Die UN verhandeln ein Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten – Deutschland schweigt
Im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats wurde im Oktober im vierten Jahr in Folge über ein Abkommen verhandelt, das Regeln für transnationale Unternehmen etablieren soll. Diesen Verhandlungen geht eine lange Geschichte voraus: Denn schon seit den 1970er Jahren versuchen Staaten im Rahmen der Vereinten Nationen, transnationale Unternehmen zu regulieren, damit diese Menschenrechte achten und Umweltstandards einhalten. Nicht nur die andauernden Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Unternehmen, auch die Blockadehaltung der Industrieländer, um diesen zu begegnen, haben hierbei Tradition.
Es war der chilenische Präsident Salvador Allende, der dieses Problem auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen brachte. Im Jahr 1972 prangerte er vor der Generalversammlung die Macht transnationaler Unternehmen an und erhielt dafür minutenlangen Applaus. Hintergrund seiner Rede war, dass sich das US-amerikanische Telekommunikationsunternehmen ITT an Plänen für einen Putschversuch gegen ihn beteiligt hatte. Bereits ein Jahr später starb Allende im Zuge des Pinochet-Putsches – das Thema der Macht transnationaler Unternehmen aber war auf Ebene der Vereinten Nationen gesetzt. So nahm schon im Jahr 1973 eine UN-Kommission für Transnationale Unternehmen ihre Arbeit auf, deren erklärtes Ziel es war, einen verbindlichen Verhaltenskodex für Unternehmen zu verabschieden.
Alle Initiativen für Verbindlichkeit waren gescheitert
Verbindliche internationale Regelungen für transnationale Unternehmen gibt es jedoch bis heute nicht. Und so bleibt es Unternehmen vollkommen selbst überlassen, ob sie bei ihren weltweiten Aktivitäten die Menschenrechte achten oder die Umwelt nicht zerstören. Die UN-Kommission für Transnationale Unternehmen wurde Anfang der 1990er Jahre ohne konkrete Ergebnisse aufgelöst. Die damalige Menschenrechtskommission lehnte 2004 einen weiteren Versuch ab, verbindliche Regelungen für transnationale Unternehmen aufzustellen. Alle Initiativen für mehr Verbindlichkeit waren somit vorerst gescheitert. Besonderer Druck ging hier nicht nur von einzelnen Industriestaaten, sondern auch von der Internationalen Arbeitgeberorganisation sowie der Internationalen Handelskammer aus.
Nach Jahrzehnten der Unverbindlichkeit und freiwilligen Selbstverpflichtungen wie dem UN Global Compact und den UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gibt es mit den Verhandlungen zu einem internationalen Abkommen seit 2014 endlich wieder einen Prozess auf UN-Ebene, um die Freiwilligkeit der Wirtschaft in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes zu überwinden. Wieder war es die Erfahrung eines südamerikanischen Landes mit den gravierenden Auswirkungen eines transnationalen Unternehmens, die dazu führte, dass das Thema von den Vereinten Nationen behandelt wurde: Das Unternehmen Chevron (früher Texaco) hatte seit den 1960er Jahren im ecuadorianischen Amazonasgebiet nach Öl gebohrt. Dass es dabei zu erheblichen Umweltauswirkungen kam, ist unbestritten. Nach mehr als 25 Jahren der Gerichtsverfahren hatten Betroffene im Jahr 2011 erwirkt, dass der Oberste Gerichtshof in Ecuador das Unternehmen zu 9,5 Mrd. Euro Schadensersatz verurteilte. Dieses Urteil ließ sich aber nicht vollstrecken, da Chevron alle Vermögenswerte aus Ecuador abgezogen hat. Auch Verfahren in den USA, Kanada und Brasilien scheiterten. Absurderweise hat im Anschluss ein internationales Investor-Staat-Schiedsgericht das ecuadorianische Urteil für nichtig erklärt und entschieden, dass ausgerechnet Ecuador Schadensersatz an Chevron bezahlen soll.
Multilateralismus - aber in wessen Interesse?
Auf Initiative von Ecuador und Südafrika wurde im Juni 2014 die Etablierung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Entwicklung verbindlicher Regeln für transnationale Unternehmen vom UN-Menschenrechtsrat beschlossen. Sie soll ein internationales Abkommen erarbeiten, das für die Vertragsparteien verbindlich ist, klare Regeln für Unternehmen schafft und den Betroffenen Klagemöglichkeiten eröffnet. In den bisherigen vier Verhandlungsrunden hat sich jedoch abgezeichnet, dass weder Deutschland noch die Europäische Union ein Interesse daran hat, die Verhandlungen fortzuführen. Obwohl bereits im Juli der erste Entwurf für einen Abkommenstext (sogenannter „Draft Zero“) veröffentlicht wurde, haben weder Deutschland noch die Europäische Union Stellung hierzu bezogen. Die EU distanzierte sich bei der letzten Verhandlungsrunde von allen Ergebnissen. Deutschland hat nicht ein einziges Mal das Wort ergriffen und war während der finalen Abstimmung mit einer Praktikantin vertreten. Damit ignorieren Deutschland und die EU auch, dass sowohl das Deutsche Institut für Menschenrechte als auch die Dachorganisation der Europäischen Institute für Menschenrechte sich positiv zu dem geplanten UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten geäußert haben.
Statt sich mit den Inhalten des Abkommens auseinanderzusetzen, werden von Seiten Deutschlands und der EU Prozessargumente vorgeschoben. Die Komplementarität der freiwilligen UN-Leitprinzipien und dem UN-Abkommen sei beispielsweise nicht gegeben. Auf diese Weise verweigern sich sowohl Deutschland und die EU diesem multilateralen Prozess, der das Ziel hat, Betroffene vor Menschenrechtsverletzungen durch transnationale Unternehmen zu schützen. Das alles passt nicht zusammen mit den aktuellen Äußerungen des deutschen Außenministers, der sich für eine Allianz für den Multilateralismus stark macht. Es bleibt der Verdacht, dass mit den multilateralen Regeln, die er anspricht, hauptsächlich Handelsregeln gemeint sind. Dabei sind es eben diese Handelsregeln, die es dem Unternehmen Chevron ermöglicht haben, gegen Ecuador vorzugehen. Es wird deshalb Zeit, die Doppelmoral in Bezug auf die Menschenrechte zu beenden. Sowohl Deutschland als auch die EU müssen sich endlich konstruktiv in den Prozess zur Entwicklung eines UN-Abkommens zu Wirtschaft und Menschenrechten einbringen.
Lia Polotzek ist Referentin für Wirtschaft und Finanzen beim BUND e.V.