Die Stadt gehört uns!
In Berlin muss man nicht lange suchen, um gute und schlechte Beispiele öffentlichen Raumes zu finden. Da wäre auf der einen Seite der Gleisdreieckpark, der mit seiner inklusiven und nachhaltigen Gestaltung neue Maßstäbe setzt. Oder das Tempelhofer Feld, das in Sachen Bürgerpartizipation ein Projekt mit Beispielcharakter ist. Aber da ist auch der Alexanderplatz, die graue Betonwüste im Herzen Berlins, der mit all den Neubauten immer grässlicher wird.
Auf der Habitat III-Konferenz zu nachhaltiger urbaner Entwicklung in Quito hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zu Recht auf die Vorbildfunktion verwiesen, die Berlin in einem internationalen Netzwerk von Städten einnehmen kann. Er hat aber auch gut daran getan, darauf zu verweisen, dass Berlin viel von anderen Städten und Metropolregionen auf der Welt lernen kann.
Die Stadt als Allgemeingut
Die Diskussion um öffentliche Plätze ist eng verbunden mit einer Bewegung, die in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung erlangt hat: The Right to the City – Das Recht auf die Stadt. Im Mittelpunkt steht die Frage: wem gehört die Stadt? Sind Städte Allgemeinwohl? Das wurde in Quito eifrig diskutiert. Sergio Roldán Gutiérrez fällt die Antwort nicht schwer. Er ist der Präsident der urbanen Planungsgruppe der kolumbianischen Metropole Medellín.
„Bevor wir die Stadt bauen, müssen wir den Städter und die Städterin erschaffen. Eine Stadt kann man nicht ohne die Partizipation der Menschen gestalten, die in ihr Leben.“ Vor einem Jahrzehnt war Medellín noch eine Hochburg des Drogenhandels, ein Hort der Kriminalität. Mit gezielten und intelligenten Maßnahmen gilt die Millionenstadt heute als Modell für nachhaltige urbane Entwicklung. Arme und von Kriminalität belastete Viertel wurden mit kreativen Verkehrslösungen wie Seilbahnen an die Stadt angebunden. Danach wurden Bildungseinrichtungen und öffentliche Plätze eingerichtet. „Wenn wir die Menschen nicht aktiv mit einbinden, erleben sie die Stadt nicht, und zerstören womöglich, was wir kreieren. Die Städterin und der Städter müssen vor der Stadt kommen. Das ist unser Ziel, das ist unsere Mission.“, ist der Stadtplaner überzeugt.
Urbane Exklusion – so nicht!
Aber was, wenn man nicht mit so weitsichtigen Entscheidungsträgern gesegnet ist? Weltweit, und insbesondere in Lateinamerika, wachsen die Gated Communities. Soziale Gruppen werden segregiert, öffentliche Räume werden als exklusiv deklariert. Immer häufiger werden arme Menschen an die Stadtränder vertrieben. Empathie für das Leben der anderen sinkt, die Ungleichheit steigt. Dabei sind öffentliche Plätze, wo Menschen allen Alters, aller sozialer Schichten zusammenkommen, die Grundlage für ein nachhaltiges und lebendiges Leben in der Stadt.
In Quito sind es vor allem die jungen Menschen, die immer wieder daran erinnern. Wenn man mit ihnen spricht, sind öffentliche Plätze ihr zentrales Anliegen. Die Habitat III-Konferenz mit 30.000 Teilnehmenden, hatte vor allem ein junges Gesicht. In Ecuador, Peru oder Chile sehen viele junge Menschen wenig Möglichkeiten, ihre Ideen für ihre Stadt einzubringen. Dabei ist es genau das, was Roldán Gutiérrez fordert: Kanäle schaffen und die Menschen ihre Stadt gestalten lassen.
Das Heft in die Hand nehmen
Dass diese Kanäle an vielen Orten der Welt noch fehlen, lässt die jungen Menschen aber nicht inaktiv zurück oder verstummen. Sie organisieren sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene und versuchen im Kleinen für Veränderung zu sorgen. Und oft sind es die Ideen und Bewegungen, die im Kleinen beginnen, die am Ende für die große Veränderung sorgen.
Die Best-Practice Beispiele von innovativen und kreativen urbanen Lösungen sind so vielfältig wie die Städte weltweit selbst. Barcelona (Spanien) schafft neue öffentliche Räume und reduziert Verkehr, indem die Straßenführung neu strukturiert wird, Bogotá (Kolumbien) fördert Street-Art und Graffiti und lässt die Bürgerinnen und Bürger die Stadt aktiv gestalten, One-Step Youth Centers in Mogadishu (Somalia) schaffen sichere Rückzugsorte und Bildungsangebote für junge Menschen, in Freiburg (Deutschland) wurde mit dem Vauban ein komplett neues, grünes Stadtviertel hochgezogen und in Montreal (Kanada) gibt es spezielle Maßnahmen, die die Sicherheit von Mädchen und Frauen im öffentlichen Nahverkehr verbessern sollen. Die Liste ließe sich unendlich fortführen.
Die Habitat III Konferenz und die New Urban Agenda bieten einen Rahmen, genau diese Best-Practice Beispiele auszutauschen, neue kreative Ideen zu entwickeln und in einem internationalen Netzwerk von Städten, allen zur Verfügung zu stellen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es gelingt. Aber eines wurde in Quito deutlich: die jungen Menschen sind bereit, die Gestaltung inklusiver Städte in die Hand zu nehmen. Kreatives Potential gibt es zu Genüge.
Jonas Freist-Held ist deutscher Habitat-Jugenddelegierter und berichtet für die DGVN von der HABITAT III-Konferenz aus Quito.