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Feminist Foreign Policy – für ein neues Paradigma für nachhaltigen Frieden?

Terror, Konflikte und zunehmender Nationalismus - auch 2016 kommt die Welt nicht zur Ruhe. Was ist radikal genug um traditionelle Außenpolitik zu transformieren und nachhaltigen Frieden weltweit zu fördern? Kristina Lunz argumentiert in einem Meinungsbeitrag, dass internationale Politik feministischer werden muss. Die Wahl Schwedens, dessen Außenministerin Margot Wallström eine ‚feminist foreign policy’ verkündet hat, in den UN-Sicherheitsrat sieht sie als ein Zeichen der Hoffnung.

© UN Photo/Martine Perret
(UN Photo/Martine Perret)

Terror, Konflikte und zunehmender Nationalismus - auch 2016 kommt die Welt nicht zur Ruhe. Obwohl Autoren wie Steven Pinker behaupten, die Welt würde friedlicher werden, verstärken das tägliche Nachrichtenlesen die Zweifel daran. Außenpolitik ist oft Muskelspielerei - realpolitische Überlegungen, bei denen nationale Interessen über Werte triumphieren. Exemplarisch für diese Schieflage stehen Einnahmen von Waffenexporten, die die finanzielle humanitäre Hilfe für die Länder, die von diesen Waffen zerstört werden um eine Vielfaches übersteigen. Doch was ist die Alternative? Was ist radikal genug um traditionelle Außenpolitik zu transformieren und nachhaltigen Frieden weltweit zu fördern?

Wo sind die Frauen?

„Wir hätten früher wissen können, dass der zuverlässigste Prädiktor dahingegen, ob ein Land intern gewaltbereit ist – oder militärische Gewalt gegen andere Staaten einsetzt – nicht Armut, natürliche Ressourcen, oder die Stärke der Demokratie ist; der zuverlässigste Faktor ist die Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen. Sie normalisiert jede andere Form von Gewalt“, schreibt Gloria Steinem und bezieht sich auf die Studie ‚Sex and World Peace’ von Hudson et al. In einem ‚Foreign Policy’ Artikel fasst Hudson die Ergebnisse zusammen: „Die Tage in denen behauptet werden konnte, dass die Situation von Frauen nichts mit Angelegenheiten von nationaler und internationaler Sicherheit zu tun haben, sind vorbei. Die empirischen Ergebnisse, die das Gegenteil beweisen, sind zu vielzählig und robust um ignoriert zu werden.“ Weitergedacht heißt das auch, dass das Verständnis von Gleichberechtigung als eine Angelegenheit von Frieden und Sicherheit eine transformative Kraft entfalten kann. Schweden hat dies vor allen anderen erkannt und revolutioniert so das Parkett der Diplomatie und Sicherheitspolitik.

Schwedens Mut

Als Margot Wallström im Herbst 2014 Schwedens Außenministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin wurde, verkündete sie Schwedens ‚feminist foreign policy’, Schwedens feministische Außenpolitik. Was anfangs zu Gekicher führte und Machtdemonstrationen anderer Staaten auslöste – als beispielsweise Saudi Arabien mit harten Sanktionen drohte, nachdem Wallström die Unterdrückung von Frauen im Land kritisierte und die Waffenexporte nach Saudi Arabien in Frage stellte, ist inzwischen Anlass für Respektbekundungen vieler Regierungen weltweit. Im Vorwort des aktuellen Aktionsplans des schwedischen Außenministeriums heißt es:

„Gleichberechtigung ist noch immer keine Realität sondern Vision. Schwedens feministische Regierung möchte diese Vision in Realität verwandeln. Gleichberechtigung ist ein Ziel an und für sich. Aber sie ist auch essentiell um die weiteren Ziele der Regierung wie Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung zu erreichen.“

Um diese Ziele zu erreichen hat der Aktionsplan der schwedischen Regierung für die kommenden drei Jahre besondere Schwerpunkte definiert. Dazu gehören die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen bei humanitären Katastrophen sowie die Bekämpfung geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Konflikten und Post-Konflikt Situationen, als auch die Bekämpfung der Straffreiheit dieser Verbrechen. Die Förderung der Teilnahme von Frauen als Akteure bei Friedensprozessen hat ebenso Priorität. Der Plan basiert auf der Erkenntnis, dass Frauen einen wesentlichen Faktor in der Friedensbildung darstellen. Ohne sie geht es eben nicht, denn die Verletzung von Frauenrechten legitimiert Gewalt in anderen Bereichen und destabilisiert eine ganze Gesellschaft.

Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen bei humanitären Katastrophen

Schwedens Politik agiert konsequent unter der richtigen Annahme, dass das Geschlecht ein wesentlicher Aspekt darin ist, wie sich Krisen auf das Individuum auswirken. Der Grund für diese unterschiedlichen Erfahrungen ist in den patriarchisch geprägten Rollenbildern für Frauen zu suchen: Erzeugerinnen, Hausfrauen, Mütter und Verantwortliche für den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Diese Rollenzuweisungen zementieren den untergeordneten Status von Frauen weltweit und somit auch ein verzerrtes Machtgefüge, in dem Männergewalt gegenüber Frauen alltäglich ist.

Obwohl das Interesse an geschlechtssensiblen humanitären Programmen seit den Neunzigerjahren stark angestiegen ist, gibt es weiterhin große Lücken: Ein Beispiel ist die Ebola-Krise. Als 2014 in Westafrika knapp 30.000 Menschen vom Virus infiziert wurden, gab es eine weitere Seuche: Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Gemäß einer Studie des United Nations Development Programs stiegen während der Ebola-Epidemie Teenagerschwangerschaften in Teilen Sierra Leones um 65%. Diese Entwicklung ist kein Zufall. Denn Epidemien wirken wie Konfliktsituationen: Chaos und Instabilität ersetzen im Krisenzustand Kontrolle und Sicherheit. Wo Gewalt und Anarchie herrscht, nimmt Gewalt gegen Mädchen und Frauen disproportional zu. Eine Außenpolitik wie in Schweden, die die Bekämpfung dieses Missstandes priorisiert, stärkt soziale Gefüge und leistet friedvolle Aufbauarbeit.

Bekämpfung geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen in und nach Konflikten

Wo Konflikt und Gewalt eine Gesellschaft zerrütten, wird sexualisierte Gewalt Alltag und Vergewaltigungen zur Kriegswaffe. Sie zerstört und traumatisiert Familien und Gemeinschaften. Schwedens Außenpolitik adressiert die Bekämpfung dieser Gewalt um gesunde und friedvolle Gesellschaften zu fördern. Im Time Artikel „The Secret War Crime“ wird die Geschichte der 27-jährigen Mary aus dem Südsudan erzählt: „Sie [die Soldaten des Präsidenten] sagten sie würden uns nur vergewaltigen [und nicht töten]. Als ob Vergewaltigung etwas anderes als der Tod sei.“ Nachdem die Soldaten ihren Mann und ihre Söhne töteten, hielten fünf von ihnen Mary fest und zwangen sie anzusehen, wie sie ihre 10-jährige Tochter vergewaltigten. Mary sagte, dass sie ihre Tochter nicht mehr sehen konnte, nachdem die Männer mit ihr fertig waren, sondern nur noch Blut. Die Vereinten Nationen schätzen, dass während des Konflikts im Südsudan tausende und während des langen Konflikts im Kongo mehr als 200.000 Frauen und Kinder vergewaltigt wurden. Beide Schätzungen sind wohl viel zu niedrig.

In den Vergewaltigungscamps im Bosnienkrieg folterten und vergewaltigten überwiegend serbische Soldaten 50.000 bis 60.000 muslimische Frauen. In der Folge waren die Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda Mitte der Neunzigerjahre die ersten internationalen Strafgerichte, die Vergewaltigungen endlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndeten. Doch auch heute muss man sich noch fragen: Wann wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen, wie in Syrien durch den IS oder in Nigeria durch Boko Haram, zur ‚roten Linie’, deren Überschreiten ein beherztes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zur Folge hat? Das Ausbleiben von Konsequenzen ist Ausdruck unserer Gesellschaft. „Männer werden gefoltert, das ist bedeutend. Frauen werden vergewaltigt, das ist unbedeutend“, erklärt Patricia Sellers, ehemals Expertin für die Verfolgung von Vergewaltigung bei den Ad-hoc-Tribunalen. „Wenn Menschen ihre Vorstellungen von militärischer Gewalt in normal und nicht normal unterteilen, in tolerierbar und nicht tolerierbar, ergibt es auf einmal Sinn, auf eine fürchterliche Art und Weise: Gewalt gegen Frauen ist schon seit Langem Normalität“, so Lauren Wolfe, Direktorin von ‚Women Under Siege’. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass in Teilen Kongos die Vergewaltigungsrate um das 17-fache anstieg, nachdem das Kämpfen vorbei war. Es kann keine gesunde und friedliche Gesellschaft entstehen, wenn die meisten Frauen Opfer sexualisierter Gewalt sind, die Täter straffrei bleiben und die Männer die Gewalt nach Konfliktende in die Schlafzimmer tragen. Feministische Außenpolitik kann jedoch die Lösung sein, denn sie adressiert diese Gewalt und ihre Folgen.

Förderung der Teilnahme von Frauen als Akteure in Friedensprozessen

Wie Wallström erklärt, ist die Förderung von Frauen als Friedensakteure eine weitere Priorität ihrer Politik. Denn zwischen 1992 und 2011 waren nur zwei Prozent der Mediator_innen und nur neun Prozent der Verhandelnden in offiziellen Friedensgesprächen Frauen. Des Weiteren werden nur zwei Prozent der finanziellen Mittel für Frieden und Sicherheit der Gleichberechtigung und dem Empowerment von Frauen gewidmet. Doch Frauen sind nicht nur Opfer. Wenn man sie lässt, dann sind sie die effektivsten Friedensschaffer_innen. Wenn beispielsweise der Anteil von Frauen im Parlament um fünf Prozent zunimmt, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staat mit Gewalt auf eine internationale Krise reagiert um das Fünffache. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Friedensvereinbarungen mindestens 15 Jahre halten, steigt um 35 Prozent, wenn Frauen an deren Entstehung beteiligt sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wenn Frauen am Friedensprozess beteiligt sind, priorisieren sie das Einbeziehen anderer marginalisierter Gruppen und sprechen Themen an, die den Konflikten zugrunde liegen.

Ein neues Paradigma für nachhaltigen Frieden

Was Margot Wallström und die Regierung in Schweden geschaffen haben, ist ein Vorbild, das Hoffnung schenkt. Es ist der glaubwürdigste Versuch einer Regierung, zu nachhaltigem Weltfrieden beizutragen. Ein Festhalten an traditioneller, maskulin geprägter Außenpolitik von Männern für Männer hingegen ist veraltet und kontraproduktiv. Die Studien sprechen für sich. Schwedens Wahl in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Transformationspotential und kann verdeutlichen, was erreicht werden kann, wenn Werte über nationale Interessen triumphieren. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“ wusste schon Albert Einstein.

Meinungsbeitrag Kristina Lunz


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