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UNRWA – Zwischen zwei Welten

Das UNRWA befindet sich in einem schwierigen Spagat: Einerseits ist es dem Schutz und der Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge verpflichtet, andererseits muss es im Israel-Palästina-Konflikt neutral bleiben. Diese Gratwanderung zwischen zwei Welten war schon immer eine große Herausforderung.

Das von UNRWA unterstützte Flüchtlingslager Nahr-El-Bared im Libanon, 1955. (UN Photo)

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA) ist eine Hilfsorganisation der Vereinten Nationen. Es wurde 1949 von der UN-Generalversammlung gegründet, um palästinensische Flüchtlinge zu unterstützen. Die Gründung war eine Reaktion auf den ersten arabisch-israelischen Krieg in den Jahren 1947/1948, der zu Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden von Palästinenserinnen und Palästinensern führte. Das UNRWA hat den Auftrag, den palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien, Libanon, Syrien, im Westjordanland und im Gazastreifen Hilfe zu leisten, und die menschliche Entwicklung zu fördern. Zu diesen Leistungen gehören Bildung, Gesundheitsversorgung, Nothilfe und die Verwaltung von Flüchtlingslagern.

Im Jahr 2023 unterstützte das UNRWA über 5,9 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge. Das Hilfswerk betreibt über 700 Schulen, 230 Kliniken und fünf Außenstellen mit ca. 30.000 Angestellten. Der Haushalt von UNRWA wird hauptsächlich durch freiwillige Beiträge der UN-Mitgliedstaaten finanziert.

Die Arbeit von UNRWA ist häufig komplex und anspruchsvoll. Als Hilfsorganisation der Vereinten Nationen ist es der Neutralität verpflichtet, was aufgrund der Tatsache, dass die Mehrheit der Mitarbeitenden selbst Palästinenser sind, mitunter herausfordernd sein kann. Gleichzeitig ist jedoch jede UN-Organisation auf die Beschäftigung lokaler Mitarbeitender angewiesen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Trotz dieser Herausforderungen bleibt UNRWA bis heute ein entscheidender Rettungsanker für Millionen palästinensischer Flüchtlinge.

Unterschiede zum UNHCR

Es wird intensiv debattiert, ob der Sonderstatus der UNRWA als UN-Organisation, die sich ausschließlich mit palästinensischen Flüchtlingen befasst, angemessen ist, während der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) sich mit Flüchtlingen aus aller Welt befasst. Dies führt zu unterschiedlichen Definitionen zwischen den beiden UN-Organisationen. Die Definition eines Flüchtlings durch das UNRWA gilt ausschließlich für Palästinenserinnen und Palästinenser und weicht in zwei wesentlichen Punkten von der Standarddefinition des UNHCR ab:

  1. Einbeziehung der Nachkommenschaft:

    Die UNRWA-Definition schließt Nachkommen von registrierten Palästina-Flüchtlingen ein. Das bedeutet, dass eine Person, die nicht direkt durch den Konflikt von 1948 vertrieben wurde, dennoch als Flüchtling betrachtet werden kann, wenn die Vorfahren als solche registriert worden sind. Dieser Aspekt der Vererbung ist einzigartig bei der UNRWA und hat im Laufe der Zeit zu einem erheblichen Anstieg der Flüchtlingsbevölkerung geführt. Im Jahr 2023 sind mehr als 5,9 Millionen Menschen bei der UNRWA registriert, verglichen mit schätzungsweise 750.000 Vertriebenen während des ursprünglichen Konflikts 1948. Der Hintergrund für diese Praxis ist, dass einige Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten – in Ermangelung eines eigenständigen palästinensischen Staates oder einer anderen Staatsbürgerschaft – ansonsten staatenlos wären.

    UNHCR folgt einer Standarddefinition auf der Grundlage der Flüchtlingskonvention von 1951, die einen Flüchtling als jemanden definiert, der eine internationale Grenze aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Meinung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe überquert hat. Diese Definition schließt keine Nachkommen ein.

     

  2. Recht auf Rückkehr:

    UNRWA erkennt das in der Resolution 194 der UN-Generalversammlung verankerte Recht der Palästina-Flüchtlinge auf die Rückkehr in ihre früheren Häuser in Israel an und setzt sich dafür ein. Dieses Recht war und bleibt ein wichtiger Streitpunkt im israelisch-palästinensischen Konflikt. Die israelische Regierung argumentiert, dass die Rückkehr der 5,9 Millionen Palästinenser den jüdischen Charakter des Staates untergraben würde.

    UNHCR hingegen hat kein spezifisches Mandat in Bezug auf das Recht auf Rückkehr. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Suche nach dauerhaften Lösungen für Flüchtlinge, wie etwa Integration vor Ort, Neuansiedlung in einem Drittland oder freiwillige Rückführung, wenn die Bedingungen im Heimatland dies zulassen.

Diese Unterschiede spiegeln den einzigartigen historischen und politischen Kontext der palästinensischen Flüchtlingsfrage wider. Denn die Sonderregelungen sind auch ein Ergebnis davon, dass verschiedene arabische Staaten die Gründung von Israel 1948 nicht akzeptieren wollten und daher auf die Vererbung des Flüchtlingsstatus und das Recht auf Rückkehr in einen palästinensischen Staat bestanden haben.

Während das UNHCR ein breiteres, globales Mandat hat, ist die Gründung von UNRWA die Reaktion auf dieses historische Szenario. Es ist wichtig zu wissen, dass die UNRWA-Definition nicht allgemein akzeptiert wird. Kritische Stimmen argumentieren, dass das Weitergeben des Flüchtlingsstatus über Generationen die Integration und eine dauerhafte Lösung behindern. Andere verteidigen das Recht auf Rückkehr als grundlegendes Menschenrecht für Palästinenserinnen und Palästinenser. Das Verständnis dieser Unterschiede ist von entscheidender Bedeutung, um sich in der komplexen und oft umstrittenen Frage der palästinensischen Flüchtlinge zurechtzufinden.

Aktuelle Kontroversen

Während das UNRWA unbestritten wichtige Arbeit verrichtet und mit seinen Krankenhäusern und Schulen die Lebensgrundlage vieler Palästinenserinnen und Palästinenser erst ermöglicht, stellen neue Vorwürfe das Hilfswerk vor existenzielle Probleme. Am 26. Januar 2024 gab das UNRWA bekannt, dass sie Anschuldigungen über die Beteiligung ihrer Bediensteten an den Anschlägen und Geiselnahmen der Hamas vom 7. Oktober 2023 untersucht. In Folge dieser Kontroverse entschlossen sich mehrere Länder, die Finanzierung des UNRWA vorerst auszusetzen.

Gemäß dem UNRWA-Generaldirektor Philippe Lazzarini habe das Hilfswerk die betroffenen Bediensteten entlassen und fügte hinzu, dass jeder Mitarbeitende, der in Terrorakte verwickelt sei, mit Konsequenzen rechnen müsse. UN-Generalsekretär António Guterres hat eine externe Untersuchung eingeleitet. Israel zeigt sich besorgt über die möglichen Beziehungen des Hilfswerks zur Hamas. In der Ansicht Israels gibt es eine strukturelle Verbindung zwischen der UNRWA und der Hamas. Die zwölf Mitarbeitenden seien nur die «Spitze des Eisbergs». 

Eine Vielzahl von Anschuldigungen bleibt offen und erfordert zunächst eine unabhängige Untersuchung. Viele Staaten, die ihre Beiträge zur Organisation ausgesetzt haben, haben erklärt, dass sie erst wieder aktiv werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Kritiker plädieren dafür, das UNRWA vollständig aufzulösen und durch den UNHCR zu ersetzen. Es ist fraglich, ob dies die Situation mit möglichen schwarzen Schafen unter den Mitarbeitenden grundlegend verändern würde, da alle Hilfsorganisationen auf die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung angewiesen sind, insbesondere wenn ein erheblicher Teil dieser Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen ist. Zudem ist eine grundlegende Auflösung angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse in der UN-Generalversammlung äußerst unwahrscheinlich.

Durch die Bestrafung der gesamten Organisation wird einmal mehr die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen. Das UNRWA ist die einzige bedeutende Hilfsorganisation, die noch im Gazastreifen tätig ist. Trotz der zunehmend erschwerten Bedingungen bemüht es sich, die aktuelle humanitäre Krise durch die Bereitstellung grundlegender Unterkünfte, Nahrungsmittel und Arzneimittel zu mildern. Als UN-Organisation bleibt das UNRWA trotz aller Kritik der kleinste gemeinsame Nenner unter den Staaten. Und es steht symbolisch für den ungeklärten Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern. 

Es steht außer Frage, dass UNRWA weit von der Perfektion entfernt ist. Unter den gegebenen Umständen ist die Organisation jedoch das Beste, was wir haben.

Robin Moore hat einen Master in Middle Eastern Studies und ist politischer Berater bei der Schweizer Mission zur OSZE.