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Im Krieg gibt es Regeln – die Genfer Abkommen von 1949

Vor 70 Jahren, am 12. August 1949, wurden die vier Genfer Abkommen verabschiedet. Im Falle eines bewaffneten Konflikts regeln sie unter anderem den Schutz der Zivilbevölkerung. Doch: Welchen Regeln folgt der Krieg?

ägyptischer Kriegsgefangener 1957 im Rahmen des Gefangenenaustauschs
Ein ägyptischer Kriegsgefangener 1957 im Rahmen des Gefangenenaustauschs zwischen dem anglo-französischen Kommando und der ägyptischen Regierung. (UN Photo/JR)

Die Entwicklung des humanitären Völkerrechts ist eng mit der Erfahrung verheerender Kriegsgräuel verbunden. So sagte der Vorsitzende der Diplomatischen Konferenz von Genf 1949, Max Petitpierre, dass es zu Kriegszeiten sinnlos sei, Abkommen zwischen Kriegsparteien zu schließen: Der Krieg müsse zu Friedenszeiten geregelt werden. Während die ersten Konventionen aus den Jahren 1864, 1907 und 1929 primär den Schutz verwundeter Soldaten, Kriegsgefangener und Schiffbrüchiger zum Gegenstand hatten, wurde der Schutz der Zivilbevölkerung erst in die Genfer Abkommen von 1949 aufgenommen. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hatte deutlich gezeigt, dass zusätzliche Schutzbestimmungen notwendig waren.

Bis heute haben 196 Staaten die Genfer Konventionen ratifiziert. Insbesondere aufgrund sich verändernder Waffentechnologien wurden sie immer wieder erweitert, etwa durch die Abkommen der Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907 oder die beiden Zusatzprotokolle von 1977. Auch im Zuge der sogenannten Neuen Kriege stellt sich die Frage nach der Aktualität der Genfer Abkommen  – und damit auch eine neue Herausforderung.

„Neue Kriege“: Über den Formenwandel bewaffneter Gewalt

„Die Umstände der Nachkriegskonsolidierung sind mitentscheidend dafür, wie wahrscheinlich das Wiederaufflammen eines Krieges ist“, schreibt der Friedensforscher Michael Brzoska. Die Gründung der Vereinten Nationen und ihr Ziel, „Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ (Artikel 1 der UN-Charta), kann vor diesem Hintergrund als relativer Erfolg bezeichnet werden. Seitdem haben sich Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten wie in den Weltkriegen nicht wiederholt. Der klassische zwischenstaatliche Krieg der Neuzeit, der territoriale Souveränitäten zu verschieben suchte, wurde von da an im Rahmen der Vereinten Nationen mediiert.

Die Neuen Kriege jedoch, unter anderem mit ihren Gewaltökonomien und Asymmetrien, sind innerstaatliche Kriege, die eher durch einen „Verhandlungsfrieden oder ein Abflauen der Gewalt“ enden, seltener durch den militärischen Sieg einer Seite, schreibt Manuel Halbauer. Von „Krieg“ könne dann eigentlich nicht mehr gesprochen werden. Das wiederum erschwert die formale Einhaltung der Genfer Konventionen. Dieser Herausforderung ist sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bewusst. 1949 übertrug ihr die Staatengemeinschaft die Rolle des „Wächters“ über das humanitäre Völkerrecht. „Die Konflikte finden heute meist innerhalb von Städten statt“, sagt Helen Durham, Direktorin des IKRK, in der Arte-Reportage „Die roten Linien“. Auch seien mehr Parteien mit „irregulären Armeen“ involviert. Hielten sich diese Gruppierungen an die internationalen Abkommen, würde ihnen dies Legitimität verschaffen. Aber daran haben Staaten laut Durham kein Interesse. 

Die Ukraine und Syrien – aktuelle Dilemmata

Am 27. März 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Resolution „Territoriale Integrität der Ukraine“. Sie bekräftigte die international anerkannten Staatsgrenzen der Ukraine und erklärte darüber hinaus das Krim-Referendum zur Unabhängigkeit vom 16. März 2014 für ungültig. Doch ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht, auch weil irreguläre Gruppierungen wie prorussische Separatisten involviert sind, die ohne formal staatlichen Hintergrund kämpfen.

Kürzlich konnte dahingehend im UN-Sicherheitsrat beobachtet werden, wie sich westliche Staaten und Russland „gegenseitig der Heuchelei und der Doppelmoral“ beschuldigten. Zuvor hatte die Ukraine mitsamt Unterstützern eine Militäroperation in der ostukrainischen Stadt Slowjansk gestartet. Russland bezog sich im Sicherheitsrat daraufhin auf das Genfer Abkommen, das Angriffskriege nicht gestattet. In der Arte-Reportage kommen andererseits ukrainische Soldaten zu Wort, die Teile der Genfer Abkommen in ihren Militärausweisen mit sich tragen, den „Code of Conduct for Combatants“. Ein ukrainischer Soldat sagt darin, dass das Völkerrecht schwer umzusetzen sei, wenn niemand wisse, woher die Feinde kommen. 

Im Syrienkonflikt wird dieses Problem auch von nichtstaatlichen Militärs adressiert. Dort wird die bewaffnete Opposition, beispielsweise die Freie Syrische Armee (FSA), von der nichtstaatlichen Organisation (NGO) Afaq Academy im humanitären Völkerrecht geschult. Seit 2013 organisiert die NGO Workshops und Seminare für militärische Einheiten – eine Aufgabe, der sich eigentlich die Staaten mit der Unterzeichnung der Genfer Abkommen verpflichtet haben. Mit dem Training durch die Afaq Academy nehmen nichtstaatliche Gruppierungen wie die FSA freiwillig die Einhaltung des humanitären Völkerrechts an. Offizielle Vertragspartei der Genfer Abkommen werden sie damit jedoch nicht. 

Das Montreux-Dokument

Eine weitere Herausforderung liegt in der Beteiligung privater Militär- und Sicherheitsunternehmen, die seit 1990 zunehmend in bewaffneten Konflikten beobachtet wird. Aus diesen Gründen initiierte das IKRK das Montreux-Dokument, das 2008 von 17 Staaten verabschiedet wurde – jedoch ohne völkerrechtliche Verbindlichkeit. Es enthält unter anderem „Best Practices“ für die Regelung privater Sicherheitsunternehmen, zum Beispiel die Erteilung von Lizenzen und  Maßnahmen zur Aufsicht und Haftung. Laut einer Studie des IKRK aus dem Jahr 2009 verbietet das humanitäre Völkerrecht Zivilisten nicht explizit die bewaffnete Teilnahme an feindlichen Auseinandersetzungen. Dennoch besitzen sie nicht dieselben Rechte wie Kombattanten. Im Rahmen der nationalen Gesetzgebung können sie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Das heißt, sie genießen erstens vollen Schutz als Zivilisten gemäß dem humanitären Völkerrecht und zweitens sind sie individuell dafür verantwortlich, die Regeln des Völkerrechts einzuhalten.

Aktualität der Genfer Konventionen

Trotz des Wandels der Konflikte haben die Genfer Abkommen an Aktualität nicht verloren. „Dennoch schaffen es die Menschen in Konflikten nicht, mit aller gebotenen Menschlichkeit zu agieren“, sagt Helen Durham. Aus diesem Grund sei zu erwarten, dass erst wieder neue Konflikte aufflammen müssen, mitsamt neuer Technologien wie autonomen Waffen, um den Kriegsparteien in Friedenszeiten neue Abkommen – und damit neue Regeln – abzuringen.

Dominik Schlett


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