Die DGVN beim Hochrangigen Politischen Forum zu nachhaltiger Entwicklung 2024 in New York

Was ist das HLPF und worum geht es?
Das Hochrangige Politisches Forum zu nachhaltiger Entwicklung („High-Level Political Forum on Sustainable Development”, HLPF) ist das zentrale UN-Gremium für nachhaltige Entwicklung. Es tagt jährlich bei den Vereinten Nationen in New York und hat hauptsächlich die Aufgabe, die Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer 17 globalen Nachhaltigkeitsziele („Sustainable Development Goals”, SDGs) zu überwachen.
In diesem Jahr fand das HLPF zum 12. Mal statt und tagte vom 8. bis 17. Juli 2024 unter dem Titel „Reinforcing the 2030 Agenda and eradicating poverty in times of multiple crises: the effective delivery of sustainable, resilient and innovative solutions” (Stärkung der Agenda 2030 und Beseitigung der Armut in Zeiten multipler Krisen: die wirksame Bereitstellung nachhaltiger, widerstandsfähiger und innovativer Lösungen) unter der Schirmherrschaft des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC). Am HLPF nehmen Staats- und Regierungsvertreterinnen und -vertreter teil sowie ein breites Spektrum an Fachleuten und Interessenvertreterinnen und -vertretern, unter anderem von UN-Organisationen, NGOs, Parlamenten, Wirtschaft und Städten.
Das Programm des HLPF beginnt jeweils immer mit einer fünftägigen Themenwoche, in der die Fortschritte bei der Umsetzung der SDGs überprüft und bewertet werden. In diesem Jahr standen dabei fünf SDGs im Fokus der Betrachtung: SDG 1 (keine Armut), SDG 2 (kein Hunger), SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz), SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) sowie SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele).
Während des sich in der zweiten Woche anschließenden dreitägigen hochrangigen Segments auf Ministerebene werden die nationalen freiwilligen Staatenberichte („Voluntary National Reviews”, VNRs) vorgestellt, in denen UN-Mitgliedstaaten über den Stand und die Entwicklungen zur Agenda 2030 in ihren Ländern berichten. In diesem Jahr legten 36 Staaten einen VNR vor und gaben Auskunft über die Fortschritte beim Erreichen der SDGs. Auch verschiedene Städte stellten mit ihren „Voluntary Local Reviews” (VLRs) freiwillige Nachhaltigkeitsberichte vor.
Über den gesamten Zeitraum des HLPF hinweg finden parallel zahlreiche Special Events, Side Events und VNR Labs statt, die vor allem dem Erfahrungsaustausch und dem Capacity-Building zur SDG-Umsetzung auf nationaler Ebene dienen. Am Ende des HLPF steht die Verabschiedung des Abschlussdokuments, das in den Jahren, in denen das HLPF wie in diesem Jahr unter der Schirmherrschaft des ECOSOC tagt, eine ausgehandelte Ministerialerklärung ist. In diesem Jahr wurde diese am 17. Juli 2024 verabschiedet.
Alle vier Jahre tagt das HLPF zusätzlich für bis zu zwei Tage im September auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs unter der Schirmherrschaft der UN-Generalversammlung, bei dem ebenfalls abschließend eine politische Erklärung verabschiedet wird. Der letzte SDG Summit („SDG Gipfel”) fand im September 2023 im Rahmen der Eröffnung der UN-Generalversammlung statt. Die Schaffung eines Hochrangigen Politischen Forums zu nachhaltiger Entwicklung war 2012 auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung Rio+20 beschlossen worden. Nach informellen Konsultationen unter Leitung der Vertreter Brasiliens und Italiens bei den Vereinten Nationen in New York legte die UN-Generalversammlung am 9. Juli 2013 in Resolution A/67/290 das Format und organisatorische Aspekte des HLPF fest.
Die Umsetzung der SDGs ist nicht auf Kurs
In der ersten Woche des HLPF wurde jedes der fünf SDGs in separaten Programmpunkten einer Bestandsaufnahme unterzogen, Herausforderungen bei der Zielerreichung benannt und nötige Maßnahmen beleuchtet. Bei der Betrachtung aller fünf SDGs wurde erneut deutlich, dass die Umsetzung nicht ausreichend vorangeht und die Zielerreichung noch weit entfernt ist. Insgesamt wurde bei der Umsetzung der 17 SDGs die ernüchternde Bilanz gezogen, dass derzeit nur 17 Prozent der SDG-Zielvorgaben erreicht oder auf Kurs sind, bei mehr als einem Drittel Stagnation oder Rückschritte zu verzeichnen sind, und es nur bei etwas weniger als der Hälfte kaum oder moderate Fortschritte gibt.
Bereits der Titel des diesjährigen HLPF nahm klaren Bezug darauf, dass das multilaterale System vor großen Herausforderungen steht: Die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihrer 17 Ziele ist stark vom Kurs abgekommen. Zahlreiche, sich überschneidende Krisen - geopolitische Instabilität, die COVID-19-Pandemie, der Klimawandel und Konflikte - haben die Bemühungen um die Beseitigung der Armut und die Ausrichtung der Welt auf eine nachhaltige Entwicklung stark beeinträchtigt. Die Halbzeitbilanz zur Agenda 2030 im Herbst 2023 hatte bereits aufgezeigt, dass derzeit nur ein geringer Teil der globalen Nachhaltigkeitsziele erreichbar ist und dass die Weltgemeinschaft massive Anstrengungen zur Beschleunigung unternehmen muss.
Auch wenn das klare Bekenntnis zur Agenda 2030 in vielen Redebeiträgen beim HLPF zu hören war, wurde ebenso deutlich betont, dass es vor allem um die Frage gehen muss, wie die Umsetzungsprozesse beschleunigt werden können, zumal die Zeit für die Verwirklichung der SDGs bis 2030 immer knapper wird. Welche konkreten Maßnahmen für eine Beschleunigung notwendig sind und wie Hindernisse beseitigt werden können, wurde im Rahmen der Bestandsaufnahme der einzelnen SDGs beleuchtet. Paula Narváez, Präsidentin des ECOSOC, betonte, dass „nachhaltige Entwicklung nur erreicht werden kann, wenn wir zusammenarbeiten, Unterschiede beiseitelassen und uns auf unser gemeinsames Ziel konzentrieren”. Dr. Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hob hervor, dass wir zur Umsetzung der SDGs weltweit „vertrauensvolle Partnerschaften und multilaterale Zusammenarbeit (brauchen). Das gilt weltweit, aber auch bei uns.”
Eine weitere dringende und übergreifende Fragestellung beim HLPF war das Thema der Finanzierung der SDG-Umsetzung, was vor allem im Rahmen von SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele) diskutiert wurde. Es wurde hervorgehoben, dass eine ausreichende Finanzierung gerade in Ländern des Globalen Südens zur Umsetzung der SDGs nicht gegeben ist. Derzeit ist die geschätzte Finanzierungslücke zur Erreichung der SDGs in den Ländern auf 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr angestiegen. Laura Chinchilla, ehemalige Präsidentin von Costa Rica, nahm in ihrem Statement „Unlocking investments in the SDGs” Bezug zum Plan von UN-Generalsekretär António Guterres, für diesen Zweck Investitionen von Regierungen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen zu mobilisieren.
Die VNRs bieten die Möglichkeit, voneinander zu lernen
Unter den 36 Staaten, die in diesem Jahr ihre VNRs vorstellten, waren unter anderem Brasilien, Ecuador, Jemen, Namibia sowie Syrien, und mit Österreich und Spanien auch zwei EU-Staaten vertreten. Die Bundesregierung legte in den Jahren 2016 und 2021 einen VNR für Deutschland vor und wird außerdem 2025 erneut beim HLPF zum Stand der SDGs berichten.
Die vorbereiteten Präsentationen der VNRs werden im Plenum durch eine Regierungsvertreterin bzw. einen Regierungsvertreter in einem formalisierten Verfahren vorgestellt. Es wird dabei zum aktuellen Stand der Umsetzung der SDGs berichtet, wobei vor allem Erfolge und Fortschritte betont werden, teilweise werden aber auch die Herausforderungen und Hemmnisse dargestellt. Einzelne Länder hatten für die Vorstellung professionelle Filme produziert, die sowohl die Umsetzungsmaßnahmen zu den SDGs als auch das Land visuell herausstellten. Im Anschluss an jeden Länderbericht besteht die Möglichkeit für andere Staaten und offizielle Vertreter z.B. von NGOs, die VNRs zu kommentieren und Fragen zu stellen. Auch wenn das Prozedere keinen Raum für spontane Diskussion vorsieht und die vorgesehene Zeit pro VNR recht kurz ist, bieten die VNRs den einzelnen Staaten dennoch eine gute Möglichkeit, bei der Umsetzung der SDGs voneinander zu lernen. In diesem Zusammenhang war während der Tagung der positive Appell an die Länder „copy with pride” zu hören. Die VNR Labs, die am Rande der Tagung stattfinden, bieten weitere Gelegenheiten für gemeinsame Überlegungen zur Umsetzung der SDGs, den Austausch von Best Practices und bewährten Verfahren sowie den Aufbau von Partnerschaften.
Neben den Ländern berichteten auch verschiedene Städte mit Voluntary Local Reviews (VLRs), ihren lokalen freiwilligen Nachhaltigkeitsberichten, zum Stand der SDGs, die sich an den VNRs der Länder orientieren. Zwar sind die VLRs nicht Teil des offiziellen Programms des HLPF, dennoch wird damit die wachsende Bedeutung der kommunalen Ebene bei der Umsetzung der Agenda 2030 deutlich. Die deutschen Städte Bonn, Kiel, Bad Köstritz sowie die Metropolregion Rhein-Neckar berichteten beim diesjährigen HLPF über ihre Erfahrungen und waren auch Teil der deutschen Delegation.
Die deutsche Delegation beim HLPF
Die deutsche Delegation war in diesem Jahr mit 68 Teilnehmenden eine der größten Delegationen beim HLPF – mit einer breiten Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern von Bundeministerien, Bundestag, Städten und Kommunen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Laut Bundesregierung sollte damit das klare Bekenntnis Deutschlands zur Agenda 2030 demonstriert werden. Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bekräftigte in diesem Zusammenhang, dass „die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung der unverzichtbare gemeinsame Kompass aller UN-Mitgliedsstaaten sind und bleiben“. Auch die DGVN war in diesem Jahr Teil der Delegation und nahm gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern der Delegation am offiziellen Programm des HLPF teil.
Die Federführung für das HLPF wird in Deutschland vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gemeinsam wahrgenommen. Entsprechend wurde die deutsche Delegation von Dr. Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin im BMUV, und Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, geleitet. Weitere Vertreterinnen und Vertreter von BMUV, BMZ, BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft), Auswärtigem Amt und Kanzleramt sowie verschiedene Bundestagsabgeordnete begleiteten die Delegation. Zudem nahm Claudia Müller, Parlamentarische Staatssekretärin des BMEL, am HLPF teil.
Ein besonderer Fokus von Deutschland lag in diesem Jahr auf den Themen Städte und Kommunen – und deren wachsende Bedeutung für die Umsetzung der SDGs – sowie Jugendbeteiligung. So erhielt beispielsweise bei einem Redebeitrag von Deutschland im Plenum der Vertreter der Stadt Kiel das Wort und zu SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) übernahm Audrey MacLean, Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung, das Statement für Deutschland. Das Side Event von Deutschland mit dem Titel „Just, healthy and green? Exploring the nexus of SDGs 1, 2 and 13 and transformative approaches like climate-smart school meal programs”, das am 15. Juli 2024 im Deutschen Haus stattfand, stellte am Beispiel von Schulmahlzeitprogrammen die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen SDGs dar.
Das HLPF zwischen SDG Summit und dem UN-Zukunftsgipfel
Das diesjährige HLPF im Juli 2024 lag zeitlich zwischen zwei maßgeblichen UN-Konferenzen zur Agenda 2030 und den SDGs, dem SDG Summit, der im September 2023 in New York stattfand, und dem UN-Zukunftsgipfel („Summit of the Future”) im September 2024. Insofern hatte das HLPF eine Art Brückenfunktion zwischen den Konferenzen: Es bestärkte zum einen die Ergebnisse des SDG Summits und diente gleichzeitig als Vorbereitung auf den UN-Zukunftsgipfel.
So wurden die maßgeblichen Aussagen der Abschlusserklärung des SDG Summits in der abschließenden Ministerialerklärung des HLPF vom 17. Juli 2024 noch einmal bekräftigt, da auch das HLPF nicht über eigene Entscheidungsbefugnisse verfügt. Es wurde erneut und nachdrücklich das Engagement für die vollständige Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung unterstrichen und die damit verbundenen unterschiedlichen Aspekte beleuchtet. Gleichzeitig wurde während des HLPF in Redebeiträgen häufig auf den UN-Zukunftsgipfel Bezug genommen, von dem neue Impulse erwartet wurden. Ziel des Zukunftsgipfels ist die Verabschiedung eines Zukunftspakts („Pact for the future”), der drängende internationale Fragen aufgreifen, die Umsetzung der Agenda 2030 stärken sowie Reformen verschiedener Teile des UN-Systems voranbringen soll. Dr. Bärbel Kofler betonte in diesem Zusammenhang: „Der UN-Zukunftspakt soll die Erreichung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele weiter beschleunigen und die Menschheit zugleich besser gegen künftige Krisen wappnen. Dafür müssen wir nicht nur die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, sondern auch mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft stärken und starke Allianzen schmieden.”
Ganz konkret wurde beim HLPF auch dahingehend mit Spannung auf den UN-Zukunftsgipfel geblickt, dass die Verabschiedung eines ersten globalen Digitalpakts („Global Digital Compact”) auf der Agenda steht, der internationale Fragen zu digitaler Zusammenarbeit und die Regulierung von künstlicher Intelligenz aufgreifen soll, die noch nicht oder nicht ausreichend geregelt sind, die jedoch sicherstellen sollen, dass digitale Technologien zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Es wird abzuwarten sein, welche neuen Impulse der UN-Zukunftsgipfel für eine beschleunigte Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs bringen wird. Auch wenn das HLPF in Teilen reformbedürftig sein mag, ist es die zentrale und einzige globale Plattform zur Weiterverfolgung und konkreten Überprüfung der Fortschritte jedes der SDGs und bietet Staaten die Möglichkeit, im Rahmen der VNRs voneinander zu lernen und bewährte Maßnahmen zu teilen. Dieser Austausch ist in Zeiten multipler internationaler Krisen und Konflikte sowie schwindenden Vertrauens zwischen Staaten umso wichtiger.
Carolin Maluck war 2024 als Vertreterin der DGVN Teil der deutschen Delegation beim HLPF. Sie ist Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der DGVN und Vorsitzende des Landesverbands Bayern der DGVN.