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„Weibliche Peacekeeper können als Vorbilder agieren“

Am 6. Juni ehrte die Bundesregierung Peacekeeper für ihren Einsatz in Krisen- und Konfliktgebieten, darunter auch vier Frauen. Wie sieht so ein Einsatz aus, welche Herausforderungen sind zu bewältigen – und warum ist der Beitrag von Frauen für Frieden und Sicherheit so wichtig ist?

Eine Trainingsinitiative der UNMISS im Südsudan
Eine Trainingsinitiative der UNMISS im Südsudan (Foto: Anne Dicks/privat)

Die Bundesregierung ehrte kürzlich aus Anlass des Internationalen Tags des Peacekeepers neun Frauen und Männer, traditionell eine Woche nach dem UN-Tag am 29. Mai. Die von Auswärtigem Amt, Verteidigungsministerium und Innenministerium kürzlich Ausgezeichneten waren als Polizistin, Soldatin oder in zivil für die EU, OSCE und die Vereinten Nationen in Ländern wie Albanien, Haiti, Kosovo und Niger tätig. Wo waren Sie?

Karla Witte: Zwischen 2000 und 2001 war ich für die Vereinten Nationen im Kosovo und dann 2004 bis 2005 in Liberia. Zwischen 2007 und 2011 war ich dann für das Department für Friedensmissionen der Vereinten Nationen (DPKO) in der Abteilung des Integrierten Trainingsprogramm in New York

Anne Dicks: Ich war 2015- 2016 bei UNMISS im Südsudan.


Frauen machen nur knappe 5% des uniformierten und 20% des zivilen Friedenspersonal aus. Frauen sind also in der absoluten Minderheit in Friedenseinsätzen. In wie fern war und ist es etwas Besonderes als weibliche Polizistin in eine Friedensmission zu gehen?

Karla Witte: In einer Friedensmission muss man sich ganz generell verschiedenen Herausforderungen stellen. Dazu gehören komplett andere und nicht immer leichte Lebensumstände, sich selbst neu zu sortieren, anzupassen und auf neue und andere Herangehensweisen und auch Rechtssysteme einzustellen. Als Frau kommt hinzu, dass man sich den Respekt der nationalen und internationalen Kollegen oftmals erst einmal erarbeiten muss.

Anne Dicks: Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema Auslandsmission auseinander zu setzen, habe ich von vielen Seiten Aussagen zu hören bekommen wie "Bist du dir sicher, du als blonde Frau möchtest eine Auslandsmission machen?", "Damit machst du ja deutlich, dass dir deine Karriere zuhause nichts bedeutet!" bis hin zu "Eine eigene Familie kannst du ja dann nicht wollen!". Auch in den Missionen ist die Anzahl der Frauen deutlich geringer. Es gibt nicht viele Kolleginnen, die sich gegen diese Widerstände durchsetzen. Daher wird es wohl bis auf weiteres etwas Besonderes bleiben. Aber wenn man stark genug ist und seinen Traum verfolgt, in eine Friedensmission zu gehen weiter, kann man dadurch auch eine Art Vorbildfunktion einnehmen.


Laut Bundesregierung haben sich „seit 1989 mehr als 9.500 Beamtinnen und (Polizei-)Beamte des Bundes und der Länder in rund 40 mandatierten Friedensmissionen“ engagiert. Sie stärken lokale Kapazitäten, helfen bei der Verbrechensbekämpfung und –Dokumentation. Welche Rollen und Aufgaben haben Sie in ihren Einsätzen übernommen?

Karla Witte: Im Kosovo habe ich ein halbes Jahr lang forensische Arbeit für die strafgerichtliche Feststellung eines möglichen Völkermordes geleistet. Das heißt ich habe Leichen exhumiert. Als das im Winter nicht mehr möglich war, wurde ich Verbindungsbeamtin der UN-Mission im Kosovo zur serbischen Polizei, um insbesondere bei Straftaten gegen Serben im Kosovo einen direkten Austausch und Vertrauen zur Neutralität der Ermittlungen aufzubauen. In Liberia war ich „Head of Major Crimes“. In dieser Funktion habe ich neben den entsprechenden Ermittlungen Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu Ritualmorden, Kindersoldatenrekrutierung und Korruption geleistet. Später in New York habe ich viele Missionen durch Trainingsinitiativen unterstützt.

Anne Dicks: Ich war Mitglied der ersten Spezialeinheit zu sexueller und geschlechterspezifischer Gewalt im Südsudan. Seit 2016 bin ich Mitglied des UN Mobile Training Team insbesondere zum Schutz von Kindern und Minderjährigen. In diesem Zusammenhang habe ich die Vereinten Nationen (UN ITS) dabei unterstützt in Italien, Südkorea, Kanada und Deutschland "Train-the-Trainer"-Seminare durchzuführen, um die Wichtigkeit dieses Themas zu verdeutlichen und die Möglichkeit zu schaffen, dass alle Länder Polizisten haben, die ihre Kollegen auf diesem Gebiet ausbilden können.


Die Vereinten Nationen sehen den Mehrwert von Frauen in Friedenseinsätzen und versuchen, die Anzahl des weiblichen Einsatzpersonals zu erhöhen. Auch Deutschland möchte einen Beitrag dazu leisten und schließt sich der kanadische Elsie Initiative an, die zum Ziel hat Frauen in Friedensmissionen stärker einzubeziehen und zu unterstützen. Was sind Ihre Beobachtungen dazu?

Karla Witte: Ich habe beobachtet, wie die zivile Bevölkerung sich besonders Polizistinnen offener gegenüber verhält und es leichter ist, den Zugang zu den Menschen vor Ort zu finden, wenn man Kolleginnen im Team hat. Insbesondere bei sexueller Gewalt, die leider inzwischen in Konflikten zum Teil auch zur Kriegsführung dient, ist es für die Betroffenen unverfänglicher, mit Polizistinnen zu reden. Dadurch sind die Beweise und Informationen, die gesammelt werden können, vollständiger und es werden unter Umständen mehr Gewaltverbrechen gemeldet und aufgeklärt. Internationale Polizistinnen haben hier aus meiner Sicht den konkreten Auftrag im Gastland, das Vertrauen in eine unabhängige Polizei zu stärken.

Anne Dicks: Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Es ist wichtig, dass Frauen und Männer gleichermaßen in Friedensmissionen beteiligt sind, um alle Teile der Bevölkerung vor Ort erreichen zu können und die zum Teil unterschiedlichen Belange von Frauen und Männern zu erkennen und sich damit auseinander zu setzen. Außerdem können weibliche Peacekeeper als Vorbilder agieren und somit die Rolle der Frau vor Ort stärken. Um am Ende ein gemeinsames Ziel erreichen zu können, ist wichtig, alle Geschlechter zu gleichen Teilen an Friedensprozessen zu beteiligen, sei es als Peacekeeper, Entscheidungsträger, Opfer, Überlebende, Täter. Ein Vogel kann ja schließlich auch nicht mit nur einem Flügel fliegen (lacht).


Karla Witte war Ausbilderin beim Bildungszentrum des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westphalen und für die Vereinten Nationen im Kosovo, Liberia und in New York im Einsatz.

Anne Dicks ist Ausbilderin beim Bildungszentrum des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westphalen und mit der Mission der Vereinten Nationen im Südsudan.

Das Interview führte Nicola Popovic.


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