Multilateral durchstarten: Deutschland und die Vereinten Nationen
António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN), hat in dieser Woche mit „Our Common Agenda“ einen ambitionierten Plan zur Neupositionierung der UN vorgestellt. Deutlich stärker als bislang sollen die UN drängende globale Probleme angehen sowie für globale öffentliche Güter und einen neuen Gesellschaftsvertrag eintreten, der wesentlich auf der Achtung von Menschenrechten beruht. Die nächste Bundesregierung sollte sich diesen Plan, mit dem die UN nach ihrem 75-jährigen Jubiläum eine neue Phase globaler Gemeinwohlpolitik einleiten können, zum Anlass nehmen, um die deutsche UN-Politik strategischer und kohärenter aufzustellen. Sie sollte in Ideen und Allianzen investieren, um die UN wirksam bei der Bewältigung globaler Herausforderungen nutzen zu können und sie zukunftsfähig zu machen.
Deutschland ist in einer guten Position, um multilateral durchzustarten. Das Engagement bei den UN wurde in den letzten Jahren umfangreich ausgebaut. 2016 ist die Bundesrepublik zum zweitgrößten Beitragszahler der UN aufgestiegen. Das gilt auch für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, die finanziell betrachtet den Schwerpunkt der UN ausmachen. Für einzelne Organisationen wie das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Deutschland sogar wichtigster Geber. Anders als andere Länder, die während der COVID-19 Pandemie Kürzungen vornahmen, hat Deutschland seine Beiträge deutlich angehoben und damit zu einer effektiveren multilateralen Krisenreaktion beigetragen. Die deutschen WHO-Beiträge etwa haben sich während der Pandemie fast verdreifacht. Bei anderen Entwicklungsorganisationen wie dem Kinderhilfswerk (UNICEF) gab es einen Zuwachs an besonders wertvollen Kernmitteln, die nicht an Gebervorgaben gebunden und so von UN-Organisationen flexibel einsetzbar sind.
Deutschlands Engagement bei den Vereinten Nationen wird geschätzt
Aber nicht nur wegen seines finanziellen Engagements wird Deutschland bei den UN geschätzt. Mit der Allianz für den Multilateralismus, einem Zusammenschluss gleichgesinnter Staaten, die für eine regelbasierte internationale Ordnung eintreten, hat die Bundesregierung einen wichtigen Kontrapunkt zum Unilateralismus der USA unter Donald Trump gesetzt. Beobachterinnen und Beobachter heben auch Deutschlands Beteiligung an sieben von derzeit 13 UN-Friedensmissionen hervor und ziehen insgesamt eine positive Bilanz der deutschen Sicherheitsratspräsidentschaft 2019/2020, trotz geopolitisch widriger Umstände. Dazu beigetragen haben deutliche Worte Deutschlands im Sicherheitsrat zu Menschenrechtsverletzungen durch Russland oder China. Dass bald zwei hochrangige Führungspositionen von Deutschen bekleidet werden – Achim Steiner leitet das UNDP, Gerd Müller ab Januar 2022 die UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) – zeigt, welche Wertschätzung Deutschland bei den UN erfährt. Dazu kommt, dass Deutschland sich zu einem wichtigen UN-Standort entwickelt hat. Allein in Bonn sind nunmehr 25 UN-Einrichtungen angesiedelt, während in Berlin unlängst der WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence eingeweiht wurde.
In Summe ergibt sich daraus aktuell ein beachtliches deutsches Engagement für die UN. Gleichzeitig sind die neue Rolle der Bundesrepublik und damit verbundene Handlungsspielräume noch nicht ausreichend im politischen Bewusstsein von Regierung und Gesellschaft angekommen. Der Ausbau des UN-Engagements folgte bisher keinem strategischen Ziel. Vielmehr ist Deutschland nolens volens mit weithin unkoordiniertem Agieren zu einem schwergewichtigen Akteur aufgestiegen. Angesichts zentraler Herausforderungen, die Deutschland (un)mittelbar betreffen – vom sich beschleunigenden Klimawandel zu Rückschritten in der menschlichen Entwicklung und globalen Regelungslücken –, ist es jedoch wichtiger denn je, internationale Politik strategisch zu gestalten. Angesichts wachsender geopolitischer Großmachtrivalitäten bedarf es einer proaktiven deutschen UN-Politik, die im Verbund mit der Europäischen Union und anderen gleichgesinnten Staaten globale Weichenstellungen im Sinne der von Guterres vorgelegten „Common Agenda“ mitprägt.
Klare Prinzipien statt kleinteilige Einzelabwägungen
Die nächste Bundesregierung sollte sicherstellen, dass die für UN-Organisationen und -Prozesse vorgesehenen Beiträge stabil im Bundeshaushalt verankert werden. Vor allem braucht die deutsche UN-Politik eine größere Strategiefähigkeit und mehr Kohärenz über Ministerien und Durchführungsorganisationen hinweg. Bei der Modernisierung des außenpolitischen Apparats nach dem Scheitern der Intervention in Afghanistan etwa muss die Agenda 2030 ein zentraler Referenzpunkt werden. Generell sollte sich deutsche UN-Politik von ressortübergreifenden klaren Prinzipien anstatt von kleinteiligen Einzelerwägungen leiten lassen. Außerdem sollte die nächste Bundesregierung auf eine Stärkung der UN hinarbeiten, um diese für globale Aufgaben fit zu machen. Das bedeutet vor allem, Ländern des Globalen Südens und nichtstaatlichen Akteuren effektivere Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen und UN-Organisationen durch eine Erhöhung der Kernbeiträge politisch und finanziell aufzuwerten.
Max-Otto Baumann, Sebastian Haug und Silke Weinlich, DIE
Der Text wurde am 15.09.2021 vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) als Aktuelle Kolumne veröffentlicht.