Noch kein Pakt aber schon eine Erklärung - UN Gipfel über Flüchtlinge und Migration
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hielten die Vereinten Nationen am 19. September 2016 ein Gipfeltreffen zum Thema Flucht und Migration ab. Die 193 Mitgliedstaaten einigten sich angesichts der höchsten Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg auf die „New Yorker Erklärung“ (Originaldokument) zum Umgang mit Flüchtlingen und Migrant*innen. Diese soll einen zweijährigen Aushandlungsprozess für einen Globalen Pakt für Flüchtlinge einerseits und einen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration andererseits anstoßen. Außerdem wurde eine Deklaration unterzeichnet, um die Internationale Organisation für Migration (IOM) in den Kreis der UN-Organisationen aufzunehmen.
Kontroverse Sicht auf die Ergebnisse
Das Gipfeltreffen am Tag vor der Eröffnung der 71. UN-Generalversammlung hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Aurelie Ponthieu, Expertin für humanitäre Fragen bei Ärzte ohne Grenzen sagt z.B., dass in der Erklärung zwar „mehr Koordination, mehr Menschlichkeit und eine bessere Reaktionsbereitschaft“ gefordert würden, doch diese „hochfliegenden Ziele“ würden durch das praktische Handeln vieler teilnehmender Staaten konterkariert. „Statt die Rechte des Einzelnen zu achten und bereits bestehende Verpflichtungen einzuhalten“ wählten „viel zu viele Regierungen immer restriktivere und schädlichere Ansätze“. Die Hilfsorganisation hat einen Fakten-Check (Originaldokument) vorgelegt und befürchtet, dass der Gipfel keine Abhilfe schafft und „dass das Leiden von Millionen Menschen auch in Zukunft weitergeht".
Die Kritik ist angesichts der überschwänglichen Versprechen der Eröffnungsrede nachvollziehbar. Dort heißt es, dass die Annahme der Gipfelerklärung bedeute, dass mehr Kinder eine Schule besuchen, mehr Menschen sicher im Ausland eine Arbeit aufnehmen könnten anstatt sich in die Hände von Menschenschmugglern begeben zu müssen und künftig auch mehr Menschen die Wahl hätten, nach der Beendigung eines Konflikts wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Doch angesichts der weitgehend fehlenden konkreten Festlegungen in der Gipfelerklärung gibt es keine Anhaltspunkte, dass eine unmittelbare Verbesserung der Lage der Migrant*innen und Flüchtlinge tatsächlich zu erwarten wäre.
Dennoch setzt der Gipfel gegenüber einer weltweit zunehmend strittigen Diskussion über Flucht und Migration ein klares Zeichen, unterstreicht das Abschlussdokument doch explizit die positiven Aspekte von Migration und bekräftigt die internationalen Normen für den Schutz von Migrant*innen und Flüchtlingen. Zusätzlich hat der UN-Generalsekretär eine Kampagne zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung ausgerufen, der sich die Staaten mit der Erklärung anschließen. Die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Kinder unter den Flüchtlingen werden zudem besonders hervorgehoben. Ungeachtet des jeweiligen Status des Flüchtlingskindes versprechen die Unterstützerstaaten des Gipfeldokuments das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen.
Bei der Beurteilung der Verhandlungsergebnisse ist auch anzuerkennen, dass erstmals in der Geschichte überhaupt der Versuch unternommen wird, zu umfassenden Regelungen sowohl im Bereich Flucht als auch Migration zu kommen.
Im Bereich Migration
Nachdem es noch 2005 der vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzten Weltkommission für Internationale Migration nicht gelungen war, die Staatengemeinschaft von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die weltweite Migration eine Herausforderung ist, die von einer globalen Steuerung durch die Vereinten Nationen profitieren kann, hat das aktuelle Gipfeltreffen jetzt zwischenstaatliche Verhandlungen angestoßen. Diese sollen bis 2018 zur Verabschiedung eines Globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration führen. Dabei steht die Zielvorgabe 10.7 der 2015 verabschiedeten Nachhaltigen Entwicklungsziele im Hintergrund, „eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern“. Die Tatsache, dass die schon 2005 angestrebte Integration der Internationalen Organisation für Migration in das UN-System mit dem Gipfeltreffen vollzogen wurde, lässt erwarten, dass in den kommenden beiden Jahren noch andere Elemente einer globalen Migrationspolitik vereinbart werden können.
Im Bereich Flucht
Während für Migranti*innen, abgesehen von der im Wesentlichen nur von Entsendestaaten ratifizierten und damit wirkungslosen Wanderarbeiterkonvention, keinerlei Vereinbarungen auf der Ebene der Vereinten Nationen bestehen, ist die Situation für Flüchtlinge anders. Hier existieren bereits Schutzmechanismen, allerdings sind diese nicht umfassend genug: Während die Genfer Flüchtlingskonvention rechtsverbindlich festlegt, dass politisch Verfolgte das Recht haben, Asyl in einem anderen Land zu suchen und nicht in den Verfolgerstaat zurückgewiesen werden dürfen, bestehen für Menschen, die aus extremer wirtschaftlicher Not fliehen keinerlei und für Kriegs- und Katastrophen-Flüchtlinge nur informelle Schutzinstrumente. Hier sieht die New Yorker Erklärung ein kohärentes Handlungsmodell vor, dass in den kommenden beiden Jahren ausgehandelt werden soll: Statt der bisherigen Abhängigkeit der Flüchtlinge von humanitärer Hilfe soll ein Übergang zu Programmen und Maßnahmen erreicht werden, die den Aufnahmestaaten Anreize geben, Geflüchtete in die staatliche Bildung und Gesundheitsfürsorge zu integrieren und ihre eigene wirtschaftliche Existenzsicherung zu fördern. Zentrale Bedeutung soll eine Aufgaben- und Lastenteilung der Staaten untereinander erhalten. Verantwortung soll nicht mehr wie bisher aus geografischer Nähe zu der Fluchtsituation erwachsen, sondern sich an der jeweiligen Leistungsfähigkeit der Staaten bemessen und so zu einer gerechteren Lastenverteilung führen. An dem Thema der gerechten Lastenverteilung knüpfte auch der Redebeitrag der deutschen Bundesregierung an. Minister Müller forderte, einen UN-Flüchtlingsfonds mit 10 Milliarden Euro einzurichten.
Fazit
- Der Konsens der UN-Staaten zu den beiden oben genannten Verhandlungsprozessen war offenbar nur möglich, weil
- das neue Handlungsmodell im Flüchtlingsschutz bisher noch keine konkreten quantitativen und qualitativen Zielvorgaben enthält und
- auch noch kein konkreter Entwurf für die Verantwortungsteilung der Staaten untereinander vorliegt.
- Auch die tatsächlichen tag-täglichen Verletzungen der Flüchtlingsrechte wurden nur von wenigen Sprechern benannt. Sie werden im Abschlussdokument nicht angeprangert.
- Das Recht auf Arbeit, das die Genfer Flüchtlingskonvention verbindlich für die Flüchtlinge fordert, soll nach dem Beschlusswortlaut nur „nach Möglichkeit“ gewährt werden.
Zu kritisieren ist mit der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte auch die fehlende institutionelle Anbindung der beiden neuen Verhandlungsprozesse an die Menschenrechtsfachausschüsse und den UN-Menschenrechtsrat, die sich gerade in jüngster Zeit vielfach mit den Menschenrechten von Flüchtlingen und Migrant*innen befasst haben. Es bleibt somit eine Herausforderung für die Menschenrechtsbewegung, in den bevorstehenden Verhandlungen wirkungsvoll zu unterstreichen, dass alle Menschenrechte für alle gelten, nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger eines Staates, sondern selbstverständlich auch für alle Migrant*innen und Geflüchtete. Auch daran wird zum 50. Jubiläum des Inkrafttretens der beiden UN-Menschenrechtspakte am 16. Dezember 2016 zu erinnern sein.
Dr. Beate Wagner
Sehen Sie hier den Redebeitrag des Hochkommissars für Menschenrechte.