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Nur eine vorläufige Beruhigungsmaßnahme

Der IMF und die G20 haben spürbare Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder der Welt beschlossen. Die getroffenen Maßnahmen werden aber nur für kurze Zeit wirken.

Ein Blick auf den Bildschirm im Konferenzraum des Generalsekretärs António Guterres, während er am außerordentlichen virtuellen Gipfel der Gruppe der Zwanzig (G-20) über die Covid-19-Pandemie teilnimmt.
Der außerordentliche virtuellen Gipfel der G-20 über die COVID-19-Pandemie. (UN Photo/Evan Schneider)

Noch Anfang 2020 hatten reiche Industrieländer im so genannten Pariser Club Schuldenerleichterungen für Länder im Globalen Süden ausgeschlossen. Und das, obwohl die Schuldenindikatoren in mehr als 100 Staaten dramatisch ansteigen. Die Corona-Pandemie hat dann bewirkt, was gute Argumente der weltweiten Zivilgesellschaft und einschlägiger UN-Organisationen nicht bewirken konnten: Ende März bot zunächst der Internationale Währungsfonds (International Monetary Fund – IMF), am 15. April dann die Gruppe der 20 (G20) von der Pandemie noch nicht akut, aber perspektivisch hoch gefährdeten Ländern spürbare Schuldenerleichterungen an. Drei wichtige und richtige Gedanken waren dabei leitend:

  • Eine große Zahl von Staaten könnte die nötigen Gesundheitsinvestitionen nur per Kreditaufnahme tätigen. Dadurch würden sie von hohen Überschuldungsniveaus aus sehr schnell in den Staatsbankrott geraten. Dies zöge wirtschaftliche und politische Destabilisierungen nach sich und würde früher oder später umfassende Schuldenstreichungen unvermeidlich machen.
  • Je früher daher Mittel für eine Eindämmung von COVID-19 den ärmeren Staaten mit schwachen Gesundheitssystemen zur Verfügung gestellt werden, umso kostengünstiger wäre dies für alle Beteiligten.
  • Schuldenerleichterungen sind für die externe Finanzierung von Gesundheitsinvestitionen ein geeignetes Instrument, denn sie ermöglichen die Verwendung von Mitteln, die in den Haushalten der betroffenen Staaten bereits budgetiert sind und nicht erst in langwierigen Zusage-Verfahren (Pledging) mobilisiert werden müssen.
     

Ein fragiler Konsens

Der IMF und die G20 haben angesichts der Krisensituation umfangreiche Entschuldungsmaßnahmen beschlossen. Das ist beachtlich. Dennoch sind dies nur kurzfristig wirkende Beschlüsse.

IMF – Viel für wenige: Zunächst hatte bereits Ende März der IMF eine Ausweitung seines Treuhandfonds für Katastropheneindämmung und -hilfe (Catastrophe Containment and Relief Trust – CCRT), aus dem Ländern nach Katastrophen der laufende Schuldendienst an den IMF abgenommen wird, so ausgeweitet, das Corona-gefährdete Staaten davon profitieren können. Das sind keine hohen Beträge – im Jahr 2020 nur noch gut 200 Millionen US-Dollar für alle zusammen – aber es ist eine wirkliche Streichung und nicht nur ein Moratorium. Problematisch ist, dass der IMF die Gruppe der potenziell begünstigten Länder auf nur 25 der ärmsten Staaten beschränkt.

G20 – Wenig für viele: Nach heftigem Tauziehen innerhalb der G20 haben diese am 15. April beschlossen, einem viel größeren Kreis von 77 am wenigsten entwickelten Ländern (Least Development Countries – LDCs) und zugangsberechtigten Staaten zur Internationalen Entwicklungsorganisation der Weltbankgruppe (International Development Association – IDA) ein Moratorium auf alle Schulden bei den Mitgliedern der G20 und des Pariser Clubs anzubieten. Das Moratorium ist auf acht Monate bis zum Jahresende 2020 befristet. Ausgefallene Zahlungen sollen nach einem Freijahr 2021 im Zeitraum 2022–2024 nachgeholt werden und werden bis dahin zu den ursprünglichen Sätzen verzinst, also niedrig für Kredite der Entwicklungszusammenarbeit und ziemlich hoch für Handelsforderungen.

Das G20-Moratorium ist ein bemerkenswerter Erfolg für die französische und die deutsche Regierung, weil es gelang, den mit Abstand größten Kreditgeber, die Volksrepublik China, ins Boot zu holen. Ganz vollständig ist der Erlass trotzdem nicht. Er spart drei Gruppen von Gläubigern aus, was für den mühsam erreichten Konsens äußerst gefährlich werden könnte. Nicht beteiligt sind:

  • Öffentliche Gläubiger, die nicht Mitglied der G20 oder des Pariser Clubs sind. Das sind nicht viele, aber beispielsweise Taiwan hat in sehr vielen Ländern die Infrastruktur finanziert und war bei früheren multilateralen Entschuldungsbemühungen eher zurückhaltend.
  • Während der IMF schnell Forderungsverzichte organisiert hat, verhalten sich die Weltbankgruppe und die übrigen 19 international agierenden Entwicklungsbanken so, als ginge sie das alles nichts an. Sie verweisen auf ihre wichtige Finanzierungsfunktion für ärmere Staaten. Aber eine Weltbank, die bis heute Milliarden in klimaschädliche fossile Energien investiert, könnte mit internen Umschichtungen erhebliche Spielräume für Schuldenerleichterungen gewinnen.
  • Quantitativ am wichtigsten ist indes, dass private Gläubiger nicht beteiligt sind. Die G20 haben an Banken und Fonds appelliert, und das Institut für Internationale Finanzen (Institute of International Finance – IIF), in dem die großen Banken sich vernetzen, hat für seine Mitglieder guten Willen signalisiert. Gezwungen wird indes niemand, sodass die Schuldenerleichterungen auf Kosten von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern sowie kooperativen Privatinvestoren nicht den Gesundheitssystemen zugutekommen, sondern möglicherweise von einigen nichtkooperierenden Privatgläubigern abgeschöpft werden. Genau das war etwa die Erfahrung Argentiniens vor zehn Jahren. Es gäbe Wege über nationale Gesetze an den wichtigen Gerichtsständen der internationalen Kreditvergabe, London und New York, oder über den UN-Sicherheitsrat – wie bei der Irak-Umschuldung 2004 – den Rechtsweg für derartige Geierfonds (vulture funds) zu versperren. Das haben sich die G20 aber leider nicht getraut.
     

Langfristige finanzielle Folgen der Pandemie

Überhaupt ist ein Moratorium erst mal nur ein Moratorium. Angesichts der einbrechenden Einnahmen durch den Verfall der Rohstoffpreise, das Ausbleiben des Tourismus und die Unterbrechung von Lieferketten gibt es überhaupt keinen Grund zur Annahme, dass Länder die erst ganz am Anfang der Pandemie stehen, im Jahr 2021 und dann sogar nachholend ab 2022 wieder ganz normal zahlungsfähig werden. Bereits in ihrem ersten Appell für ein Schuldenmoratorium haben deshalb der IMF und die Weltbank um das Mandat gebeten, die Schuldentragfähigkeit betroffener Staaten neu zu bewerten und entsprechende Vorschläge für Schuldenstreichungen zu machen. Ob das Monopol ausgerechnet dieser beiden Institutionen mit ihrem wenig beeindruckenden Bilanz hinsichtlich der Bewertung von Schuldentragfähigkeit noch weiter gestärkt werden sollte, ist eher fraglich.

Eine Neubewertung dessen, was ärmere und schwächere Staaten nach oder sogar noch mitten in einer COVID-19-ausgelösten globalen Rezession überhaupt noch zahlen können, ist hingegen unerlässlich. Erst an den Beschlüssen zu echten Schuldenerleichterungen in der zweiten Jahreshälfte und im Jahr 2021 wird sich zeigen, ob das verkündete Moratorium mehr ist als eine vorläufige Beruhigungsmaßnahme.
 

Jürgen Kaiser ist Koordinator des Bündnisses erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e.V.


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