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Frauen, Frieden und Sicherheit in Afghanistan

Rückschritte bei Frauenrechten: In der diesjährigen Sitzung musste der UN-Sicherheitsrat feststellen, dass die Ziele der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ noch in weiter Ferne liegen. Am Beispiel Afghanistan zeigt sich dieser besorgniserregende globale Trend besonders deutlich.

Eine Frau in rotem Jacket sitzt auf einem blau bezogenen Stuhl und spricht in ein Mikrofon.
Die afghanische Journalistin und Frauenrechtsverteidigerin Zahra Nader unterrichtet den Sicherheitsrat am 20. Oktober 2022. Foto: UN Photo/Rick Bajornas

Vor 22 Jahren, im Oktober 2000, beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die erste Resolution, die sich mit der Geschlechterdimension von Krieg und Frieden auseinandersetzte. Die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ (Women, Peace and Security – WPS) umfasst konkrete Ziele und Handlungsoptionen zur Verbesserung der Frauenrechtslage in Krisenregionen. Seitdem kommt der UN-Sicherheitsrat jährlich im Jubiläumsmonat Oktober zusammen, um die aktuelle Umsetzung der WPS-Agenda zu rekapitulieren. Dieses Jahr kamen am 20. Oktober 2022 insgesamt 82 Vertreterinnen und Vertreter von Mitgliedstaaten und regionalen Organisationen zusammen.

Im Vorfeld dieser Sitzung des UN-Sicherheitsrats veröffentlichte UN-Generalsekretär António Guterres einen Bericht zum aktuellen Stand der WPS-Agenda. Demnach gibt es derzeit nicht nur keine Fortschritte bei der Umsetzung der WPS-Agenda, sondern Rückschritte. Aktuelle Zahlen belegen diesen Trend: Das weltweite Budget für Frauenrechtsorganisationen sank von 181 Millionen US-Dollar im Jahr 2019 auf 150 Millionen US-Dollar in 2020. Ebenso sank die Beteiligung von Frauen an von der UN geführten Friedensverhandlungen von 23 Prozent im Jahr 2020 auf 19 Prozent im Jahr 2022. Sima Bhous, Exekutivdirektorin von UN Women, nennt als Ursachen für diese rückläufigen Zahlen den fehlenden politischen Willen und den Fokus auf Militärausgaben der Mitgliedsstaaten. „Es ist Misswirtschaft, dass die Militärausgaben der Staaten inzwischen ein Allzeithoch erreicht haben, während gleichzeitig Investitionen in denjenigen Bereichen fehlen, die Waffen und Kriege überflüssig machen würden“, wirft Bhous der Weltgemeinschaft vor.

Denn auch im Jahr 2022 erhöhten sich die Militärausgaben weltweit – im siebten Jahr in Folge. Deshalb fordert Sima Bhous die Weltgemeinschaft auf, die bedingungslose Verteidigung von Frauenrechten als essenzielles Kriterium der Sicherheitspolitik festzulegen.

Schutz von Frauenrechtsverteidigerinnen als Schlüssel zum Erfolg

Ein weiterer Fokus der Sitzung und des Berichts des Generalsekretärs lag auf dem Schutz von lokalen Frauenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern. Laut Definition des Hochkommissariats für Menschenrechte gelten alle Frauen und Mädchen, die sich für Menschenrechte einsetzen, als Frauenrechtsverteidigerinnen, sowie Menschen aller Geschlechter, die sich für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen. Viele Mitgliedsstaaten betonten, wie wichtig die Arbeit von lokalen Frauenrechtsverteidigerinnen in Kriegsregionen ist, um die Ziele der WPS-Agenda zu erreichen. Um dem Sicherheitsrat ein deutliches Bild der unsicheren Lage von Frauenrechtsverteidigerinnen und Frauenrechtsverteidigern in Konfliktregionen zu vermitteln, war die afghanische Journalistin und Aktivistin Zahra Nader zur Sitzung eingeladen worden.

Die Rechte afghanischer Frauen

Als einzige zivilgesellschaftliche Vertreterin berichtete Zahra Nader über die aktuelle Frauenrechtslage in Afghanistan. Seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 werden Frauen systematisch unterdrückt und durch Terror und Einschüchterung an der gleichberechtigen Teilhabe am öffentlichen Leben gehindert. „Afghanischen Frauen sind das Haupthindernis für das, wonach sich die Taliban am meisten sehnen: die Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft“, stellt Nader fest.

Zudem appelliert sie an die Weltgemeinschaft „Wenn der Sicherheitsrat die Frauen in Afghanistan im Stich lässt, können sich auch die Frauen in Äthiopien, Myanmar und dem Sudan sicher sein, dass die WPS-Agenda nicht mehr als leere Worte ist“. Konkret forderte Zahra Nader, dass insbesondere der UN-Generalsekretär und der Leiter der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) bei jeder Gelegenheit die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen auf den Verhandlungstisch bringen sollten und die Taliban für ihre Frauenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Aktivitäten der UN in Afghanistan

Seit dem Regimewechsel traf der UN-Sicherheitsrat elfmal zu einer Sitzung zu Afghanistan zusammen und verabschiedete drei Resolutionen. Die UN ist jedoch schon seit 20 Jahren mit der Mission UNAMA in Afghanistan aktiv. Das Mandat für UNAMA wurde im Jahr 2002 durch eine Resolution des Sicherheitsrats ins Leben gerufen und wird seither nach einer jährlichen Überprüfung verlängert – zuletzt geschah dies am 17 März 2022. Die Mission soll „die Stärkung der Frauen und Mädchen und den vollen Schutz ihrer Menschenrechte, einschließlich Bildung, sowie die volle, gleichberechtigte, produktive und sichere Teilhabe, Einbindung und Führungsverantwortung von Frauen auf allen Ebenen und in allen Phasen der Entscheidungsfindung“ sicherstellen, so heißt es im Resolutionstext. Während dieser klare Bezug zur WPS-Agenda ein Erfolg für Frauen und Mädchen in Afghanistan ist, lieferten die bisherigen Reaktionen des Taliban-Regimes keinen Grund zur Freude.

Rückschritte der WPS-Arbeit

Als Reaktion auf die UNAMA-Mandatsverlängerung führten die Taliban sehr restriktive Regularien bezüglich Frauenrechten ein. Hierzu gehörte die Verweigerung des Rechts von Frauen auf Sekundarbildung und die Einführung des verpflichtenden Hijabs. Nach Zahlen des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) haben aktuell 2,22 Millionen Mädchen keinen Zugang zum Bildungssystem. Außerdem wird der bestehende nationale Aktionsplan für das Erreichen der WPS-Ziele in Afghanistan nicht mehr umgesetzt und weitere relevante institutionelle Rahmenbedingungen zum Schutz von Frauenrechten wurden abgeschafft. Die Mehrzahl der afghanischen Frauenrechtsverteidigerinnen können aufgrund von mangelnder Finanzierung und nationalen Barrieren ihren NGO-Status im Land nicht erlangen, um ihre Arbeit zu WPS fortzusetzen. Hinzu kommt, dass durch die zunehmende Einschüchterung durch das Taliban-Regime Aktivistinnen und Aktivisten gezielt ins Visier genommen werden und sich folglich der zivilgesellschaftliche Raum in Afghanistan schließt. Aktuell fokussiert sich die WSP-Arbeit in Afghanistan auf Projekte zum Schutz von Frauen. Hierzu zählen die Bereitstellung von Save Houses, die Vereinfachung von Visaverfahren ins Ausland und das Mitdenken von Geschlechterperspektiven in allen humanitären Antworten der UN.

Der globale Trend des Rückschrittes in der WPS-Agenda lässt sich exemplarisch an den Geschehnissen in Afghanistan erkennen. Wenn diesem globalen Rückschritt keine entschlossenen Maßnahmen entgegengesetzt werden, wird die WPS-Arbeit vorerst weiter vor allem den Schutz von Frauen, anstatt des Empowerments und der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen priorisieren müssen. Zwar ist der Schutz von Frauen ebenso wichtig, wie deren politische Partizipation, jedoch ist nach 22 Jahren WPS-Agenda die Erkenntnis gereift, dass ohne die Partizipation von Frauen auf allen Entscheidungsebenen, kein nachhaltiger Frieden entstehen kann. Es erscheint notwendig, dass die WPS-Agenda global aber vor allem in Afghanistan in beide Richtungen implementiert wird. 

Von Shila Block


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