Menü

Die Krise als Chance: Wissenschaft und UN müssen einander besser verstehen lernen

Wissenschaftliche Expertise ist für erfolgreiche Politikgestaltung unentbehrlich – das gilt auch für die UN. Doch fehlt es häufig an Wissen über die Funktionsweise der jeweils anderen Seite. Die Krise zeigt: Besonders ein besseres Verständnis der politischen Prozesse des UN-Systems wäre hilfreich.

UN-Generalsekretär António Guterres spricht mit Studierenden der Lahore University of Management Sciences, Pakistan.
UN-Generalsekretär António Guterres spricht mit Studierenden der Lahore University of Management Sciences, Pakistan. (UN Photo/Mark Garten)

Wissenschaftliche Expertise ist für eine erfolgreiche Politikgestaltung unentbehrlich. Die aktuelle COVID-19 Pandemie zeigt dies erneut auf: Regierungen, die früh auf die Empfehlungen von anerkannten Expertinnen und Expert reagierten und entsprechende Maßnahmen ergriffen, haben die Ausbreitung der Pandemie (zumindest bislang) besser unter Kontrolle. Gleichzeitig zeigt sich weltweit eine gemischte Bilanz, inwieweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfolgreich waren, politische Entscheidungsinstanzen zu informieren und für Maßnahmen zu gewinnen.

Auch die Vereinten Nationen (UN) werden von verschiedenen Wissenschaftsgremien beraten, allein die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von über 43 Expert Advisory Panels. Solche Science-Policy Interfaces sollen den UN den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen erleichtern. Gleichzeitig ist man von Seiten der Wissenschaft oft besorgt, dass Forschungsergebnisse im UN-System nur selten effektiv aufgegriffen werden. Warum ist das so und was sind die Bedingungen für effektive Politikberatung im UN-System?
 

Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik

In der wissenschaftlichen Literatur selbst werden häufig Kommunikationsprobleme zwischen Wissenschaft und Politik als zentrale Hürde genannt. Interessanterweise klaffen die Einschätzungen, wie diese überwunden werden sollte, stark auseinander. Während die einen den frühzeitigen und stark vernetzten Austausch zwischen Wissenschaft und Politik empfehlen, erachten die anderen eine klare Trennung und Unabhängigkeit der Wissenschaft als unabdingbar (Sundqvist et al. 2018). So kommt Peter M. Haas (2017), der viel zu UN Science-Policy Interfaces geforscht hat, zu dem Schluss, dass das institutionelle Design der Panels den Status und die Anerkennung der Befunde durch die UN-Mitgliedstaaten beeinflusse. Panels seien einflussreicher, wenn die Experten aufgrund ihrer fachlichen Expertise von Sekretariaten oder internationalen Organisationen und nicht von Mitgliedsregierungen ausgewählt werden. Ist dies nicht gegeben, entsprächen die Empfehlungen der Panels politischen Kompromissen und nicht einem wissenschaftlichen Konsens. Folglich soll der wissenschaftliche Arbeitsprozess vom politischen Geschehen komplett getrennt sein. Ein Austausch mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern solle erst nach dem Erreichen eines wissenschaftlichen Konsenses stattfinden; die Phasen der Wissensentwicklung einerseits und der Vermittlung dessen andererseits sollten demnach voneinander losgelöst werden (Peter M. Haas und Casey Stevens 2011). Im Gegensatz dazu kritisieren Autorinnen und Autoren der Science and Technology Studies diese Herangehensweise; die Trennung von Wissenschaft und Politik sei eine künstliche Dichotomie. So sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon während des Forschungsprozesses Netzwerke mit ihren Zielgruppen und Stakeholdern aufbauen. Dergestalt könnten frühzeitig und kontextspezifisch wichtige Aspekte identifiziert und Kontroversen beigelegt werden (Rolf Lidskog und Görab Sundqvist 2015: S. 13).

Aufseiten der UN gibt es ebenfalls Defizite in der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Die UN Joint Inspection Unit hat 2018 einen Bericht zur (unzureichenden) Aufnahme von Forschungsergebnissen durch die UN veröffentlicht. Darin kritisiert der Verfasser, dass UN-Bedienstete wenig Anreize und Unterstützung hätten, sich mit wissenschaftlichen Berichten auseinanderzusetzen oder gar selbst zur Forschung beizutragen. Bürokratie- und Zeitzwänge sowie ein Mangel an damit verbundenen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten behinderten dies. Gleichfalls zeigt der Bericht die Schwierigkeiten von Forschenden, sich im politischen und bürokratischen Prozess des UN-Systems zurechtzufinden. Diese Probleme würden noch dadurch verstärkt, dass den UN ein Mechanismus fehle, um ihren Forschungsbedarf an wissenschaftliche Einrichtungen zu kommunizieren. Ebenso hat die WHO in ihrer Strategy on Research for Health die mangelnde Koordination ihrer eigenen Rechercheaktivitäten konstatiert und hält eine bessere Übersetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen für unabdingbar, etwa mithilfe von Netzwerken und Plattformen. Auch die unabhängige Gruppe der 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die – durch den UN-Generalsekretär ernannt – den Weltnachhaltigkeitsbericht 2019 (Global Sustainable Development Report, GSDR) verfasst hat, fordert eine global koordinierte UN-Wissensplattform zu etablieren. Über diese soll internationale und länderspezifische Expertise gebündelt und für die UN-Bedarfe ausgewertet werden – jetzt etwa für SDG-sensible Wiederaufbauprogramme nach der Corona-Krise.
 

Politikverständnis als Schlüsselkompetenz

Eine verbesserte Kommunikation ist eine grundlegende, aber unseres Erachtens allein nicht ausreichende Voraussetzung für einen gelungenen Dialog zwischen Wissenschaft und Politik. Egal ob viel oder wenig Nähe oder Distanz zwischen Wissenschaft und Politik vorherrscht, Politics wird bei der Zusammenarbeit immer mit im Spiel sein. Um wirkungsvolle Politikberatung durchzuführen, benötigen in der Wissenschaft Tätige daher ein grundlegendes Verständnis der politischen Prozesse in den UN. Politische Prozesse und Konflikte sowie bürokratische Logiken im UN System zu kennen und zu verstehen, ist eine Schlüsselkompetenz für die wissenschaftliche Politikberatung. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre inhaltlichen Erkenntnisse und Botschaften mit diesem Wissen verknüpfen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als relevant erkannt und aufgegriffen werden. Dabei sollten sie sich weder verbiegen, noch übernehmen: Es geht um die zielgerechte Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse, nicht darum, darauf basierende politische Entscheidungen zu treffen – das bleibt die Aufgabe der dafür legitimierten Politikerinnen und Politiker.

Werden politische Aspekte vernachlässigt, birgt dies Probleme. Die Fernsehdebatte zwischen zwei französischen Wissenschaftlern bietet ein gutes Beispiel für hohe wissenschaftliche Sachkompetenz, aber mangelndes politisches Verständnis. Die beiden sprachen über das Design wissenschaftlicher Studien in Europa und Australien, um die Wirkung einer Tuberkulose-Impfung auf COVID-19 zu testen. Einer der beiden Ärzte schlug vor, die Studie besser in Afrika durchzuführen, da dort ein geringerer Zugang zu anderen Schutzmaßnahmen bestünde. Er verglich diese Herangehensweise mit älteren HIV-Studien mit Prostituierten, die ebenfalls besonders exponiert seien. Diese Aussagen lösten öffentliche Empörung aus; der Vorwurf wurde laut, Menschen in Afrika würden in kolonialistischer Manier wie Versuchskaninchen behandelt; zudem würden Vorbehalte von Impfgegnern befördert.

Parallel dazu kämpft das UN-System mit der Politisierung von wissenschaftlichen Befunden. Dies zeigt sich etwa im Kontext der Bewertung des Verlauf der COVID-19 Epidemie, wo WHO-Experten relevante Informationen aus Taiwan zunächst vernachlässigten, um Konflikten mit China aus dem Weg zu gehen. Dies leistete dann Kritik aus den USA Vorschub mit nun noch größerem Schaden. Expertinnen und Experten müssen also oft zwischen Irrelevanz und Politisierung navigieren.

Um in Zeiten eines wachsenden Populismus effektiver für eine evidenz-informierte Politik werben zu können, sollten Wissenschaft und UN an beiden Seiten des Science-Policy Interface arbeiten. Die COVID-19 Pandemie ist hierfür sowohl ein Weckruf als auch ein Gelegenheitsfenster. Zu UN-relevanten Themen arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich frühzeitig mit den (Ver-)Handlungslogiken in den UN vertraut machen. Beispielsweise könnten der International Science Council (als einer der beiden „organizing partners“ der UN Science and Technology Major Group) und der Academic Council for the United Nations System  (ACUNS) in Zusammenarbeit mit UN-DESA und dem UN System Staff College entsprechende Briefings entwickeln, die beiden Seiten zugutekämen.
 

Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin und Chiara Miescher Praktikantin in der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).


Das könnte Sie auch interessieren