit Sozialtransfers - z.B. Kindergeld oder Sozialrenten -, welche die ärgste Einkommensarmut glätten könnten.
Und damit komme ich zum Punkt. Entwicklungsdiskurse verweisen oft auf Deutschland als dem ersten Wohlfahrtstaat, mit seinem ausgefächerten System öffentlicher Dienstleistungen und den Ansätzen zu einer Umverteilungspolitik. Da wir in unserem Land derzeit neue Integrationsherausforderungen und Verteilungskämpfe erleben, könnte man ohne Überheblichkeit mit Myanmar besprechen, was einen demokratischen Wohlfahrtsstaat ausmacht, was seine Schwierigkeiten sind, wie man ihn sozial-gerecht finanziert. Das wäre etwas, das alle bilateralen Ansätze der deutschen Entwicklungspolitik in Myanmar auf eine neue, normative Eben hieven könnte. Wenn dies dann in Tandem mit dem multilateralen UN-System vor Ort und in New York geschähe, wäre das ein großer Gewinn.
Gabriele Köhler ist Entwicklungsökonomin und reiste mit der DGVN-Studienreise nach Myanmar.
www.gabrielekoehler.net