Kolumbien: „Die UN-Mission konnte den fehlenden politischen Willen ausgleichen“
2017 gingen Bilder der Verifikationsmission der Vereinten Nationen in Kolumbien (United Nations Verification Mission in Colombia – UNVMC) um die Welt: Mehr als 7 000 Waffen nahmen UN-Mitarbeitende von ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern der FARC-Guerilla in Kolumbien entgegen. Ende 2016 war nach langem Ringen und nach rund 50 Jahren des bewaffneten Konflikts endlich ein Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung unter dem damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos und den Kämpferinnen und Kämpfer der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz FARC, in Kraft getreten. Die Bilanz des bewaffneten Konflikts mit der FARC ist verheerend: Mindestens 260 000 Menschen starben, rund 80 000 sind vermisst und sieben Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben.
Seit dem Abschluss des Friedensvertrags sind mehr als sechs Jahre vergangen und Kolumbien ringt damit, die Folgen des Konfliktes zu verarbeiten und seine Gesellschaft wieder zusammenzubringen. Ex-Präsident Santos erhielt für den Friedensvertrag den Friedensnobelpreis, wurde weltweit gefeiert. Die Vereinten Nationen sollen die Umsetzung des Friedensvertrags durch eine Verifikationsmission begleiten. Aber das Abkommen spaltete die kolumbianische Gesellschaft. Gerade dass die ehemaligen Rebellinnen und Rebellen der FARC für ihre Verbrechen weitgehend straffrei bleiben würden und es keine Gefängnisstrafen geben sollte, sorgt bei vielen Menschen vor Ort für Unmut.
Rückschläge bei der Umsetzung des Friedensabkommens
Bei den Wahlen 2018 wurde dann der rechtskonservative Präsident Iván Duque gewählt. Unter ihm kam die Umsetzung des Friedensabkommens ins Stocken. Das hatte Folgen. An vielen Stellen in dem lateinamerikanischen Land explodierte die Gewalt. Wo sich die FARC zurückzog, entstand ein Machtvakuum, gefüllt wurde das allzu oft nicht vom Staat, sondern von anderen Guerillas oder Drogenkartellen.
„Früher wussten wir wenigstens, wer in der Region das Sagen hat und an welche Regeln wir uns halten müssen“, erzählt ein Kaffeebauer aus der Cauca-Region im Süden von Kolumbien. In den vergangenen Jahren sei die Situation hingegen immer unübersichtlicher geworden. Immer wieder werden in der ländlichen Region Ausgangsperren verhängt und Bewohnerinnen und Bewohner bedroht.
In der Zeit, in der das Friedensabkommen nur zögerlich umgesetzt wurde, ist die UNVMC im Land besonders wichtig gewesen, davon ist Max Yuri Gil Ramírez überzeugt. Er ist Professor an der Universität von Antioquia und forscht zum Friedensprozess. Einige Zeit lang war er auch in der ‚Comisión de la verdad‘, der Wahrheitskommission, tätig. Die Wahrheitskommission hat bis 2022 den bewaffneten Konflikt aufgearbeitet und im vergangenen Juli ihren Abschlussbericht vorgelegt. „Die UN-Mission konnte den fehlenden politischen Willen der Regierung Duque ausgleichen“, sagt er.
Legitimität und Vertrauen, aber auch Schwierigkeiten
Aus seiner Sicht bringt die Arbeit der UN in Kolumbien verschiedene Vorteile. Einmal sei da das eigentliche Ziel der UNVMC, die Verifizierung der Umsetzung des Friedensabkommens. Es sei essenziell, dass eine unabhängige Instanz überprüfe, wie alles ablaufe. „Wichtig ist aber auch, dass die Mission dem Prozess Legitimität gibt und Vertrauen schafft“, fügt er hinzu. In einer so polarisierten Gesellschaft, wie man sie in Kolumbien aktuell vorfinde, sei das essenziell. Zusätzlich profitiere Kolumbien von der internationalen Expertise, die die Teilnehmenden der Mission aus dem Umgang mit anderen Konflikten mitbrächten.
Gil Ramírez sieht aber auch große Hürden. Zum einen sei es herausfordernd, im riesigen und oft schwer zugänglichen Gelände von Kolumbien zuverlässig Vorgänge zu überwachen und zu dokumentieren. „Besonders schwierig ist es, die Zivilgesellschaft in die Prozesse einzubinden, ohne sie in Gefahr zu bringen“, sagt Gil Ramírez. Außerdem werde die Mission zusätzlich komplexer, weil es noch immer bewaffnete Kämpfe gibt: „Der Konflikt mit den FARC ist zwar zu Ende, aber andere Gruppen kämpfen noch immer weiter“, erklärt er.
Als eine besondere Herausforderung sieht er auch die Verifizierungsmission im städtischen Raum an. „Allein hier in Medellín gibt es mehr als 350 gewalttätige, organisierte Banden“, erklärt er. Da sei es schwierig, mit Sicherheit zu sagen, wer für welches Verbrechen verantwortlich ist.
Herausforderungen für einen „Totalen Frieden“ in Kolumbien
Wenn es nach dem aktuellen, kolumbianischen Präsidenten geht, soll sich das noch in seiner Amtszeit ändern: Mit Gustavo Petro gewann im vergangenen Jahr zum ersten Mal ein linksgerichteter Kandidat. Schnell hat er klar gemacht, was sein Regierungsprojekt ist: „Paz Total“, auf Deutsch - totaler Frieden. Das bedeutet, Petro möchte mit allen verbliebenen, bewaffneten Gruppen zu einem Waffenstillstand kommen. Seien es Guerillas oder Drogenkartelle. Das ist ambitioniert: „Der Paz Total wird ein extrem komplexes Projekt“, sagt Gil Ramírez. „Die beteiligten Akteure haben sehr unterschiedliche Interessen. Manche hätten eine politische Agenda, andere seien einfach Kriminelle. Viele Expertinnen und Experten halten einen „Totalen Frieden“ aufgrund von diesen Ausgangsbedingungen auch für vollkommen utopisch.
Präsident Petro hat sich aber davon bisher nicht abschrecken lassen: Aktuell laufen Friedensverhandlungen mit der linken Guerillagruppierung Nationalen Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN). Die ELN wurde 1964 von Anhängern des argentinisch-kubanischen Revolutionärs Ernesto ‚Che‘ Guevara gegründet, heute soll sie noch rund 5 000 aktive Kämpferinnen und Kämpfer haben. Nachdem die Gespräche eher holperig gestartet waren, gab es mittlerweile schon erste Fortschritte. Im März einigten sich die Verhandelnden in Mexiko-Stadt auf einen Sechs-Punkte-Plan für Friedensgespräche.
„Ich denke, die UN können und sollten in den nächsten Monaten in Kolumbien eine wichtige Rolle spielen“, sagt Gil Ramírez. Aus seiner Sicht mache es Sinn, wenn sie auch zukünftige Abkommen des Paz Total verifizieren. Wie genau das ablaufen könne, sei aber noch völlig unklar. „Wir wissen noch nicht, wie beispielsweise ein mögliches Abkommen mit der ELN aussieht und welche Bedingungen darin gestellt werden“, meint er.
Lisa Kuner