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20 Jahre UN-Stadt Bonn - Interview mit dem Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan

Im Jahr 1996 wurde Bonn offiziell "UN-Stadt". Fast 20 UN-Organisationen mit rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten am deutschen Standort der Vereinten Nationen und überschreiben ihre Arbeit mit dem Slogan "UNO in Bonn - für nachhaltige Entwicklung weltweit". Der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan beleuchtet im Interview die Präsenz der UN in Bonn, blickt auf 20 Jahre UN-Stadt Bonn zurück und formuliert seine Wünsche für die Zukunft.

Ashok-Alexander Sridharan, Oberbürgermeister der Stadt Bonn (© Foto: Barbara Frommann/Bundesstadt Bonn)
Ashok-Alexander Sridharan, Oberbürgermeister der Stadt Bonn (© Foto: Barbara Frommann/Bundesstadt Bonn)

Das Interview mit dem Oberbürgermeister der Stadt Bonn Ashok-Alexander Sridharan hat DGVN-Vorstandsmitglied Matthias Böhning geführt.

 

Herr Oberbürgermeister, wie international ist Bonn?

Bonn genießt das Privileg der internationalen Erfahrung. Als Bundeshauptstadt der Bundesrepublik Deutschland durften wir schon seit den 1950er Jahren Menschen aus aller Welt begrüßen, die – zumeist als Botschaftsangehörige - bei uns lebten, arbeiteten und manchmal auch ihre Heimat in Bonn fanden. Die dadurch gewachsene Internationalität und Weltoffenheit prägt unsere Stadt bis heute. Auf die Botschaften folgten die Vereinten Nationen, zahlreiche international agierende Institutionen, Organisationen und Unternehmen. Dadurch entstand eine internationale Infrastruktur mit mehrsprachigen Schulen, Kindergärten und Ansprechstellen auf der einen Seite, mit vielen internationalen Vereinen und Clubs auf der anderen Seite.

Heute leben Menschen aus fast 180 Nationen in Bonn und fühlen sich wohl in unserer Stadt. Bonn IST international.

 

Welche Bedeutung haben die Vereinten Nationen für Bonn?

Bonn wird weltweit zunehmend als der Ort wahrgenommen, an dem die Vereinten Nationen Nachhaltigkeit gestalten. Unter dem gemeinsamen Motto „UN Bonn – Shaping a Sustainable Future“ setzen sich die Vereinten Nationen in Bonn ein für die Bekämpfung globaler Herausforderungen wir Klimawandel, Wüstenbildung, Naturkatastrophen, den Verlust von Artenvielfalt und verwandte Themen.

Dies hat natürlich auch Auswirkungen für uns als Stadt.  Als Sitz des Klimasekretariats der Vereinten Nationen erwächst für uns die Verpflichtung, uns selbst im Klimaschutz zu engagieren. Daher haben wir schon vor Jahren ein integriertes Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht, fördern erneuerbare Energien ebenso wie die Elektromobilität und engagieren uns in internationalen Netzwerken, wie z. B. dem europäischen Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie und in ICLEI – Städte für Nachhaltigkeit.

Ashok-Alexander Sridharan

Ashok-Alexander Sridharan ist seit dem 21. Oktober 2015 ist er Oberbürgermeister der Stadt Bonn. Er wurde 1965 in Bonn geboren. Vor seinem Amtsantritt als Oberbürgermeister in Bonn war er seit 2010 Stellvertretender Bürgermeister von Königswintern und Dozernent für Finanzen, Personal, Organisation, IT und Controlling. Bereits zuvor war er Dozernent unter anderem für Schule, Sport und Kultur. Sridharan ist Jurist und besitzt zwei juristische Staatsexamen.

Die Vereinten Nationen sind für Bonn nicht nur ein Imagefaktor, sondern  tragen auch zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Von den Ausgaben der rund 1.000 UN-Mitarbeiter/innen und den mehreren Tausend Delegierten, die jedes Jahr zu UNO-Konferenzen nach Bonn kommen, profitieren lokale Unternehmen ebenso wie Hotellerie und Gastgewerbe. Allein das Klimasekretariat führt über 100 Tagungen pro Jahr durch.

Die Präsenz der UN macht Bonn attraktiv nicht nur für internationale Beschäftigte, sondern auch für gut ausgebildete junge Menschen aus Deutschland, die ihre berufliche Zukunft bei der UN selbst oder in einer der vielen umgebenden Organisationen sehen. Die internationalen Strukturen tragen zur Attraktivität Bonns als Arbeitsort und auch für wirtschaftliche Ansiedlungen bei.

 

Welche Bedeutung hat Bonn für die Vereinten Nationen?

Über den thematischen Schwerpunkt hinaus sehe ich die Attraktivität Bonns als UNO-Standort insbesondere in kurzen Wegen und enger Vernetzung vor Ort - ein ideales Feld für den Austausch mit vielen umgebenden Akteuren und dafür, innovative Kooperationen anzustoßen.

In Bonn finden die UN, ihre Arbeit und ihre Themen Aufmerksamkeit und Unterstützung, natürlich auch durch die Stadt Bonn selbst. So engagieren wir uns in Kampagnen des Klimasekretariates zur Bewusstmachung der Folgen des Klimawandels, kooperieren mit dem Freiwilligenprogramm der UN; unterstützen die UN SDG Action-Campaign in Projekten der Öffentlichkeitsarbeit und schaffen Plattformen für Austausch und Begegnung zwischen UN-Institutionen und nationalen und internationalen Organisationen.

Bedeutsam ist sicherlich auch die Konferenzinfrastruktur: Mit dem World Conference Center Bonn ist ein speziell auf die Bedürfnisse der Vereinten Nationen ausgerichtetes, erstklassig ausgestattetes und hochmodernes Konferenzzentrum in direkter Nachbarschaft zum UN-Campus entstanden.

Wir bemühen uns aber auch darum, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Bonn wohl fühlen. Bonn ist ein guter Ort, um zu arbeiten und zu leben mit einer ausgeprägten Willkommenskultur und – nicht zu vergessen – dem berühmten „Bonn-Spirit“, der bekanntlich nicht nur das Leben am Rhein, sondern auch die eine oder andere schwierige Verhandlung erleichtert.

 

Auf welchen von Bonn ausgegangenen Impuls für die globale Politik sind Sie besonders stolz?

Wenn ein Impuls aus Bonn globale Wirkung entfaltet, macht mich das sehr froh. Im Rückblick auf 20 Jahre UN Bonn sehe ich hier erfreulicherweise einige.

Ich denke an den Durchbruch für das Kyoto Protokoll 2001 und die so wesentlichen Bonner Verhandlungen auf das Pariser Klimaabkommen hin seit 2010.

Ich denke an das Thema Erneuerbare Energien und die Konferenz des Aufbruchs Renewables 2004 – und Jahre später dann die Gründung von IRENA, der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien, in Bonn.

Ich denke an Städte als wichtige Akteure in globalen Strategien. Hier in Bonn fand bereits 1999 eine Bürgermeisterkonferenz zum Thema Landdegradation statt. Und 2008 gab eine Bürgermeisterkonferenz und eine Partnerschaft der Städte für Biodiversität den Ausschlag, dass erstmalig von einer UN-Vertragsstaatenkonferenz ein Beschluss zur Rolle von Städten gefasst wurde – und das Klimaabkommen von Paris hat dies jetzt wesentlich weiterentwickelt.

Besonders froh – nicht stolz – bin ich aber darüber, dass Bonn auch mit dem Begriff Frieden verbunden ist. Die Afghanistangespräche und Konferenz fanden hier in der Region statt, nämlich auf dem Petersberg in Königswinter und hier bei uns in Bonn.

Ein Bonner Begriff ist übrigens der „Nexus“. Wie eng die Herausforderungen der Nachhaltigkeit zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen, dazu kamen Impulse immer wieder aus Bonn – sei es durch eine Kooperation der drei Rio-Konventionen, sei es durch eine Konferenz zum Nexus von Energie, Wasser und Ernährungssicherheit. Diese Betrachtungsweise zieht sich auch durch die SDGs.

 

Das jüngste Mitglied der Bonner UN-Familie wird die SDG Action Campaign sein, die noch in diesem Jahr am Rhein ihre Arbeit aufnehmen wird. Inwiefern wird diese Neuansiedlung neue Impulse in Bonn, für den UN-Standort Bonn in Deutschland sowie weltweit setzen?

Bereits der Name sagt es: Die Aktionskampagne ist darauf angelegt, möglichst viele Menschen zu erreichen und in die Umsetzung der SDGs aktiv einzubinden. Bonn wird der Ort sein, von dem aus die vielfältigen Aktivitäten und auch die Politikgestaltung zu diesem Thema maßgeblich beeinflusst werden.

Aktionen der globalen Kampagne werden  mit Sicherheit in Bonn lokal umgesetzt oder sogar gestartet werden. Die Einbindung lokaler Akteure in die SDG-Arbeit kann ich mir ebenso gut vorstellen wie die Entwicklung neuer Konferenzformate. Ich denke, dass die Kampagne eine Magnetwirkung entfalten kann und kann mir auch den Zuzug weiterer Organisationen gut vorstellen.

In enger Kooperation mit Bund, Land und Schlüsselakteuren sind die SDGs für die Stadt Bonn bereits ein zentrales Thema. Ich denke an den Zukunftscharta Prozess des BMZ und die Zukunftstour am 30.6.2016 in Bonn mit Bundesminister Müller.
Bonn hat gemeinsam mit ICLEI, dessen Vorstand ich angehöre, bereits ein Set von Handreichungen für Städte zur Umsetzung der SDGs herausgegeben. Auch die ICLEI Resilient Cities Konferenzreihe wird das Thema verstärkt aufgreifen.

 

Wenn Bonn in diesem Jahr „20 Jahre Vereinte Nationen“ feiert, welche Begebenheit aus zwei UN-Jahrzehnten am Rhein ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Ganz sicher gehört dazu die Einweihung des UN Campus rings um den „Langen Eugen“ 2006. UNO-Generalsekretär Kofi Annan und Bundeskanzlerin Angela Merkel schnitten das blaue Band durch: das war schon ein  besonderes Ereignis für Bonn. Eher unspektakulär, dafür aber von globaler Tragweite ist die Tatsache, dass das Pariser Klimaabkommen wesentlich in Bonn vorbereitet wurde. Und natürlich die großen UNO-Konferenzen mit ihrer Zukunftswirkung – Klima, Biodiversität, Landdegradation, Wasser ...

Ein besonderes Erlebnis für mich als Oberbürgermeister war natürlich auch der Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Frühjahr in Bonn. Der Generalsekretär unterstrich dabei die Rolle Bonns als globales Zentrum für nachhaltige Entwicklung – eine Anerkennung für die Leistungen der vielen in Bonn entwicklungspolitisch Engagierten, die mir große Freude bereitet hat.

 

Die Bundesstadt Bonn bietet in diesem Jahr ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm anlässlich der Feiern zum 20-jährigen Bestehen des UN-Standorts an. Auf welchen Termin freuen Sie sich besonders?

Angesichts der vielen Veranstaltungen zu 20 Jahren UN Bonn fällt es mir schwer, nur einen Termin herauszustellen. Höhepunkt ist/war aber sicher der Tag der offenen Tür in der Villa Hammerschmidt und im BMZ, bei dem sich der internationale Standort Bonn zweisprachig präsentiert/e. Das Bürgerfest zum Geburtstag der Vereinten Nationen am 29. Oktober auf dem Bonner Markt gehört natürlich auch zu den festen Terminen in meinem Kalender. Bei beiden Gelegenheiten stellt sich übrigens auch die SDG Action Campaign vor.

 

Was wünschen Sie sich als Bonner Oberbürgermeister für die nächsten 20 Jahre der deutschen UN-Stadt?

Bonn wird inzwischen nicht nur Dialogplattform für die lebenswerte Welt der Zukunft, sondern sogar “Welthauptstadt“ und „Powerhouse“ der Nachhaltigkeit“ genannt. Ich wünsche mir, dass es uns im Zusammenwirken aller Akteursebenen mit Ehrgeiz und Energie gelingt, diese Rolle mit noch mehr Inhalt und Kraft zu füllen.

Bereits heute sind wir gern Gastgeber für internationale Organisationen, die sich um die Zukunft unserer Welt kümmern. Wir nehmen die Aufgabe, das Zentrum dieser weltweiten Diskussion zu sein, sehr gern für die Bundesrepublik Deutschland wahr. Und wir wünschen uns, dass wir gemeinsam dieses Zentrum weiter stärken und ausbauen können.

 

Wenn der oder die neue Generalsekretär/in der Vereinten Nationen im Herbst diesen Jahres sein/ihr Amt antritt, welche Botschaft geben Sie ihm/ihr besonders mit auf den Weg?

Sie treten Ihr Amt an in einer Zeit, die von großen Visionen, aber auch von großen Herausforderungen geprägt ist. Wie kein anders Amt auf dieser Welt ist das Ihrige vom Konsens und der Anerkennung der Nationen der Welt getragen. Bonn, der Ort an dem die Vereinten Nationen seit 20 Jahren Nachhaltigkeit gestalten, wünscht Ihnen die Kraft und die Unterstützung, den von der Agenda 2030 angestoßenen Weg in die Zukunft mit Mut und Innovationsbereitschaft zu gehen und – wie es die SDG Action Campaign formuliert – niemanden zurückzulassen!

 

Wie gut steht Bonn in Fragen der Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes und der Sicherstellung eines guten Lebens für alle Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene da?

Das ist natürlich immer eine Frage der Perspektive. Verglichen mit der Mehrzahl der Städte weltweit geht es den Menschen in Bonn – wie auch in den meisten anderen europäischen Städten – sehr gut. Das sollten wir nicht vergessen. Aber natürlich müssen auch wir uns anstrengen, in unseren Bemühungen für eine nachhaltige Entwicklung nicht nachzulassen. Dazu gehört die Integration von Flüchtlingen ebenso wie die Sicherung sozialer Gerechtigkeit und mehr Einsatz für Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Nur wenn wir hier als Stadtgesellschaft zusammenstehen, können wir die Herausforderungen, die noch auf uns zukommen, bewältigen.

In vielen Feldern sind wir bereits aktiv und erfolgreich. Mit unserem Masterplan, dem integrierten Klimaschutzkonzept und dem Klimaschutzbeirat gehen wir im Klimaschutz ebenso kontinuierlich voran wie im Bereich der Klimaanpassung – auch wenn wir nach den letzten Unwettern gerade hier wieder stark herausgefordert sind. Wir arbeiten zunehmend inklusiv, haben Leitlinien zur Bürgerbeteiligung im Rat beschlossen und arbeiten in einem Zukunftsprozess gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern an einem Leitbild. Wir sind auch beteiligt am Prozess Global Nachhaltige Kommune unter dem Dach von Engagement Global.

Sehr gut aufgestellt sind wir auch in den Bereichen Bildung für Nachhaltige Entwicklung, Globale Entwicklungszusammenarbeit (mit sechs Partnerschaften weltweit) und im Engagement in der internationalen Städtepolitik zu Nachhaltigkeitsfragen. Ansonsten verweise ich auf unseren Nachhaltigkeitsbericht, dessen aktuelle Ausgabe wahrscheinlich noch in diesem Jahr erscheinen soll.

 

Welche Arbeit steht Ihnen durch die Verabschiedung der Agenda 2030, die nun auch von Deutschland umgesetzt werden muss, noch bevor? Welche Herausforderungen sehen Sie speziell für Bonn als Stadt?

Das Grundlegende an der Agenda 2030 ist der Perspektivwechsel: Entwicklung findet nicht mehr nur im „globalen Süden“ statt, sondern auch wir müssen uns ändern!  Das erfordert ein Umdenken im Kopf. Wir selbst müssen uns als Entwicklungsland verstehen. Wir müssen unsere Lebens- und Konsumgewohnheiten in Frage stellen. Die Art und Weise, wie wir in Deutschland leben und arbeiten hat immer auch Auswirkungen auf Menschen in anderen Regionen dieser Welt – das gilt es zu bedenken. Für uns als Stadt bedeutet das, dass wir Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung verankern und auch die Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen müssen. Die Kommune hat viele Möglichkeiten, die Agenda 2030 umzusetzen – von der nachhaltigen Beschaffung, über Soziales, Verkehr und Energieversorgung bis hin zur schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit.

Mein zweiter Blickwinkel ist der globale – als UN Stadt und international aktive Stadt. Hier ist es unsere Herausforderung, Themen weiterzubringen, zu verbreiten und zu diskutieren. Hier denke ich zum Beispiel an die Konferenzreihe Resilient Cities von ICLEI und neue Formate, die wir gemeinsam mit der SDG Action Campaign und anderen Partnern entwickeln könnten.


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