Nachhaltigkeit muss gelernt werden – Bildung für nachhaltige Entwicklung der UN
Ausgehend vom Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Jahre 2005 bis 2014 zur UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung. Mit der Vision, Werte und Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in sämtliche Bildungsbereiche zu tragen, war das Anliegen verknüpft, globale Herausforderungen verständlich aufzubereiten und didaktisch behandelbar zu machen. In der Folge entwickelten sich zahlreiche Projekte, die Themen um Nachhaltigkeit, Globalität und Verantwortung in unterschiedliche Lehr-Lernkontexte einzugliedern.
Mit der Verabschiedung der globalen Nachhaltigkeitsagenda im Jahr 2015 erhielt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) einen stärker bindenden Charakter. So war das Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (2015-2019) darauf ausgelegt, eine langfristige und strukturelle Veränderung von Bildungssystemen zu bewirken. Die Behandlung von Nachhaltigkeitsthemen sollte ihren projektartigen Charakter verlieren und dauerhaft systemisch verankert werden. In Deutschland wurde unter der Federführung des Bildungsministeriums (BMBF) das Programm schließlich umgesetzt und der ganzheitliche Anspruch der Agenda 2030, Soziales, Wirtschaft und Umwelt unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu betrachten, in den Lehrplänen verankert.
Das für den Zeitraum von 2020 bis 2030 angelegte Folgeprogramm ESD for 2030 der UNESCO macht den globalen Bezug der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) weiterhin für unterschiedliche Bildungsbereiche zugänglich und hebt die Notwendigkeit hervor, BNE noch umfassender als bereits geschehen, in Bildungssektoren weltweit zu integrieren.
Was vermittelt auf Nachhaltigkeit ausgelegte Bildung?
Ansätze und Programme der BNE versetzen Lernende in die Situation, ihr Handeln in globale Zusammenhänge einzuordnen. Im Zentrum entsprechender Bildungsangebote stehen dabei die Vernetzung von vielschichtigen globalen Herausforderungen sowie die didaktische Aufschlüsselung ihrer Wirkungs- und Funktionsweisen. Tragend ist in diesem Zusammenhang, dass Lernende aktiv und kritisch über die Konsequenzen ihres Handelns für jetzige und zukünftige Generationen nachdenken.
Übertragen auf sämtliche Gesellschaftsbereiche thematisiert BNE gegenseitige Wechselwirkungen zwischen sozial-, klima- und wirtschaftspolitischen Themen. Folglich werden Fragen zu weltweiten Formen des Ressourcenverbrauchs ebenso mit globalen Strukturen, die Armut, Terror und Flucht begünstigen, in Beziehung gesetzt, wie mit mobilitäts- und klimapolitischen Themen. Auseinandersetzung mit nachhaltigen Lebensweisen, Menschenrechten, Geschlechtergleichstellung, Digitalisierung, kultureller Vielfalt, Friedens- und Demokratieerziehung sowie der Global Citizenship Education bilden die Basis entsprechend ausgerichteter Bildungsangebote.
Nachhaltigkeit ganzheitlich lernen: Der Whole Institution Approach
Konzipiert als Whole Institution Approach (WIA) greift BNE als ganzheitlich und transformativ ausgelegte Bildung Nachhaltigkeitsthemen nicht nur in einzelnen Lernsequenzen auf, sondern überträgt sie in die gesamte Lernumgebung. Anknüpfend an die inhaltliche Weitläufigkeit von BNE fällt auch das Spektrum von möglichen Lernstätten entsprechend breit aus. In der Schule kann beispielsweise die nachhaltige Bewirtschaftung eines Schulgartens eine unterrichtliche Aufarbeitung von Biodiversität interaktiv begleiten. Die Heranführung an einen bewussteren Umgang mit Energiequellen im Schulgebäude sowie das Zurückgreifen auf regionale und fair erzeugte Bio-Produkte in Mensen können die theoretische Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen methodisch ergänzen und praxisbezogener bzw. realitätsnäher werden lassen. Die preisgekrönte Ausbildung von Lernenden zu „Ernährungsbotschaftern“ und „Energiedetektiven“ an den Berufsbildenden Schulen Uelzen oder die Entwicklung von SchülerInnenfirmen zum Verkauf von fair gehandelten Produkten am Hainberg-Gymnasium Göttingen sind beispielhaft für die starke Praxisorientierung von BNE und ihren Einfluss auf die gesamte Lehrumgebung.
Ungeachtet der jeweiligen Lernumgebung ist es gemäß des WIA von besonderer Bedeutung, dass nicht nur Lernende, sondern auch Lehrende und Verwaltungsmitarbeitende in nachhaltige Handlungsweisen und relevante Entscheidungen eingebunden werden. WIA sieht darüber hinaus Kooperationen zwischen unterschiedlichen Lernorten vor.
Die neue Bildungsdekade ESD for 2030
Das Programm „Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs“ (ESD for 2030) wurde von der UNESCO mit Beginn des Jahres gestartet. Im Dialog mit Akteuren und Akteurinnen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft hat die UNESCO dabei die Schwerpunkte für die Nachhaltigkeitsbildung der nächsten zehn Jahre festgelegt. Neben bewährten Initiativen wie dem UNESCO-Japan Preis für BNE und den fünf prioritären Handlungsfelder des Weltaktionsprogramms bezieht ESD for 2030 jedoch vor allem auch soziale, psychologische und technikbasierte Voraussetzungen von Lernenden in Bildungsansätze ein. Speziell über die unterrichtliche Behandlung von Zielkonflikten zwischen den einzelnen SDGs soll den Lernenden vermittelt werden, dass globale Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten sind und zunächst auch widersprüchlich sein können. Unter den Begriff der sogenannten Nachhaltigkeitsdilemmata fallen hierbei Themen, welche die wechselseitige Komplexität globaler Herausforderungen auf verständliche Weise deutlich machen sollen. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang die Umstellung einer auf fossilen Kraftstoffen basierenden Mobilität zu nachhaltigen Transportsystemen, die den Ausbau von Windkraftanlagen erfordert und damit wiederum die biologische Vielfalt beeinflusst. Den Lernenden zu vermitteln, dass langfristig in keinem Land der Welt wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt ohne eine wohlbehaltene Umwelt denkbar ist, aber der Schutz der Umwelt auch mit der wirtschaftlichen Sicherung von Menschen einhergeht, gliedert sich in breit angelegte Bildungsansätze von ESD for 2030 ein.
Mit der Bildungsdekade ESD for 2030 ist die UNESCO, gemeinsam mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik, einen bedeutsamen Schritt in der Verfestigung und Weiterführung von Bildungsansätzen aus dem Bereich der BNE gegangen. An der praktischen Umsetzung der Bildungsdekade wird dabei zu messen sein, wo die Welt im Jahr 2030 stehen mag. Die weltweite Bereitstellung von qualitativer Bildung, die als Bindeglied aller Nachhaltigkeitsziele fungiert, wird über weitere Entwicklungen entscheiden.
Vincent Berendes