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Streit um Myanmars Sitz bei den Vereinten Nationen

Nach dem Militärputsch in Myanmar ist die Frage entbrannt, wer das Land bei den UN vertritt. Die Putschregierung wirft dem derzeitigen UN-Botschafter Kyaw Moe Tun Landesverrat vor, der wiederum bittet die internationale Gemeinschaft um Unterstützung gegen die Militärregierung.

Demonstrierende Menschen in Myanmar mit Plakaten.
In Taunggyi, Myanmar, demonstrieren die Menschen gegen die Putschregierung. Viele Plakate zeigen den Drei-Finger-Gruß, ein Erkennungszeichen des Protests.

(Foto: R. Bociaga/Shutterstock/"Taunggyi, Myanmar - 13 Feb 2021: Myanmar people took to the streets to demonstrate against the military power")

Es war ein bemerkenswerter Auftritt, den Myanmars UN-Botschafter Kyaw Moe Tun Ende Februar vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York hingelegt hat. Knapp einen Monat nach dem Putsch am 1. Februar 2021, mit dem das Militär die zehnjährige Transformationsphase zur Demokratie abrupt beendete, forderte er „die stärkstmöglichen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft, um den Militärputsch sofort zu beenden, die Unterdrückung des unschuldigen Volkes zu beenden, die Staatsmacht an das Volk zurückzugeben und die Demokratie wiederherzustellen“. Der Diplomat sagte, er fühle sich dem „Committee Representing the Pyidaungsu Hluttaw” (CRPH) verpflichtet. Das CRPH ist eine Interimsregierung im Untergrund, gewählt von Abgeordneten, die selbst bei den Parlamentswahlen im November 2020 gewählten worden waren. Dazu zeigte Kyaw Moe Tun den Drei-Finger-Gruß, ein Zeichen der Protestierenden in Myanmar gegen die Putschregierung.

Nur einen Tag später entließ das Militärregime Kyaw Moe Tun wegen „Landesverrats“ und ersetzte ihn durch seinen Stellvertreter Tin Maung Naing. Doch der trat sofort zurück, und so bleibt vorerst Kyaw Moe Tun Myanmars Top-Diplomat am East River in New York. Der Streit, wer Myanmar vor der UN repräsentiert, könnte erst im August entschieden werden, wenn das Begläubigungskomitee der Generalversammlung tagt.

Putschregierung sucht Legitimität

Die Geschwindigkeit, mit der die Militärs in den Tagen nach dem Putsch am 1. Februar eine Technokratenregierung installiert hat, legt nahe, dass der Putsch von langer Hand geplant war. Die Putschregierung ist eine Mischung aus amtierenden und ehemaligen Militärs und Beamten, die verschiedene Positionen in der Regierung der militärnahen Partei USDP bekleideten, als Ex-General Thein Sein von 2011 bis 2016 Myanmars Präsident war. Sie soll umsetzen, was die dahinterstehende Junta mit dem Namen State Administration Council (SAC) vorgibt. Die Junta ist zur Hälfte aus Militärs und Zivilisten besetzt und wird von Putschgeneral Min Aung Hlaing angeführt.

Das Militär begründet den Putsch damit, den seit zehn Jahren andauernden Übergang zur Demokratie in Myanmar retten zu wollen; dafür sei ein einjähriger Ausnahmezustand nötig, der in Neuwahlen münden soll. Bis 2011 war das Land seit 1958 fast durchgängig von brutalen Militärregierungen regiert worden. Deshalb gibt sich die jetzige Putschregierung große Mühe, ihren Coup als legitim und verfassungsgemäß darzustellen. Den Putsch begründet sie mit einem angeblichen Betrug bei den Parlamentswahlen im November 2020 durch die Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) – dafür gibt es aber keine Beweise. Der verhafteten NLD-Vorsitzenden Aung San Suu Kyi, als Staaträtin auch de-facto-Regierungschefin, werden immer neue Vorwürfe gemacht. Zuletzt behauptete die Putschregierung, dass sie Bestechungsgelder angenommen habe.

Die Bevölkerung leistet Widerstand

Doch die Bevölkerung wehrt sich gegen den Putsch. Jeden Tag ziehen zigtausende Menschen im ganzen Land auf die Straße. Sie fordern die Freilassung von Aung San Suu Kyi und allen im Zuge des Putsches verhafteten Personen. Sie fordern die Anerkennung des Ergebnisses der Parlamentswahl von November 2020, sowie den Rückzug des Militärs aus der Politik. Die Bewegung des zivilen Ungehorsams (Civil Disobediance Movement) legt mit Streiks derzeit Banken, Unternehmen und den Straßenverkehr lahm; sogar viele Angestellte von Behörden und Ministerien nehmen daran teil. Die Wut über den Putsch eint die Bevölkerung. Selbst Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya, von denen viele in den vergangenen Jahren brutal vom Militär aus dem Land vertrieben wurden, protestieren im In- und Ausland gegen den Putsch.

Gewalt gegen Protestierende

Bisher ist es dem Putschregime trotz aller Gewalt nicht gelungen, die Proteste zu unterdrücken. Konservative Schätzungen gehen, Stand 12. März 2021, von über 70 Toten aus, die teilweise mit Schüssen in den Kopf regelrecht exekutiert wurden. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, fordert eine stärkere Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Auf Twitter schrieb Andrews am 15. März: „Junta-Führer gehören nicht an die Macht, sie gehören hinter Gitter.“ Die Generäle müssten von Finanzmitteln und dem Zugriff auf Waffen abgeschnitten werden. „Ich appelliere an die UN-Mitgliedstaaten, meinem Aufruf zum Handeln zu folgen“, so Andrews. Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, fordert: „Myanmars Militär muss aufhören, Protestierende zu ermorden und einzusperren.“

Bisher wurden bei den Protesten und in nächtlichen Razzien über 2000 Menschen festgenommen, darunter sind auch Regierungsangestellte, die an der Bewegung des zivilen Ungehorsams teilgenommen haben. Das wirft die entscheidende Frage auf, ob die Putschregierung und die dahinterstehende Junta jemals in der Lage sein werden, das Land tatsächlich zu verwalten. Dies wiederum ist ein wichtiger Aspekt, wenn es im August darum geht zu klären, wer Myanmars Botschaftsposten bei den Vereinten Nationen bekommt. Denn die Generalversammlung ist nicht automatisch verpflichtet, die Wahl der Botschafterin oder des Botschafters durch die Militärjunta zu akzeptieren. Nach Militärputschen in Haiti 1991 und in Sierra Leone 1997 hat die Versammlung die Beglaubigungsschreiben der abgesetzten demokratisch gewählten Regierungen anerkannt.

Wer vertritt Myanmar vor den Vereinten Nationen?

Wenn die Proteste und die Instabilität andauern, könnte dies Einfluss auf die Abstimmung des Beglaubigungskomitee der Generalversammlung haben. Sollte die Junta bis dahin ihre Kontrolle über das Land stabilisiert haben oder die Proteste abflauen, könnte die Mehrheit der Mitgliedsländer den vollendeten Tatsachen der Junta nachgeben. Möglich ist auch, dass der UN-Botschaftsposten Myanmars für eine Weile unbesetzt bleibt. In der Vergangenheit hat die UN schon Entscheidungen über die Beglaubigungsschreiben aufgeschoben, so dass entweder die amtierende Delegation den Sitz des Mitgliedsstaates weiterhin provisorisch besetzt hat, wie im Falle Afghanistans von 1996 bis 1999, oder dass der Sitz vorübergehend unbesetzt blieb, wie von 1997 bis 1998 nach dem Putsch in Kambodscha durch den dortigen Premierministers Hun Sen.

Mehr, als den Putsch zu verurteilen und im August die Entscheidung zu fällen, wer Myanmar vor den Vereinten Nationen vertritt, kann die UN derzeit nicht tun. Einzelne Staaten wie die USA erlassen Sanktionen gegen Militärs und Militärkonglomerate in Myanmar, doch ein gemeinsames Vorgehen unter der Führung der UN, etwa unter dem Ansatz Responsibility to Protect, wird durch Blockade Russlands und Chinas im Sicherheitsrat verhindert. Was Sanktionen bringen, musste die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Myanmar, Christine Schraner-Burgener, herausfinden. In einem Telefonat mit dem Vizechef der Junta, Soe Win, hat sie ihn davor gewarnt, dass die Armee nun in die Isolation drifte. Seine Antwort: „Wir sind an Sanktionen gewöhnt, und wir haben Sanktionen in der Vergangenheit überlebt.“

Alexander Isele


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