Neues Mandat, neues Glück? - Das 11. Internet Governance Forum in Mexiko
Das globale Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen (VN) wird in Zukunft das Multistakeholder-Governance Modell, welches alle relevanten Gruppen (Stakeholder) gleichberechtigt in Normen- und Entscheidungsprozesse für das Internet miteinbezieht, stärker gegen nationale und kommerzielle Interessen durchsetzen müssen. Die augenblickliche Diskussion zu Internet Governance ist geprägt von den wachsenden Bestrebungen einiger Regierungen, allen voran China und Russland, unter Begriffen wie „Cybersouveränität“ die Durchsetzung staatlicher Kontrolle im Internet zu propagieren. Doch auch die Multistakeholder-Prozesse sind nicht immer so ‚bottom-up‘ wie sie von außen erscheinen – auch hier setzen einzelne Stakeholder ihre Interessen überproportional durch und sind einige Gruppen unterrepräsentiert. Bei all seinen Vorteilen lässt sich dieses Modell in der Praxis jedoch nicht immer einfach umsetzen und kann zur Marginalisierung einzelner Stakeholder führen.
Dies ist eine wichtige Debatte, die auf dem 11. IGF in Guadalajara, Mexiko Anfang Dezember 2016 von mehr als 2000 Teilnehmer aus Regierungen, Privatsektor, Zivilgesellschaft und Wissenschaft geführt wurde. Trotz der Probleme, die sich mit der Implementierung des Multistakeholder-Modells ergeben, haben insbesondere die Diskussionen über Welthandel und Cybersicherheit auf dem IGF die Notwendigkeit der Öffnung zwischenstaatlicher Foren für andere Stakeholder gezeigt.
Das IGF findet einmal im Jahr statt. Auch wenn es keine verbindlichen Entscheidungen oder konkrete Ergebnisse liefern kann, so hat es sich seit seiner Gründung auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen für die Informationsgesellschaft (WSIS) im Jahr 2005 als eine zentrale Diskussionsplattform für internationale Netzpolitik und Internetregulierung etabliert. Erst Ende 2015 verlängerte die VN Generalversammlung das Mandat des IGF um weitere zehn Jahre.
Im Mittelpunkt des 11. IGF in Mexiko stand unter dem Motto ‚enabling sustainable and inclusive growth’ die Frage, wie das IGF in Zukunft Internet Governance Prozesse inklusiver und offener gestalten kann und wie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) allgemein zu nachhaltigem Wachstum beitragen können.
Neben diesen Hauptthemen diskutierten Stakeholder in über 200 Workshops und Sitzungen so ziemlich alles, was mit der zukünftigen Entwicklung des Internets und Internet Governance zu tun hat - zum Beispiel den Schutz von Menschenrechten und Geschlechtergleichheit im Internet, Netzneutralität, Datenschutz, Jurisdiktionskonflikte, und natürlich die im Herbst erfolgte Übertragung der Internetadressfunktionen (IANA) von der US-Regierung auf die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN).
Auch etwa zehn Vertreter des Beirats des IGF-Deutschland nahmen an den Sitzungen auf dem IGF teil und stellten gemeinsam mit Vertretern anderer deutschen Organisationen im „Open Forum Germany“ nationale netzpolitische Initiativen vor. Der 26-köpfige Multistakeholder-Beirat des IGF Deutschland begleitet und berät seit Februar 2016 den nationalen IGF-Prozess in Deutschland. Auch die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen ist Mitglied im Beirat. Einmal im Jahr finden in Berlin ein eine IGF-Konferenz und ein Jugend-IGF in Berlin statt, zuletzt am 8. und 9. September 2016.
Insgesamt war die Stimmung unter den Teilnehmern in Bezug auf die Zukunft des IGF in Mexiko oft verhalten. Denn nach der Verlängerung des VN-Mandats bis 2025 muss sich das IGF nun für die kommenden zehn Jahre strategisch neu aufstellen. Auch ist die Finanzierung des Forums alles andere als gesichert. Bisher hat das IGF auf der Grundlage von ad-hoc Spenden von Regierungen, Technologiekonzernen und NGOs sowie von Freiwilligenarbeit überlebt. Nachhaltig ist diese Finanzierungsstrategie nicht. Regierungen, Unternehmen und andere Organisationen müssten dem IGF daher in den nächsten Jahren eine bessere Finanzierung zusichern, oder das IGF könnte sich auf Kernbereiche konzentrieren, was eine inhaltliche und prozedurale Neuausrichtung erfordern würde.
Außerdem ist über die letzten Jahre hinweg der Druck auf das Multistakeholder-Modell in Internet Governance Prozessen gestiegen. Viele Regierungen fordern eine stärkere Rolle für Regierungen und die multilaterale International Communications Union (ITU) in Internet Governance Prozessen oder werben für mehr „Cybersouveränität“. Seit 2014 organisiert China jedes Jahr eine eigene „World Internet Conference“ in Wuzhen, auf dem auch prominente Vertreter von Technologiekonzernen erscheinen, zuletzt zum Beispiel Facebooks CEO Mark Zuckerberg. Auch in den Vereinten Nationen und der ITU, eine Unterorganisation der VN, stehen sich Befürworter eines Top-Down und jene eines Bottom-Up Modells gegenüber. Viele Teilnehmer des IGF warnten ebenfalls vor dem weltweiten Wachstum populistischer und nationalistischer Bewegungen, die auch die Offenheit des Internet gefährden könnten.
Das IGF wird also in Zukunft seinen Multistakeholder-Ansatz stärker gegen nationale Interessen durchsetzen müssen, ohne jedoch bestimmte Regionen und Stakeholder auszuschließen.
In diesem Sinne müssen Beteiligte an Multistakeholder-Prozessen auch daran arbeiten, ihre eigenen Strukturen kontinuierlich zu verbessern. Denn auch das Multistakeholder-Modell selbst hat Schwächen und fördert in der Praxis nicht immer die Gleichberechtigung aller Stakeholder. Die vielen verschiedenen Internet Governance Prozesse sind sehr komplex und für ‚Outsider‘ nicht immer transparent. Um auch in Zukunft politisch relevant zu bleiben, muss das IGF insgesamt daran arbeiten, die Einbeziehung aller Beteiligter an Internet Governance-Diskussionen zu fördern. Dazu bemüht sich das Forum unter anderem alle Stakeholder, insbesondere jene aus unterrepräsentierten Gruppen, mit in die Entscheidungsprozesse einbinden. Insbesondere Stakeholdern aus Entwicklungsländern und Jugendlichen fehlen jedoch oft die finanziellen und personellen Ressourcen, um zum IGF zu reisen und ihre Positionen in die Diskussionen mit einzubringen. Die bestehenden Möglichkeiten zur Remote-Teilnahme per Videoübertragung sind nur bedingt hilfreich. Schließlich geht es auf dem IGF nicht nur um die Teilnahme an den Sitzungen, sondern auch um die Möglichkeit, untereinander zu netzwerken. Da das IGF selbst keine Teilnahmekosten finanzieren kann, springen hier oft Regierungen, Technologieunternehmen oder NGOs als Sponsoren ein – wichtig ist dabei, dass die Unabhängigkeit der Teilnehmer gewahrt wird. In Zukunft sollten diese Strukturen vor allem für die Unterstützung unterrepräsentierter Stakeholder ausgebaut werden. Ein positives Beispiel hierfür ist die IGF Academy, die Personen aus asiatischen und afrikanischen Ländern bei dem Aufbau nationaler Internet Governance Strukturen unterstützt und ihnen die Teilnahme am globalen IGF ermöglicht. Die Verbesserung der Governance-Prozesse war in Mexiko ein maßgebliches Thema. Doch Debatten über die Anwendbarkeit von Multistakeholderprozessen in internationalen Handelsverhandlungen und insbesondere in Cybersicherheitsprozessen zeigten gleichermaßen, wie wichtig die Öffnung von zwischenstaatlichen Diskussionen für alle Stakeholder ist.
Zum ersten Mal bei einem IGF war Cybersicherheit mit dem ‚Best Practice Forum on Cybersecurity’ explizit Teil des Programms. Während vergangener IGFs fiel das Thema vor allem durch seine Abwesenheit auf der Agenda auf. Sicherheitsfragen zu Normen für staatliches Verhalten im digitalen Raum, Spionage oder Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen liegen traditionell im Zuständigkeitsbereich nationaler Regierungen und waren bisher auf internationaler Ebene vorrangig Teil multilateraler diplomatischer Verhandlungen zwischen Regierungen, zum Beispiel in der „UN Group of Governmental Experts on Developments in the Field of Information and Telecommunications in the Context of International Security“. Spätestens seit den Snowden-Enthüllungen ist jedoch offensichtlich, dass auch diese ‚hard security’-Fragen die gesamte Gesellschaft und jeden einzelnen Internetnutzer betreffen. Cybersicherheit und IT-Sicherheit sind daher immer auch wichtige Themen in anderen Internet Governance Diskussionen – zum Beispiel, wenn es um das „Internet der Dinge“, Verschlüsselung, Überwachung oder Online-Gewalt geht. Ziel des Best Practice Forums ist es daher, Cybersicherheit systematisch unter Einbeziehung aller Internet Governance Stakeholder zu diskutieren und einen Austausch über ‚Best Practices’ in verschiedenen Ländern zu fördern. Entscheidungen kann das Best Practice Forum, wie das IGF insgesamt, nicht treffen. Es kann aber die Positionen zusätzlicher Stakeholder in Diskussionen mit einbringen und eine Grundlage für zukünftige Entscheidungsprozesse schaffen. Wie effektiv das Forum sein wird, hängt nun von den Teilnehmern ab und wird sich über die nächsten Jahre hinweg zeigen.
Das nächste IGF ist für Dezember 2017 in Genf geplant. Bis dahin werden die Diskussionen zu Internet Governance in verschiedenen Foren weitergehen – zum Beispiel im Rahmen der G20 Veranstaltung „Multistakeholder-Konferenz on Digital Economy“ am 6. April in Düsseldorf und auf den vielen verschiedenen nationalen und regionalen IGFs, darunter auf dem europäischen IGF EuroDIG im Juni und auf dem IGF-Deutschland im Herbst diesen Jahres.
Autorin: Isabel Skierka