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„Afrika gibt mehr für Schuldenzinsen aus als für die Gesundheitsversorgung“

Prof. Dr. Drs. h.c. Klaus-Heinrich Standke war als erster Deutscher Direktor des UN-Büros für Wissenschaft und Technologie. Mit der DGVN sprach er über Finanzierungsmodalitäten der Entwicklungszusammenarbeit.

Foto von Klaus-Heinrich Standke
Foto: Klaus-Heinrich Standke

DGVN: Sie waren als UN-Direktor des Büros für Wissenschaft und Technologie an der Organisation der Konferenz der Vereinten Nationen über Wissenschaft und Technologie im Dienst der Entwicklung von 1979 beteiligt. Die Konferenz sollte zur Vernetzung von Wissenschaft und Technologie beitragen. Wie hat sich die Bedeutung dieses Thema gewandelt?

Klaus-Heinrich Standke: Einziges sichtbares Ergebnis der Konferenz der Vereinten Nationen über Wissenschaft und Technologie im Dienst der Entwicklung (United Nations Conference on Science and Technology for Development - UNCSTD), Wien, August 1979, war die Forderung zur Schaffung eines neuen Finanzierungsinstruments für Wissenschafts- und Technologieprojekte in Entwicklungsländern. Die Gruppe der Entwicklungsländer (Gruppe der 77 - G77) erwartete, dass das neue Finanzsystem bis zum Jahr 1985 mindestens zwei  Milliarden US-Dollar freiwilliger finanzieller Ressourcen mobilisieren würde und bis 1990 vier Milliarden US-Dollar. Für die Jahre 1980-1981 wurde ein beim UN-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Programme – UNDP) angesiedelter Interim-Fonds geschaffen mit erwarteten freiwilligen Zahlungen von mindestens 250 Millionen US-Dollar.

Nachdem der Interim-Fonds kaum mehr als 40 Millionen US-Dollar einsammelte, wurde er geschlossen. Das avisierte neue Finanzsystem kam daraufhin nicht zustande. Die Kosten für die dreijährige Vorbereitungszeit und Durchführung dieser Weltkonferenz in Wien beliefen sich auf rund 50 Millionen US-Dollar. Das Thema Wissenschaft und Technologie im Dienste der Entwicklung, dem zwei Weltkonferenzen gewidmet worden sind – 1963 in Genf und 1979 in Wien –, wurde seither nicht mehr als eigenständige Aufgabe von den Vereinten Nationen behandelt. Als ‚Querschnittsaufgabe‘ findet es sich seither als Element bestehender Mandate der Sonderorganisationen des UN-Systems wieder.

Umso bemerkenswerter ist der Umstand, dass das zuletzt vor vier Jahrzehnten von den Vereinten Nationen bei der UNCSTD behandelte strategisch wichtige Thema „Science and Technology for Development“ für die Entwicklungsländer erst unlängst erneut große Bedeutung erlangt hat: Am 16. und 17. September 2023 fand in Havanna, Kuba, ein Gipfel der ‚Gruppe der 77+China‘, einem Zusammenschluss von Entwicklungs- und Schwellenländern mit Vertretern von mehr als 100 Ländern und UN-Organisationen, zum Thema „Aktuelle Herausforderungen für die Entwicklung: Rolle der Wissenschaft, Technologie und Innovation“ statt. An der Eröffnung nahmen neben dem gastgebenden kubanischen Präsidenten Miguel Diaz-Canel UN-Generalsekretär António Guterres, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sowie die Präsidenten Alberto Fernández (Argentinien) und Nicolás Maduro (Venezuela) teil. 

Könnten Sie kurz die Anfänge der Finanzierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit skizzieren?

Auf amerikanische Initiative vereinbarten in Bretton Woods (USA) im Juli 1944  die Finanzminister und Notenbankgouverneure von 44 Staaten das Konzept einer globalen Geld- und Währungsordnung (Bretton-Woods-System). Gleichzeitig wurde der Internationale Währungsfonds (IMF) geschaffen. Ein Jahr später, nach Gründung der Vereinten Nationen, wurde der IMF - gemeinsam mit der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) und der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) – als Teil der Weltbankgruppe eine selbständige Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Washington, D.C.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine gewisse Analogie zum Vetorecht der fünf großen Industrieländer im UN-Sicherheitsrat: Beschlüsse müssen im IMF mit einer Mehrheit von 85 Prozent getroffen werden. Dadurch verfügen jeweils die USA allein und die EU-Staaten gemeinsam de facto mit insgesamt 28 Ländern über eine Sperrminorität gegenüber den 161 anderen IMF-Mitgliedern, die in ihrer großen Mehrheit aus Entwicklungsländern bestehen. Die 14 bisherigen Präsidenten der Weltbank waren ausnahmslos US-Amerikaner. Seit dem 2. Juni 2023 ist der indisch-amerikanische Manager Ajaypal (Ajay) Singh Banga Präsident der Weltbank. Der ebenfalls seit 1946 bestehende IMF wird von Geschäftsführenden Direktoren geleitet, die ausnahmslos einem europäischen Land entstammten, davon fünf aus Frankreich und mit Horst Köhler einmal aus Deutschland sowie seit dem 1. Oktober 2019 Kristalina Georgieva aus Bulgarien.

Wo steht die Finanzierung der internationalen Entwicklungsarbeit heute?

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat in jüngster Zeit wiederholt, so bei dem BRICS-Gipfel in Johannesburg vom 22. bis 24. August 2023 sowie wiederholt im September 2023 bei dem afrikanischen Klimagipfel in Nairobi, bei dem
G-20-Gipfel in Neu-Delhi, bei dem G77-Gipfel in Havanna sowie zuletzt  bei der Eröffnung des Hochrangigen politischen Forums über nachhaltige Entwicklung (High-level Political Forum on Sustainable Development – HLPF) und der 77. UN-Generalversammlung in New York die internationalen Finanzstrukturen und -modalitäten angeprangert: „Die derzeitige Finanzstruktur ist veraltet, unfair und dysfunktional.“

Wohl auch in Erkenntnis dessen hat Weltbank-Präsident Ajay Banga in seinem Eröffnungsstatement zur Jahrestagung 2023 von IMF und Weltbank in Marrakesch am 12.Oktober 2023 festgestellt, dass die Weltbank sich auf Grund der neuerlichen Ballung globaler Krisen radikal ändern müsse. Im Kern soll die Bank neu ausgerichtet werden. Die neuen Finanzierungsströme werden sich am Pariser Klimaabkommen richten müssen. Auch für Michael Krake, Exekutivdirektor der Weltbankgruppe für Deutschland, handelt es sich um das umfassendste institutionelle Unterfangen, das die Bankgruppe jemals unternommen hat, um Entwicklung und Klima in Einklang zu bringen. Die Anteilseigner verständigten sich in Marrakesch darauf, die Ausleihekapazität der Entwicklungshilfeinstitutionen zu stärken, um Geld für globale Güter wie Klimaschutz, Pandemievorsorge und Krisenprävention freizumachen.

Schwieriger gestaltete sich die sogenannte Quotenüberprüfung beim IMF. Wie bereits dargestellt, sind im IMF-Gründungskonzept von 1944 die Länder entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke in der globalen Wirtschaft im IMF mit Kapital und Stimme vertreten. Die Quotenüberprüfung stand nun an, weil sich die Gewichte vieler Länder in der Weltwirtschaft verschoben haben. Kompromisse erwiesen sich als schwierig, weil insbesondere die USA ihre quasi Vetomacht nicht gefährdet sehen wollten und zugleich China nicht mehr Einfluss im IMF gewähren wollen. Zu Diskussion stand daher der Vorschlag, die Quoten der einzelnen Länder und damit das Kapital proportional zu erhöhen, was die Machtbalance innerhalb des Fonds unverändert lassen würde.

Wie groß ist der Umfang der Finanzierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit?

Hierzu veröffentlicht die OECD jährlich Statistiken, in denen das Finanzvolumen der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance - ODA) ihrer Mitgliedsländer in Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) ausgewiesen wird. Seit 2003 umfasst die ODA auch neue Aktivitäten der Friedenssicherung und Sicherheit sowie gewisse Schuldenstreichungen für Entwicklungsländer. Zusammen leisteten die Mitglieder des Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit (Development Assistance Committee - DAC) 2020 eine ODA in Höhe von 172 Milliarden US-Dollar, was 0,33 Prozent des BNE aller DAC entspricht. Um die Größenordnung dieser Zahl zu verdeutlichen, sollen sie hier den weltweiten akkumulierten Militärausgaben im Jahr 2022 gegenübergestellt werden: 161 Milliarden US-Dollar für die ODA versus 2,24 Billionen US-Dollar.

„Die heutigen globalen Strukturen sind größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden und spiegeln die Welt von gestern wieder“, sagte Guterres bei dem G-20-Gipfel der Regierungschefs in Neu-Delhi am 9. und 10. September 2023 mit Blick auf internationale Gremien wie den UN-Sicherheitsrat und die Bretton-Woods Institutionen (Weltbank und IMF). Die bereits 1970 vor der UN-Generalversammlung formulierte Zusage der Industriestaaten, mindestens 0,7 Prozent ihres BNE für Entwicklungshilfe aufzuwenden, wird derzeit nur von sechs Staaten erreicht: Dänemark, Deutschland, Luxemburg, Norwegen, Schweden und Großbritannien.

US-Präsident Joe Biden hat daher in seiner Ansprache zur Eröffnung der diesjährigen Generaldebatte der UN dazu aufgerufen, finanzielle Ressourcen für den sogenannten Globalen Süden zu mobilisieren. Für UN-Generalsekretär Guterres gehört dazu auch die dringende Förderung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Eine Neugestaltung der heutigen veralteten, dysfunktionalen und ungerechten globalen Finanzarchitektur sei daher unerlässlich. „Dies erfordert den Mut zum Kompromiss und zu Reformen“, sagte er weiter. Es sei eine gravierende Ungerechtigkeit, dass afrikanische Länder im Schnitt viermal mehr für Kredite zahlten als die USA und achtmal mehr als die reichsten europäischen Länder, sagte Guterres und forderte die Entwicklung eines wirksamen Schuldentilgungsmechanismus mit dem Ziel, die internationale Finanzarchitektur so zu verbessern, dass sie wirklich universell wird und als globales Sicherheitsnetz für Entwicklungsländer in Schwierigkeiten dient. Heutzutage sind viele Länder gezwungen, sich zu entscheiden, ob sie ihrer Bevölkerung dienen oder ihre Schulden bedienen wollen. Afrika gibt mehr für Schuldenzinsen aus als für die Gesundheitsversorgung.

Weltbank und IMF stehen demgegenüber unter dem Druck, deutlich mehr zu tun als bisher, um die globalen Krisen zu bändigen. Eine Expertenkommission im Auftrag der G-20-Länder hat zur Vorbereitung des bereits erwähnten G-20-Gipfels in Neu-Delhi festgestellt, dass die Weltbank zusammen mit anderen Entwicklungsbanken jährlich 260 Milliarden US-Dollar aufbringen müsste, um Ländern zu helfen, den Klimawandel zu bremsen. Zu erinnern ist daran, dass bei der UN-Klimakonferenz in Cancún, Mexico (29. November - 10. Dezember 2010) für die langfristige Klimafinanzierung beschlossen wurde, einen Fonds einzurichten (Green Climate Fund – GCF), aus dem insbesondere Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern finanziert werden sollen. Der GCF sollte ab 2013 seine Arbeit aufnehmen. Die Industrieländer sollten den GCF mit Mitteln ausstatten, die ab 2020 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr anwachsen sollen. Zur Eröffnung der von Deutschland am 5. Oktober 2023 in Bonn ausgerichteten Finanzierungskonferenz für den GCF zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz optimistisch, dass 2023 erstmals diese Zusage eingehalten würde.

Wie würden Sie die Lage heute beschreiben?

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die reichen Industrieländer, von denen die wesentlichen Impulse im Kampf gegen Krisen erwartet werden, erschöpft wirken. Der Krieg in der Ukraine, der Konflikt mit China, haben die Staatsschulden in einer Phase explodieren lassen, in der auch reiche Länder mit dem klimagerechten Umbau ihrer eigenen Volkswirtschaften zu kämpfen haben. Globalisierung und internationale Solidarität im Zeichen der entwicklungspolitischen Solidarität verlieren an Rückhalt in den Bevölkerungen.

Umso wichtiger ist es, dass auf der 79. UN-Generalversammlung 2024 in New York wiederum  ein neuer Anlauf gemacht werden soll: Ein „Zukunftsgipfel“  unter Beteiligung von Staats- und Regierungschefs soll der Generalversammlung vorgeschaltet werden. Botschafterin Antje Leendertse, Ständige Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, und Botschafter Neville Gertze, Ständiger Vertreter von Namibia bei den Vereinten Nationen wurden vom Präsidenten der Generalversammlung Dennis Francis (Trinidad und Tobago) zu Ko-Fazilitatoren (Co-Facilitators) zur Vorbereitung des  Zukunftsgipfels ernannt.

Es wird von dieser anspruchsvollen  Initiative erwartet, dass dieser auch als ‚Reformgipfel‘ bezeichnete „Zukunftsgipfel: Multilaterale Lösungen für eine bessere Zukunft“ Wege aufzuzeigen vermag, um die multilaterale  Zusammenarbeit zu intensivieren, bestehende Verpflichtungen, einschließlich der erwähnten SDGs zu aktivieren und auf ein reformiertes multilaterales Finanzsystem hinzuwirken. Gekrönt werden soll das anspruchsvolle Projekt durch die Verabschiedung eines gemeinsamen „Paktes für die Zukunft“ durch die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs.


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