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Auswege aus der Krise oder Stillstand nach der Parlamentswahl in Guinea-Bissau?

Anlässlich der diesjährigen Studienreise nach Guinea-Bissau lobte die DGVN einen Essaywettbewerb aus. Wie kann das Land die Dauerkrise überwinden? Welche Rolle spielen die UN? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich der Gewinneressay von Andreas Holzinger

Flagge von Guinea-Bissau am UN-Hauptsitz in New York
Die Flagge Guinea-Bissaus (ganz rechts) weht am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York. (UN Photo/Manuel Elias )

Diskurse verändern sich, Strukturen bleiben festgefahren. Als zweitkleinster Staat der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States – ECOWAS), gemessen an der Bevölkerung, gehört Guinea-Bissau zu jenen Post-Konflikt-Gesellschaften, die zum einen durch eine stark von einem Exportprodukt abhängigen Wirtschaft, zum anderen von den Risiken der Unterwanderung des Staates durch die organisierte Kriminalität gekennzeichnet sind. International wird das lusophone Land weitgehend übersehen: zu klein und unbedeutend, ein mangelnder Reformwille hat Guinea-Bissau ins Abseits des entwicklungspolitischen Interesses gerückt. Trotz integrierter politischer Missionen der Vereinten Nationen (UN) haben viele Geberstaaten während der letzten zwei Dekaden dem Land zunehmend den Rücken gekehrt. Entwicklungspolitisch sind kaum Erfolge zu verbuchen, denn Guinea-Bissau steht noch immer in den Top 10 derjenigen Staaten, die die höchste Armutsrate sowie den niedrigsten Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index – HDI) aufweisen. Wenn die Hauptstadt herausgerechnet wird, nimmt das Land sogar den „Spitzenplatz“ ein, denn eine ländliche Infrastruktur und lokale Regierungsinstitutionen sind quasi inexistent.

Nun hat sich der entwicklungspolitische Kurs – global und vor Ort seit dem Ende des Bürgerkriegs kurz vor der Jahrtausendwende – gewandelt. Die Diversifizierung der Produktions- und Exportgüter als wichtiger Bestandteil für nachhaltiges Wachstum wird anerkannt, Staaten in ganz Afrika stärken nicht nur ihre Exportwirtschaft, sondern nehmen die Chance wachsender Binnenmärkte wahr. Die sehr jungen Bevölkerungen in den Subsahara-Staaten, die einen immensen Druck auf die Arbeitsmärkte erzeugen und Migrationsbewegungen speisen, versprechen gleichzeitig eine Dynamik in der Wirtschaftsentwicklung – solange neue Beschäftigungsperspektiven, zum Beispiel in der Digitalwirtschaft, geschaffen werden. Längst sind nachhaltiges Wirtschaften, gute Regierungsführung und Innovation das verbindende Narrativ. Doch Guinea-Bissau ist durch die stagnierende politische Lage der letzten fünf Jahre von dem allgemein positiven Trend der Region abgehängt worden.

 

Hoffnung auf ein gesellschaftliches Gegengewicht

Die hohe Beteiligung an den Parlamentswahlen im März 2019 unterstreicht den Wunsch zum Wandel. Die Wahl hat jedoch auch gezeigt, dass mit den gleichen politischen Akteuren die tieferliegenden Gründe der lang andauernden Regierungskrise nicht überwunden werden können. Lediglich nach vier Monaten und unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft, insbesondere mithilfe der ECOWAS und deren Stabilisierungsmission ECOMIB, konnte eine neue Regierung gebildet werden.

Die Jugend ist frustriert ob des Kerns der Krise: konkurrierende Eliten, die den Staat als einzige Einnahmequelle für Macht und Wohlstand ansehen und Schattenwirtschaften durch Einfluss und Drogen manipulieren. Die Urnen wurden bedient und der Unmut geäußert. Aber der Ausdruck einer sich zunehmend artikulierenden Zivilgesellschaft übersetzt sich noch nicht ins Parteipolitische. Es täuscht, wenn man die Anzahl von neuen Parteien mit dem Erwachen einer parlamentarischen Demokratie gleichsetzen wollte. Denn die größte Hoffnung auf eine Regierung, die die Reformen angehen kann, rechnen die meisten Beobachter der ehemaligen Einheitspartei PAIGC zu. Wenn sich nun Diversität langsam aber stetig in einer zwar noch schwach ausgeprägten Zivilgesellschaft anbahnt und immer mehr Menschen Mitsprache einfordern, besteht Hoffnung auf ein gesellschaftliches Gegengewicht, das Korruption und Klientelpolitik stärker als bisher entgegenwirken könnte.

 

Modernisierungsperspektiven in Politik und Wirtschaft

Wahllokal in Guinea-Bissau
Blick in ein Wahllokal in Guinea-Bissau. Auch im Jahr 2014 vereinigte die PAIGC die meisten Stimmen auf sich. (OneWorld UK/flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

 

Die Mehrheit hat sich für eine von der PAIGC geführte Regierung ausgesprochen, insbesondere für den ehemaligen Premierminister Domingos Simoes Pereira (DSP), dessen erstes Mandat 2015 abrupt vom amtierenden Präsidenten José Mário Vaz beendet wurde. Der Machtkampf geht in die nächste Runde, da beide voraussichtlich für das Präsidentenamt kandidieren werden. Vaz wird weiter verhindern wollen, dass die nun unter internationalem Druck angesetzte Wahl für Ende November auch wirklich durchgeführt wird. Diese wird richtungsweisend für die Stabilität der Regierung und die langfristige Reformfreudigkeit des Landes sein. Sollten sich die Modernisierer um DSP in den internen Wahlen der PAIGC durchsetzen und anschließend die Wahlen gewinnen, stünden die Chancen nicht schlecht, das Land auf Reformkurs zu bringen.

Das 2015 von DSP ausgearbeitete Reform- und Entwicklungsprogramm Terra Ranka gilt bei vielen Mitgliedern der Regierung als politisches Leitmotiv, auch wenn es einer Überarbeitung bedarf. Mit dem nun aufgesetzten Krisenprogramm bis zu den Wahlen möchte die Regierung zeigen, dass sie zur Linderung der drängendsten Nöte der Bevölkerung beitragen kann: Schulen blieben dieses Jahr weitgehend geschlossen, weiterhin haben nur wenige Bürger Zugang zu medizinischer Versorgung.

Eine diversifizierte Ökonomie und die damit stärkere Einbindung unterschiedlicher gesellschaftlicher Stimmen wären langfristig nötig, um den Reformeifer zu stützen und gute Regierungsführung zu erhöhen. Die Verschärfung der wirtschaftlichen Krise und des Staatsbankrotts haben starke Folgen auf der Politikebene sowie auf der Ebene der staatlichen Dienstleistungen: So ist die lang andauernde Streikwelle in Schulen und Amtsstuben selbst für die leidgeplagten Menschen in Guinea-Bissau unerträglich geworden. Es stehen kaum Ressourcen für Staatsinvestitionen in grundlegende öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung. Damit bleibt wenig Hoffnung auf eine ländliche Entwicklung und die dringend notwendige Minderung der Armut.

Weiterhin kontrolliert eine kleine Elite, durch die Schwäche der Zivilgesellschaft in ihrem Handlungsspielraum kaum eingeschränkt, Politik und Wirtschaft. Sie hat wenig Interesse an der Beseitigung von Armut und setzt weiterhin auf den Status Quo, der durch eine schwelende Krise verlängert wird. Investitionen aus dem Ausland sind so wohl kaum zu erwarten: Nicht nur ist der Absatzmarkt des Landes viel zu klein, vor allem die schlechte Regierungsführung und Korruptionsskandale müssten zunächst behoben werden.

 

Fragile Institutionen zwischen Aufbruchsstimmung und organisierter Kriminalität

Was bedeutet dieses schwache, aber existente Reformpotenzial für die Akteurslandschaft in der Region? Durch die Mandatsverlängerung der ECOMIB-Streitkräfte und die Androhungen von Sanktionen gegen bestimmte Personen hält sich das Militär zurück. Gleichzeitig sind regionale Akteure nicht nur an Antikorruptionsaktivitäten interessiert: Geopolitische Risiken werden auch durch eine Einflussnahme von Nachbarstaaten mit wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Auch wenn man Guinea-Bissau das Etikett „Narcostaat Westafrikas“ nicht anheften will, darf die Unterwanderung von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen durch transnational organisierte Kriminelle und der wachsende Extremismus nicht unterschätzt werden. Darüber hinaus besteht weiterhin die Gefahr, dass die für den 24. November angesetzte Präsidentenwahl ins Unbestimmte verschoben wird. Die Einmischung des Präsidenten in die Regierungsgeschäfte kann trotz des im Juni verabschiedeten ECOWAS-Abkommens von Abuja erwartet werden.

Der westafrikanische Staat Guinea-Bissau zeigt den Ausweg aus einer Krise: Ein friedlicher erster Wechsel demokratischer Regierungen, hohe Erwartungen der jungen Bevölkerung und ein paritätisch besetztes Kabinett könnten sehr viele positive Signale des Aufbruchs senden. Doch ein Land, dessen politisches Gefüge dysfunktional ist und durch geringe Staatlichkeit, Zentralismus und eine sehr schwach ausgeprägte Zivilgesellschaft limitiert wird, benötigt neue Ansätze auch in der internationalen Zusammenarbeit. Die „Donor fatigue“ der letzten zwei Dekaden kann durchbrochen werden, wenn die demografische Dividende erfolgreich eingesetzt wird und Frieden und Konflikt nicht mehr in einem binären Muster der Verfahren und Verträge anerkannt werden. Denn man kann – anders als in anderen Post-Konflikt-Ländern – auf ein resilientes gesellschaftliches Gefüge aufbauen.

 

Die UN in Guinea-Bissau: drei Szenarien

Die Rolle der UN, dem Integrierten Büro der Vereinten Nationen für die Friedenskonsolidierung in Guinea-Bissau (United Nations Integrated Peacebuilding Office in Guinea-Bissau – UNIOGBIS) und dem Länderteam (United Nations Country Team – UNCT) besteht darin, soziale Kohäsion in einem Land zu fördern, dessen Infrastruktur – sei es materiell oder systemisch – so schwach ausgeprägt ist, dass Korruption und Eliten die Veränderungsprozesse ausbremsen und somit positiven Wandel verhindern können. Eine Dauerkrise kann das Land verbuchen – doch wie sollen Optionen sichtbar werden, wenn die UN eine koordinierte, innovative Planung mit der lokalen Bevölkerung nicht strategisch angeht? Drei stilisierte Szenarien nach der Schließung von UNIOGBIS:

  1. Reformglück: Die Präsidentschaftswahl im November ermöglicht einen demokratischen Übergang, der auch den Friedensprozess beschleunigt. UNIOGBIS kann Guinea-Bissau wie geplant bis zum 31. Dezember 2020 verlassen und gegen Ende noch Impulse für nachhaltige Strukturen im Governance-Bereich geben, die auch ländliche Gegenden des Landes umfassen. Die Bilanz von „20 Jahre UNIOGBIS“ kann somit narrativstiftend genutzt werden, um a) lokale Akteure besser zu platzieren, b) UN-Organe strategischer zu positionieren und c) internationale Aufmerksamkeit zu generieren. Guinea-Bissau rückt damit stärker in den Fokus von bilateralen Geberstaaten bis hin zu Reformpartnerschaften.
  2. Verlängerung des Status quo: Nach Verschiebungen der Wahlen wird kein modernisierender Diskurs des Landes ermöglicht. Ein Reformpfad wird vordergründig angedeutet, allerdings nicht proaktiv eingeschlagen. UNIOGBIS verlässt das Land wie geplant Ende 2020, verbucht aber keinen Erfolg der Krisenprävention und noch weniger der nachhaltigen Friedensstiftung. Guinea-Bissau wird auch in Zukunft von der internationalen Gemeinschaft vernachlässigt und der Klientelwirtschaft einer kleinen Elite überlassen.
  3. Eskalation der Wahlphase: Vereinzelte Demonstrationen hatten die Wochen vor Regierungsbildung geprägt. Auch wenn Gewalt im Vorfeld der Wahlen wie in anderen Staaten Subsaharas bei den Parlamentswahlen diesen Frühling ausblieb, ist ähnliches nicht zu garantieren, wenn die Präsidentschaftswahlen erneut vertagt werden. Im schlimmsten Falle müsste UNIOGBIS dann erneut im Eilverfahren den UN-Sicherheitsrat ersuchen, ob eine Mandatserweiterung noch möglich sei, um Frieden nachhaltig zu verankern. Allerdings fällt die Bilanz der Mission nicht so aus, dass eine Verlängerung wahrscheinlich wäre.

Auch wenn die Szenarien in ihrer Reinform nicht zutreffen sollten, ist eine hoffnungsvolle Tendenz wünschenswert. Wie bereits angedeutet liegen die Chancen im demografischen Wandel, diverseren Diskursen und einer sich durch höhere Investitionen langsam diversifizierenden Wirtschaft. Internationale Akteure könnten durch Pilotprojekte zu adaptivem Peacebuilding von Interpeace, Innovation Labs von UNDP oder digitale Identitätsprojekte zur Förderung sozialer Sicherheit auch in ländlichen Gegenden positiv zu diesem Ziel beitragen. Solche Ideen werden bereits in anderen Ländern der Region angegangen. Die Frage bleibt dennoch: Schafft es Guinea-Bissau, sich selbst den Ausweg aus Krise und Stillstand zu bahnen, oder werden hoffnungsbremsende Prozesse zwischen den beiden Wahlen 2019 weiterhin voranschreiten?

Andreas Holzinger

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