Debatte: 50 Jahre Deutschland in den Vereinten Nationen: Für einen aktiven Multilateralismus
Am 18. September 1973 traten die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik den Vereinten Nationen (UN) bei. Seit der glücklichen Überwindung der deutschen Teilung vor allem durch mutige Menschen in der DDR, durch das beherzte Ergreifen der Chance zur Wiedervereinigung in Ost und West sowie durch die wichtige Unterstützung internationaler Partner ist seit dem Tag der Deutschen Einheit 1990 das wiedervereinigte Deutschland Mitglied der Völkerfamilie. Die UN-Mitgliedschaft Deutschlands steht also auch symbolisch für die erfolgreiche demokratische Entwicklung der Bundesrepublik, für die Wiederrichtung der gesamtdeutschen Demokratie und eines Rechtsstaats auf deutschem Boden sowie für eine neue Friedensordnung in der Welt nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges. Die Aufnahme der beiden deutschen Staaten war übrigens keinesfalls selbstverständlich und lief auch nicht gerade reibungslos ab. Als die Vollversammlung über die Aufnahme um Zustimmung gebeten wurde, meldete sich prompt Israel und protestierte gegen den Beitritt der DDR mit der Begründung, die sozialistische Republik entziehe sich ihrer historischen Verantwortung für den Holocaust. Anschließend sprach sich die Botschafterin Guinea-Bissaus gegen eine Aufnahme der Bundesrepublik aus. Das afrikanische Land fühlte sich beim Prozess der Entkolonialisierung von der Bundesrepublik im Stich gelassen.
Der Applaus für dieses epochale Ereignis in Zeiten des Kalten Krieges blieb moderat.
50 Jahre Mitgliedschaft Deutschlands in den UN sind daher umso mehr ein Grund zur Freude und geben Anlass, in die Zukunft zu blicken. Seit der Wiedervereinigung hat Deutschland nicht zuletzt bei der Finanzierung der UN eine Führungsrolle inne: Reguläre und freiwillige Beiträge zusammengenommen, ist Deutschland zweitgrößter Finanzier des UN-Systems. Auch personell und politisch ist die Bundesrepublik in den UN stark engagiert: Deutschland war mehrfach Mitglied des Sicherheitsrats und des Menschenrechtsrats. Es gibt eine lange Tradition deutscher Beteiligungen an zahlreichen Friedensmissionen. Bonn ist UN-Standort, und in Hamburg tagt der Internationale Seegerichtshof. Deutsche haben in wichtigen Funktionen Spuren hinterlassen, wie zum Beispiel Klaus Töpfer als Exekutivdirektor des Umweltprogramms in Nairobi. Deutschland konnte in die Familie friedliebender Völker zurückkehren und ist heute ein Stabilisator, wenn es um die regelbasierte Ordnung in der Welt geht und um die Werte, die die UN-Charta mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschwört. Darauf können wir stolz sein.
In den 33 Jahren seit der deutschen Wiedervereinigung sind wir vom Konsumenten zum Mitproduzenten internationaler Ordnung geworden.
Das sollten wir hierzulande viel stärker öffentlichkeitswirksam kundtun und dafür werben. Deutschland hat sich in den vergangenen 50 Jahren ein hohes Ansehen erworben, mit dem ein ebenso hohes Maß an Verantwortung einhergeht. Dieser müssen wir weiter gerecht werden und uns nun nachdrücklich um die Arbeitsfähigkeit der UN bemühen. Angesichts der Blockade des UN-Sicherheitsrats muss beispielsweise viel stärker und mutiger an einer Neugestaltung des Vetorechts gearbeitet werden. Es braucht außerdem eine Reform des Menschenrechtsrats hin zu einem Gremium, das Menschenrechtsverbrechern keine Falschdarstellung ihrer Taten mehr erlaubt, sondern Vergehen gegen die Menschenrechte klar als solche benennt und verurteilt. Zudem ist ein ganzheitlicher Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit, der Ressourcen bündelt, religiöse Akteure viel stärker mit in den Blick nimmt und auch mit der Privatwirtschaft vor Ort kooperiert, unverzichtbar. Deutschland könnte in Afrika, Lateinamerika und Asien eine gemeinsame europäische Initiative starten und vorantreiben. Wir brauchen außerdem zur Stärkung der Krisenprävention der UN ein funktionierendes globales Krisenfrühwarnsystem angesichts der vielen Risikofaktoren wie Klimaveränderung und Ressourcenknappheit.
Deutschland muss in vielen relevanten Bereichen noch mehr tun, um dem Anspruch einer politischen Führungsrolle gerecht zu werden.
Es muss aktiver an der multilateralen Problemlösung mitwirken, insbesondere durch die Unterbreitung konkreter Vorschläge und deren Operationalisierung in Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Dies gilt gerade jetzt, da unsere globale Weltordnung derart unter zuweilen buchstäblichem Beschuss steht. Zögerliche Reaktionen sind hier fehl am Platze. Deutschland könnte sich im Jubiläumsjahr seiner Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen an die Spitze derartiger Reformanstrengungen setzen. Das wäre ein starkes Signal.
Monika Grütters, MdB