Non-Refoulement: Menschenrechtliches Grundprinzip in Gefahr
Der Grundsatz der Nichtzurückweisung (auch Non-Refoulement Prinzip) ist ein völkerrechtlicher Grundsatz, der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Heutzutage gilt dieser Grundsatz nicht nur für Flüchtende, sondern für alle Migranten und Migrantinnen, unabhängig von ihrem Migrationsstatus.
Seit einigen Wochen wird dieses Grundprinzip jedoch stark bedroht. Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) entschied , dass Spanien Migranten und Migrantinnen bei Grenzübertritt ohne Prozess oder Rechtsschutz umgehend zurückweisen darf. Die Situation an der griechisch-türkischen Grenze hat sich in den letzten Tagen extrem verschlechtert, seit die türkische Regierung die Grenze zum Nachbarn Griechenland öffnete, Migranten und Migrantinnen jedoch nicht von Europa aufgenommen werden. Aufgrund dessen könnten tausende Menschen in die Türkei und in andere Länder zurückgewiesen werden, wo sie unter schweren Menschenrechtsverletzungen leiden könnten. Jeder Staat hat jedoch die Pflicht, die Menschenrechte seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Menschen zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen.
Der EGMR schaut weg
Im Februar 2020 entschied die Große Kammer des EGMR, dass Spanien Kollektivausweisungen weiter ausführen darf. Damit verwarf die Kammer die Beschwerde zweier Betroffener aus Mali und der Elfenbeinküste, die im August 2014 stundenlang auf dem Grenzzaun festsaßen, bevor sie von der spanischen paramilitärischen Polizei (Guardia Civil) festgenommen und den marokkanischen Grenzbeamten übergeben wurden. Dieser Entscheidung nach darf Spanien an der Grenze zu Marokko weiter Geflüchtete, Migranten und Migrantinnen systematisch, brutal und ohne Rechtsschutzmöglichkeiten abschieben.
Die Hauptproblematik besteht in diesem Fall im Geschehen vor und nach der Grenzübertretung. Der EGMR verwies auf den spanischen Grenzposten Beni Enzar zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla, welche die zwei Betroffenen hätten nutzen müssen, um legal nach Europa einzureisen. Die Behörden verhindern aber systematisch, dass verfolgte Menschen oder Migranten und Migrantinnen die legalen Eintrittswege nach Europa nutzten können, etwa durch die Blockierung der Grenzposten oder die Abschaffung der Möglichkeit in Botschaften Asyl zu beantragen. Auf diese Weise werden Migranten und Migrantinnen gezwungen, illegal nach Europa einzureisen. Gleichzeitig hat die marokkanische Regierung in den letzten Jahren tausende Polizisten im Norden des Landes stationiert, die die zurückgewiesenen Menschen aufgreifen und in den Süden bringen, von wo aus sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Kollektivausweisungen missachten das Nichtz-urückweisungsprinzip, da kein Rechtsschutzprozess stattfindet, der sicherstellen kann, dass Migranten und Migrantinnen keinen schweren Menschenrechtsverletzungen in ihren Herkunftsländern ausgesetzt sind.
Non-Refoulement einfach erklärt
Laut der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Zurückweisung von Menschen in ein Land, in dem sie aufgrund von „Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Meinung“ der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt seien könnten, verboten.
Auch wenn das Non-Refoulement Prinzip ursprünglich in dieser internationalen Flüchtlingskonvention verankert wurde, gilt es heutzutage nicht nur für Flüchtende, sondern für alle Migranten und Migrantinnen, unabhängig vom ihrem Migrationsstatus. Außerdem wurde das Prinzip auf schwere Menschenrechtsverstöße erweitert und ist in einige der wichtigsten Menschenrechtsverträge aufgenommen worden, so die UN-Antifolterkonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Als Bestandteil des Verbots von Folter zeichnet sich das Prinzip der Nicht-Zurückweisung durch seinen absoluten Charakter aus, der Ausnahmen unter keinen Umständen toleriert.
Das Prinzip der Nicht-Zurückweisung entstand aus der Erinnerung an das Versagen der Staaten, während des Zweiten Weltkrieges Flüchtenden – nicht zuletzt den Verfolgten des Nazi-Regimes – einen Zufluchtsort zu bieten. Auch wenn dieses Prinzip gewisse Einschränkungen der staatlichen Souveränität mit sich bringt, ist es ein essenzieller Teil des internationalen Menschenrechtsschutzsystems.
Bedrohung des Non-Refoulement
Trotz der großen Bedeutung des Zurückweisungsverbotes ist dieses ständig bedroht. 2015 stellte der Menschenrechtsbericht von Amnesty International fest, dass mindestens 30 Länder, darunter Australien, die Niederlande, Russland und Saudi-Arabien, Flüchtende illegal zur Rückkehr in Länder zwangen, in welchen für diese eine mögliche akute Gefahr bestand. Dieselbe Organisation berichtete schon 2009 über die in Lampedusa eingeführte Push-back Praxis, die Flüchtlingsboote zurück über das Mittelmeer schickte. Auch die chinesische Regierung führt seit Jahrzehnten politische Flüchtlinge nach Nordkorea zurück, obwohl diesen bei ihrer Rückkehr die öffentliche Hinrichtung oder lebenslange Freiheitsstrafen drohen.
Seit einigen Wochen eskaliert die Krise an der griechisch-türkischen Grenze. Tausende Migranten und Migrantinnen warten auf der türkischen Seite, um nach Griechenland und weiter nach Europa einreisen zu können. Die griechischen Behörden reagieren auf Grenzannäherungen mit extremer Gewalt. Währenddessen entsendet die Türkei hunderte Polizisten an die Grenze, um zu verhindern, dass Griechenland Migranten und Flüchtlinge zurück in die Türkei drängt. Es besteht die Gefahr, dass diese danach nicht weiter in der Türkei verweilen dürfen, sondern in unsichere Heimat- oder Drittländer abgeschoben werden, was gegen das Prinzip der Nicht-Zurückweisung verstößt.
Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft fordern die Achtung und Durchsetzung des grundlegenden Prinzips der Non-Refoulement an der griechisch-türkischen Grenze. Nur so können schwere Menschenrechtsverletzungen verhindert werden, insbesondere das absolute Folterverbot.
Elia Jareño