Deutschland im Sicherheitsrat: Auch Diplomatie braucht Deutlichkeit
Erstmals nach sieben Jahren hatte Deutschland im April den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat inne. Die Bundesregierung kündigte im Vorfeld an, dass ein Fokus während dieser Amtszeit auf Krisenprävention liegen werde. Thematische Schwerpunkte sollten die Themen sexuelle Gewalt gegen Frauen und der Schutz von Frauen in Krisenregionen sowie humanitärer Helfer während ihres Einsatzes für Friedensmissionen bilden. Darüber hinaus sollte internationale Abrüstung auf die Agenda gesetzt werden.
Deutschland konzentrierte sich im April auf eine Weiterführung der Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und erreichte sein Ziel, eine Resolution gegen sexuelle Gewalt in Konflikten zu verabschieden, wenn auch mit einigen Änderungen des ursprünglichen Textes auf Drängen der Vetomacht USA. Die Resolution 2467 wurde mit 13 von 15 Stimmen, bei Enthaltung von China und Russland, verabschiedet. Sie beinhaltet eine vergrößerte Rechenschaftspflicht, um den Schutz vor sexueller Gewalt zu verbessern und Verantwortliche zur Verantwortung zu ziehen. Darüber hinaus berücksichtigt die Resolution erstmalig die Opfer sexueller Gewalt, die mehr Unterstützung erfahren sollen. Hier schließt die Resolution auch Jungen und Männer, die Opfer sexueller Gewalt werden, mit ein. Auf Druck von Seiten der USA wurde die Passage über einen legitimen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für vergewaltigte Frauen abgeändert. Dieser Schritt wird von vielen Frauenrechtsorganisationen kritisiert, die sich in dieser Hinsicht mehr Durchsetzungsvermögen von Deutschland in seiner Rolle als Vorsitzender gewünscht hätten.
Europäische Einigkeit im Sicherheitsrat: Wunsch und Wirklichkeit
Die Amtszeit 2019/20 steht ganz im Zeichen deutsch-französischer Partnerschaft. Deutschland und Frankreich teilen sich einen gemeinsamen Sitz in Form einer Zwillingspräsidentschaft, oder französisch ‚Jumelage‘. Auf diese Weise möchten beide Länder ein Zeichen für europäischen Zusammenhalt und multilaterale Lösungen setzen, die derzeit von nationalistischen Strömungen angegangen werden. In Anbetracht einer Krise der Europäischen Union soll die Zwillingspräsidentschaft zu einem Symbol internationaler Kooperation werden, eine der Maximen der Vereinten Nationen. Der geteilte Vorsitz schließt darüber hinaus an die Diskussion über einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat an.
Wenngleich die Zwillingspräsidentschaft ein Zeichen für Zusammenhalt ist, bleibt dennoch die Herausforderung, deutsche und französische Interessen im Sicherheitsrat zu koordinieren. Beide Länder teilen thematische Schwerpunkte in Form eines gemeinsamen Programms und befürworten eine Reform des Sicherheitsrates. Doch es besteht auch Uneinigkeit, beispielsweise hinsichtlich eines ständigen europäischen Sitzes. Zwar unterstützt Frankreich einen ständigen deutschen Sitz, lehnt jedoch anders als Deutschland die Idee eines ständigen europäischen Sitzes ab. Dieser würde bedeuten, dass Frankreich seinen ständigen Sitz, der ihm ein dauerhaftes Vetorecht zusichert, aufgeben müsste.
Darüber hinaus besteht für Deutschland die Schwierigkeit, einerseits die deutsch-französische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln, andererseits jedoch die Amtszeit 2019/20 dafür zu nutzen, um seinem Verständnis von internationaler Verantwortung im Hinblick auf Frieden und Sicherheit gerecht zu werden. Oder anders gesagt: im Sicherheitsrat seine Interessen zu vertreten. Dies erfordert, neue Impulse zu geben und sich thematisch eindeutig zu positionieren. Auch wenn Deutschland sexuelle Gewalt gegen Frauen zum Schwerpunkt im April machen konnte, wurden konkrete Situationen wie die der Rohingya in Myanmar oder der Sprachenstreit in Kamerun, der schon hunderttausende Vertriebene produziert hat, nicht angesprochen. Deutschland rief zwar auch eine Dringlichkeitssitzung zur Lage in Libyen ein, allerdings ohne die Verabschiedung einer Resolution.
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch kritisieren, dass die Bundesrepublik sich im April stärker als „Penholder“ einbringen und Aufmerksamkeit auf spezifische Länderkontexte hätte lenken können. Will man in Berlin am Ende der Amtszeit eine positive Bilanz ziehen können, ist es wichtig, mehr Verantwortung zu übernehmen und ein eindeutiges Profil in Bezug auf ausgewählte Konflikte zu zeigen – und die Auseinandersetzungen im Sicherheitsrat nicht zu scheuen. Diese Verantwortung beinhaltet auch, über die Resolution 2467 hinaus die Frauen- bzw. Menschenrechtssituation in einzelnen Ländern in den Blick zu nehmen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein Thema in allen bewaffneten Konflikten. Die Resolution darf deshalb nicht ein abstrakter Text mit Forderungen bleiben, sondern muss Anwendung finden. Welche Hilfe und Unterstützung benötigen Frauen beispielsweise in Myanmar oder Kamerun?
Deutschlands Chance im Sicherheitsrat: Ein Ausblick
Im Mai stehen die Situationen im Südsudan, Jemen und Syrien auf der Agenda. Zu diesen Themen könnte sich Deutschland in stärkerem Maße einbringen und Profil zeigen. Der Sicherheitsrat bleibt ein Ort, an dem verschiedene politische Interessen aufeinandertreffen. Die deutsche Außenpolitik kennzeichnet Kompromissbereitschaft, eine wichtige Eigenschaft für Sicherheitsrat-Diplomatie. Allerdings erfordert die Mitgliedschaft dort auch Verantwortung „für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“, wie es in der Charta heißt, zu übernehmen. Dies bedeutet manchmal, europäische Einigkeit nicht bei allen Themen wahren zu können.
Deutschland hat seinen Vorsitz genutzt, um die Verabschiedung der Resolution 2467 durchzusetzen – ein Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit. Doch sind Resolutionen das eine, die tatsächliche Situation in den Konflikten vor Ort das andere. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf im Hinblick auf die Anwendung der Resolution in der politischen Praxis. Deutschland hat noch die Möglichkeit in der verbleibenden Zeit im Sicherheitsrat ein stärkeres Profil zu zeigen und bei der thematischen Schwerpunktsetzung auch einmal den ‚unbequemen‘ Weg zu gehen. Der Erfolg dieser deutschen Mitgliedschaft sollte sich letztlich daran bemessen, wie viel in der Praxis erreicht werden konnte und nicht an der Anzahl von verabschiedeten Resolutionen.
Lea Boraucke