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Die kleinen, leichten Massenvernichtungswaffen

Durch keine andere Waffenart sterben jedes Jahr mehr Menschen als durch Kleinwaffen und leichte Waffen. Sie halten bewaffnete Konflikte und Kriminalität weltweit aufrecht und verschärfen sie. Besonders besorgniserregend ist die Situation für Frauen und Kinder.

Ein weißer Mann mit einer Kleinwaffe in der Hand. Ein zweiter Mann in Uniform steht neben ihm und erklärt ihm etwas.

Unterweisung durch Scharfschützeneinheit der US-Army in der „Schule für das Abfeuern von Kleinwaffen“. (Foto: USArmy/flickr/CC BY 2.0/"Marksmanship instruction")

Obwohl Kleinwaffen und leichte Waffen (engl.: small arms and light weapons, SALW) offiziell nicht als Massenvernichtungswaffen definiert werden, erklärte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan 2006, dass "Kleinwaffen im Hinblick auf das von ihnen verursachte Blutvergießen durchaus als 'Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts' bezeichnet werden könnten".

Schätzungen zufolge zirkulieren derzeit weltweit eine Milliarde SALW mit einer durchschnittlichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren, die große Mehrheit von ihnen wurde legal hergestellt. Fast 50 Prozent aller gewaltsamen Todesfälle, zwischen 200.000 und 400.000 jedes Jahr, sind auf diese Waffenarten zurückzuführen. Dabei treten dreiviertel aller Todesfälle durch bewaffnete Gewalt im zivilen Bereich auf, außerhalb von militärischen Konflikten. In Kriegen und bewaffneten Konflikten sterben heute bis zu 90 Prozent aller Todesopfer durch SALW, die überwiegende Mehrheit von ihnen sind Frauen und Kinder. Die weltweite Proliferation, also die Weitergabe beziehungsweise Verbreitung von SALW und die damit verbundenen Auswirkungen auf die internationalen Menschenrechte und die nachhaltige Entwicklung geben daher weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis.
 

Die UN und Kleinwaffen

Seit 1999 behandelt der UN-Sicherheitsrat das Thema SALW regelmäßig als eines seiner Themenschwerpunkte. Denn SALW führen häufig dazu, dass die friedliche Beilegung von Streitigkeiten behindert wird und die Intensität und Dauer von bewaffneten Konflikten zunehmen. Darüber hinaus führen sie oft zur Untergrabung von Friedensabkommen und behindern die Bemühungen der Konfliktverhütung und den Erfolg der Friedenskonsolidierung. Zugleich erkennt der Sicherheitsrat das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta an, das es den Staaten erlaubt, SALW für Selbstverteidigungs- und Sicherheitserfordernisse einzuführen, herzustellen und zu behalten.

Seit 2001 versucht das UN-Kleinwaffenaktionsprogramm, die Bekämpfung einer unkontrollierten Verbreitung von SALW voranzutreiben. Eine internationale Konvention zu Kleinwaffen gibt es jedoch bisher nicht. Zwar bietet der Vertrag über den Waffenhandel (ATT), der 2014 in Kraft trat, eine Grundlage, um den weltweiten Strom an SALW zu regulieren, doch drei der größten Waffenexporteure – USA, Russland und China – haben den Vertrag nicht unterzeichnet.


Geschlechtsspezifischer Charakter von Kleinwaffen

SALW haben eine enorm unterschiedliche Auswirkung auf die Geschlechter. Die Verfügbarkeit von SALW führt zu vermehrter sexualisierter Gewalt gegen Frauen und zu einer Steigerung geschlechterbezogener Gewalt. In Artikel 7.4 adressiert der ATT erstmals dieses Thema: Vertragsstaaten sind dazu verpflichtet, bei ihren Einschätzungen zu Waffenexporten das Risiko zu berücksichtigen, dass diese Waffen benutz werden, um schwere geschlechterbezogene Gewalttaten oder schwere Gewalttaten gegen Frauen und Kinder zu begehen oder zu erleichtern. Der ATT ist damit der erste rechtlich bindende internationaler Vertrag, der die Verbindung zwischen Waffengewalt und geschlechterspezifischer Gewalt anerkennt.  

Im neusten UN-Bericht zu SALW von 2019 wird betont, dass die Agenda "Frauen, Frieden, Sicherheit" am besten geeignet sei, um geschlechterspezifische Themen im Zusammenhang mit SALW aufzugreifen. Das UN-Kleinwaffenaktionsprogramm soll dabei Anklang in allen vier Bereichen von "Frauen, Frieden und Sicherheit" finden: Schutz, Teilhabe, Prävention sowie Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen. Bei einer erfolgreichen Arbeit der UN, die bewaffnete Gewalt gegen Frauen zu beenden, wird es auch darauf ankommen, Frauen intensiver an den Diskussionen über internationale Waffenpolitik zu beteiligen.
 

Kleinwaffen machen Kinder zu Soldaten

Ohne kinderleicht zu bedienende Kleinwaffen wäre der Missbrauch von Kindern als Soldaten nicht möglich, daher nennen zahlreiche UN-Expertinnen und Experten die Verbreitung und den Handel von SALW als Hauptfaktor für das weltweite Aufkommen von Kindersoldaten. Zehntausende von Kindern werden gezwungen selbst zu kämpfen, direkt an der Front oder sie werden als Leibwache eingesetzt – obwohl internationales Recht den Kampfeinsatz und die Zwangsrekrutierung von Kindern unter 18 Jahren klar verbietet. Auch deutsche Kleinwaffen landen immer wieder in den Händen von Kindersoldaten. Darüber hinaus tragen SALW maßgeblich zu den sechs schweren Verbrechen an Kindern in bewaffneten Konflikten bei.

Im neusten UN-Bericht zu SALW wird der Sicherheitsrat dazu aufgefordert, sich damit zu beschäftigen, wie SALW schwere Verbrechen an Kindern in bewaffneten Konflikten ermöglichen und unterstützen. Die Erkenntnisse über die Zusammenhänge sollen anschließend in entsprechende Resolutionen des Sicherheitsrats und Diskussionen der Arbeitsgruppe zu Kindern und bewaffneten Konflikten eingehen.
 

Keine nachhaltige Entwicklung mit Kleinwaffen

SALW sind ein globales Problem hinsichtlich der internationalen Menschenrechte und sie hemmen zudem eine nachhaltige Entwicklung – insbesondere im Zusammenhang mit Frieden und Gerechtigkeit, starken Institutionen, Armutsbekämpfung, Wirtschaftswachstum, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichstellung und sicheren Städten und Gemeinden. Daher fordert das SDG 16, bis 2030 illegale Finanz- und Waffenströme deutlich zu verringern.

Um die globale Gefahr, die von Kleinwaffen ausgeht einzudämmen und zu beseitigen, ist es wichtig, dass die UN die Übergänge von SALW vom legalen Markt in den illegalen Handel schließt und darüber hinaus gleichermaßen an den weiteren Maßnahmen gegen Waffengewalt arbeitet: Der Reduzierung der bestehenden Waffenbestände und der Waffenneulieferungen sowie der Bekämpfung der Ursachen für die Nachfrage an SALW. Im Kern bedeutet das, Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten zu verhindern. Denn nur wenn Kriminalität, Gewalttaten und Todesfälle, die im Zusammenhang mit SALW stehen – sowohl in Konfliktgebieten als auch außerhalb von Konfliktgebieten – deutlich reduziert werden, kann die internationale Gemeinschaft einen bedeutsamen Fortschritt Richtung Frieden, Sicherheit und nachhaltiger Entwicklung erzielen.

Laura Reiner 


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