50. Jubiläum der UN-Menschenrechtspakte (Teil II): Die Bedeutung der Pakte
Anlässlich des Tages der Menschenrechte (10. Dezember) und dem 50. Jubiläum des Sozial- und Zivilpakts (16.12.) veröffentlichen wir eine Serie von drei Artikeln zur Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Fortentwicklung der beiden bisher bedeutendsten und gleichzeitig grundlegendsten UN-Menschenrechtspakte sowie die Rolle der Zivilgesellschaft im Umsetzungsprozess dieser Übereinkommen. Der zweite Artikel unserer Serie von Dr. Beate Wagner setzt sich am 50. Jahrestag der Verabschiedung mit der Bewertung der UN-Pakte auseinander und liefert einen detaillierten Blick in die Vertragspraxis.
50 Jahre Sozial- und Zivilpakt der Vereinten Nationen
Am 16. Dezember 2016 jährt sich die Verabschiedung des UN Sozial- und Zivilpakts durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum 50. Mal. Anlässlich dieses Jahrestages fällt die Bewertung der beiden grundlegenden Menschenrechtspakte zur Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte höchst unterschiedlich aus. Während von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten oft die Rechtsverbindlichkeit gelobt und die kontinuierlichen Schritte zur weiteren Ausformulierung der Rechte durch die Vertragsausschüsse hervorgehoben werden, wird in der breiten Öffentlichkeit eher auf die offenkundige Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der Konventionen und der tatsächlich nicht vorhandenen Garantie der Rechte verwiesen. Diese Wertung ist insofern gut nachvollziehbar, als die Rechtsverbindlichkeit, die die Konventionen über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinaushebt, nur im Verhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den durch die Konventionen gebundenen Staaten besteht.
Nur innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit garantiert
Alle internationalen Umsetzungsinstrumente der beiden Pakte (Staatenberichte, Individualbeschwerde oder Staatenbeschwerde) sind demgegenüber rein politischer Natur. Trotz der Rechtsverbindlichkeit können Opfer von Menschenrechtsverletzungen somit nicht auf direkte Durchsetzungshilfe der Gesamtheit der Staaten vertrauen, die die Konvention ratifiziert haben. Sie sind angewiesen, ihre Ansprüche innerstaatlich durchzusetzen. Zwar können sie – oft auch mit Unterstützung internationaler Menschenrechtsgruppen - die Nichteinhaltung der Verträge durch die eigene Regierung international skandalisieren, Sanktionen können auf diesem Wege aber nicht durchgesetzt werden.
Welche Wirkung können die Verträge erzielen?
Sind die Internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie über bürgerliche und politische Rechte, wie Sozial- und Zivilpakt korrekt bezeichnet sind, also aufgrund ihrer nicht voll umfänglichen Verbindlichkeit, substanziell doch nicht mehr als die bereits 1948 verabschiedete politische Erklärung? Im Vergleich ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sogar das weltweit bekanntere und ausstrahlungsfähigere Dokument.
Zunächst einmal ist zu erwarten, dass sowohl in der internationalen wie der nationalen Auseinandersetzung der Verweis auf die Verbindlichkeit der Menschenrechte in 164 (Sozialpakt) bzw. 168 Staaten (Zivilpakt) eine stärkere Schutzwirkung entfalten kann als der Rückgriff auf eine rein politische Erklärung. Zumal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schon 1945 als völkerrechtlich verbindliches Dokument geplant war.
Über die allgemeine Plausibilität hinaus, dass eine von Anfang an als verbindliches Dokument geplante Erklärung dann eine stärkere Wirkung entfaltet, wenn die Verbindlichkeit endlich erreicht ist, kann dies empirisch kaum nachgewiesen werden. Der Nachweis ist nur jeweils innerstaatlich möglich, wenn es Menschen gelingt, ihre Rechte unter Berufung auf einen der Menschenrechtsverträge einzuklagen.
Die internationale Vertragspraxis
Allerdings zeigt ein genauerer Blick auf die aktuelle Vertragspraxis, dass vor 50 Jahren auch auf der internationalen Ebene ein wichtiger Prozess der Rechtsdurchsetzung und Fortentwicklung angestoßen wurde, der sich bis heute fortsetzt. Einerseits ermöglicht es die Berufung auf eine innerstaatliche Verbindlichkeit der Rechte, auch auf der internationalen Ebene mit mehr Autorität und potenzieller politischer Wirkung zu argumentieren, andererseits wurden mit den Verträgen auch konkrete Verfahren etabliert, die zur Stärkung der Rechte beitragen.
Die Vertragsstaaten der beiden Pakte haben sich verpflichtet, im Abstand von 5 Jahren gegenüber einem dem jeweiligen Vertrag zugehörigen Expertenausschuss zu berichten, was sie zur Umsetzung der Verträge unternommen haben. Die Ausschüsse beziehen in das Überprüfungsverfahren der Vertragsstaaten auch Berichte der Zivilgesellschaft mit ein (Parallelberichte). Sie überwachen die Verwirklichung des jeweiligen Abkommens, indem sie den Staaten am Ende eines Überprüfungsverfahrens abschließende Bemerkungen mit auf den Weg geben, die Hinweise zur Verbesserung der Vertragspraxis in dem jeweiligen Land geben. Zusätzlich formulieren die Expertenausschüsse sogenannte Allgemeine Bemerkungen, die zur Konkretisierung der jeweiligen Vertragsbestimmungen beitragen.
Ein zusätzliches Instrument, das dem Zivilpakt von Anfang an beigegeben, für den Sozialpakt aber erst 2008 beschlossen wurde und 2013 in Kraft getreten ist, ist ein individuelles Beschwerdeverfahren. Menschen, die auch nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs der Meinung sind, dass ihnen Rechte vorenthalten werden, können sich mit einer individuellen Beschwerde an den jeweils zuständigen Vertragsausschuss richten. In einem rechtsförmigen Verfahren hört der Ausschuss den Staat zu der Beschwerde an und macht anschließend einen Vorschlag, in welcher Weise der Rechtsverletzung ggf. abgeholfen werden kann.
Ausdifferenzierung des vertraglichen Menschenrechtsschutzes
Die beiden grundlegenden UN-Menschenrechtspakte bilden außerdem die Grundlage für die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung des vertraglichen Menschenrechtsschutzes. In mittlerweile sieben weiteren Konventionen werden als besondere menschenrechtliche Probleme Folter, Rassismus und „Verschwindenlassen“ in den Blick genommen. Außerdem werden die Menschenrechte für Frauen, Kinder, Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sowie Menschen mit Behinderungen genauer formuliert. Diese Konventionen orientieren sich auch hinsichtlich der Umsetzungsmechanismen nach dem Muster des Sozial- und Zivilpakts, sehen also jeweils einen Vertragsausschuss mit Staatenberichtsverfahren und optionalem Beschwerdeverfahren vor. Auch das Instrument der Staatenbeschwerde wird regelmäßig übernommen. Hier können Staaten mitteilen, dass ein anderer Vertragsstaat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Dieses Verfahren ist allerdings noch nie angewendet worden.
Rechtschutz wirkt auch bei nur innerstaatlicher Bindung
Dass die UN-Menschenrechtskonventionen Wirkung entfalten können, ist in Deutschland zuletzt durch die UN-Behindertenrechtskonvention sehr deutlich geworden. In der Konvention wird unter anderem das im Sozialpakt bereits verankerte Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen genauer ausformuliert. In unmittelbarer Folge des Inkrafttretens der Konvention im Jahr 2008 haben zahlreiche Eltern von Kindern, die aufgrund einer Behinderung keine Zulassung zu einer Regelschule erhalten hatten, diesen Zugang eingefordert. Auch acht Jahre später wird noch darum gerungen, das Recht auf eine inklusive Bildung umfassend im deutschen Schulsystem umzusetzen. Eine wichtige Vorbereitung für das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen war die Allgemeine Bemerkung Nr. 5 des Sozialpaktausschusses von 1994.
Unabhängige Experten
Dass es sich bei den Expertenausschüssen um tatsächlich gegenüber den Staaten einigermaßen unabhängige Gremien handelt, zeigen einige Beispiele eindrucksvoll. So hat sich der Menschenrechtsausschuss zum Zivilpakt in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 24 kritisch mit der Praxis von Staaten auseinandergesetzt, den Zivilpakt bei der Ratifikation mit Vorbehaltserklärungen in seiner Wirkung für den jeweiligen Vertragsstaat einzuschränken. Die Experten erklären demgegenüber, dass Vorbehaltserklärungen, die sich gegen Ziel und Zweck des Abkommens richten, als nichtig anzusehen seien.
Auch der Ausschuss zum Sozialpakt hat bisher die Auseinandersetzung mit Staatenvertretern nicht gescheut. Schon in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 3 setzt er sich mit der Auffassung auseinander, dass es sich bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten um progressiv zu verwirklichende Rechte handele und durch die Konvention keine Mindestgewährleistungspflichten vorgegeben seien. Der Ausschuss hat seitdem die herausgearbeiteten Mindest-Pflichten zur Grundlage seiner Berichtsprüfung gemacht.
Dr. Beate Wagner
Zum Weiterlesen: Beate Wagner: 50 Jahre UN-Menschenrechtspakte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 7. März 2016, S 17-23.
Hannah Birkenkötter: Die Menschenrechtsausschüsse der Vereinten Nationen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 7. März 2016, S 10-16.