Die Hasskriminalität ist mainstream geworden
Diese Ereignisse im Vereinigten Königreich sind jedoch weder ein Sonderfall noch eine Ausnahme. Nach Angaben des deutschen Bundesministeriums des Innern ist die Zahl der Hassdelikte in Deutschland im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 77% gestiegen. „Hass ist mainstream geworden. Die Wände und die Barrieren kehren zurück.“- warnte jüngst der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al Hussein.
Im Juni 2016 stimmten die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs für den Austritt aus der Europäischen Union. Während Politiker über die wirtschaftliche Konsequenzen sowie über die weitere Zukunft der EU diskutierten, äußerte der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung seine Sorge über die steigende Zahl von Hassdelikten während der Vorbereitung und Durchführung des Referendums. Zudem wurde die Referendums-Kampagne als „xenophob und einwanderungsfeindlich“ bezeichnet. Der Sonderberichterstatter über zeitgenössische Formen des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz, Mutuma Ruteere, wies auf die Verschärfung der Situation im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise hin. „Es scheint, dass die Welt in die Zeiten, als die unberechtigte 'Angst vor den Anderen' als normal galt, zurückgekehrt ist“, sagte der UN-Sonderberichterstatter. In seiner Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat warnte auch der Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al Hussein, vor steigender Hassgewalt und Populismus: „Hass ist mainstream geworden. Die Wände und die Barrieren kehren zurück.“
Hassdelikte müssen öffentlich gemacht werden
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) definiert ein Hassdelikt als kriminelle Handlung mit einem Vorurteilsmotiv. Solch eine Straftat kann sowohl gegen eine Person oder eine gewählte Gruppe als auch gegen eine Institution oder ein Objekt gerichtet sein. Zu den Vorurteilsmotiven der Täter zählen meist Rassismus oder Xenophobie, Antisemitismus, Obdachlosigkeit, Behinderung, sexuelle Orientierung und Islamophobie.
Menschenrechtsabkommen wie das Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die UN-Erklärung über die Beseitigung jeder Form von Intoleranz und Diskriminierung auf Grund von Religion oder Weltanschauung verlangen von Staaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Intoleranz und daraus resultierender Gewalttätigkeit zu ergreifen. Fokus der Maßnahmen ist die jeweilige Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten. Hier ist es zuallererst notwendig, Hassdelikte als eigenen Straftatbestand zu definieren. Bisher werden diese meist unter anderen Straftaten zusammengefasst. Hassdelikte müssen als solche erkannt und strafbar gemacht werden. In den meisten Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (z.B. Tadschikistan, Bosnien und Herzegowina, Andorra, Belgien, Kanada) werden Hass und Vorurteile als erschwerende Umstandsklauseln bezeichnet. Ein Delikt mit Vorurteilsmotiv hat dann laut jeweiligem Strafgesetzbuch eine Strafverschärfung zur Folge. Nur in wenigen Ländern (z.B. USA, Großbritannien, Tschechische Republik) ist ein Hassdelikt als besonderer Straftatbestand definiert. Laut den OSCE-Experten hilft eine solche ausdrückliche Bestimmung, Hassdelikte als Straftaten zu identifizieren sowie die Datenerhebung der Polizei zu verbessern. In der Konsequenz könnten die tatsächlichen Zahlen in Bezug auf Hasskriminalität ermittelt werden.
Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) empfiehlt deshalb den Mitgliedsstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erfassung und Dokumentation von allen Hassdelikten zu ermöglichen. Hier besteht immer noch Verbesserungsbedarf. Laut einem Bericht des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) sind zum Beispiel nicht in allen Ländern Polizistinnen und Polizisten ausreichend qualifiziert, um Hassdelikte von anderen Straftaten zu unterscheiden. Der Bericht kritisiert auch ein Fehlen von entsprechenden Datenerhebungsverfahren. Nach Angaben der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) blieben außerdem viele Hassdelikte unberücksichtigt, da Opfer von vorurteilsmotivierter Gewalt zum Beispiel aufgrund mangelnden Vertrauens in die Sicherheitskräfte oder aus Schamgefühl diese nicht melden. In Folge dessen bleiben schätzungsweise 40% der Hassdelikte unregistriert. Der CERD-Ausschuss empfiehlt den Mitgliedsstaaten darum spezielle Schulungen für Polizeibeamte, Staatsanwälte, Richter und die Mitarbeiter der medizinischen und sozialen Dienste. Die Schulungen sollen zur Erkennung und Behandlung dieser Straftaten befähigen.
Anstieg vorurteilsmotivierter Gewalt in Deutschland
Vorurteilsmotivierte Gewalt ist auch ein deutsches Problem. Nach Angaben des Bundesministeriums des Innern ist die Zahl der Hassdelikte in Deutschland im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 77% angestiegen (2015: 10.373; 2014: 5.858). Die stärkste Zunahme – um 116,2% - war im Bereich der fremdenfeindlichen Straftaten zu beobachten (2015: 8.529; 2014: 3.945). Auch die Gewalt gegen religiöse Gruppierungen hat um 59,8% zugenommen (2015: 1.112; 2014: 696).
Im Jahr 2015 wurden außerdem eine Vielzahl von Angriffen gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte verübt. Einige dieser Angriffe wurden in einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Amnesty International dargestellt. Wie das Bundeskriminalamt mitteilte, hat sich die Anzahl von Straftaten gegen Asylunterkünfte im Jahr 2015 mit 1.031 Straftaten gegenüber dem Vorjahr mehr als verfünffacht.
Hassdelikte werden in Deutschland als politisch motivierte Straftaten kategorisiert. Statistiken über politisch motivierte Kriminalität werden von den Polizeibehörden der Länder erhoben und über die Landeskriminalämter dem Bundeskriminalamt zur bundesweiten Erfassung und Auswertung übermittelt. Nach dem NSU-Fall (rechtsextreme Terrorgruppierung Nationalsozialistischer Untergrund) wurden viele Reformen auf der Ebene der Bundesländer durchgeführt. So ist seit dem Jahr 2015 in Art. 46.2 des deutschen Strafgesetzbuches ausdrücklich vorgesehen, dass die Gerichte besonders die rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Ziele und Beweggründe des Täters berücksichtigen sollen. Auch die Arbeit der Polizei wurde durch die Durchführung von Schulungen und intensiven Austausch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit verbessert.
Trotz dessen sind laut des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung weitere politische und juristische Schritte notwendig. In seiner Überprüfung des deutschen Berichtes vom 15. Mai 2015 drückte der Ausschuss Besorgnis darüber aus, dass Deutschland es versäumt habe, die eigenen systematischen Mängel und das rassistische Motiv hinter den Straftaten des NSU zu erkennen. Der Ausschuss wies außerdem auf die Verbreitung rassistischen Gedankenguts durch politische Parteien und Bewegungen hin und empfahl der Regierung, mehr konkrete Maßnahmen zum Schutz von geflüchteten Menschen zu ergreifen. Es ist zu befürchten, dass in der jetzigen politischen Lage in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union Hasskriminalität weiterhin auf der Agenda der UN-Gremien bleiben wird.
Tetiana Piletska