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Problematische Lieferketten

Zwangsarbeit und Lagerhaft: Neue Veröffentlichungen belegen das Ausmaß der Verfolgung von Uiguren in China. Wie reagieren die Vereinten Nationen? Und wie steht es um die Gesetze, die global agierende Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zur Verantwortung ziehen sollen?

Menschen demonstrieren mit Bannern für die Freiheit der Uiguren

Uighurische Aktivistinnen und Aktivisten demonstrieren vor dem UN-Hauptquartier in New York. Foto: SFT HQ/CC BY 2.0 

Am 11. Juni 2022 forderten über vierzig unabhängige Menschenrechtsbeobachtende der Vereinten Nationen (UN) die chinesische Führung dazu auf, der „vollständigen und transparenten“ Aufklärung über Menschenrechtsverletzungen in den Regionen Xinjiang, Tibet und Hong Kong nachzukommen. Der Aufruf war eine direkte Reaktion auf die Chinareise der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet im Mai 2022. Diese war aus Sicht vieler kritischer Stimmen enttäuschend: Bachelets Mission wurde in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, während die chinesische Regierung jedes Fehlverhalten in Bezug auf die Menschenrechte abstritt. Nach der Reise wurde Bachelet international dafür kritisiert, dass sie nicht offensiv genug mit der chinesischen Führung umgegangen sei. Bachelet kündigte daraufhin an, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten.

Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung führt die chinesische Führung seit Jahren das sogenannte „De-Radikalisierungsprogramm“ durch, was als Mittel der Unterdrückung gegen die muslimische Minderheit der Uiguren im Land eingesetzt wird. Seit 2018 häufen sich diesbezüglich Berichte, die ein systematisches System der „Umerziehung“, Zwangsarbeit, sexualisierter Gewalt, umfassender Überwachung und Masseninternierung nahelegen.

Besonderes Aufsehen erregten die im Mai 2022 geleakten Akten chinesischer Behörden, die sogenannten „Xinjiang Police Files“, in denen die brutale Systematik der Internierungslager deutlich wird: Fotos zeigen grell erleuchtete, sterile Haftanstalten voller bewaffneter Beamte, die gefesselten und auf Folterstühlen fixierten Angehörigen der uigurischen Volksgruppe gegenüberstehen. Ein ehemaliger Parteichef der Region wird mit den Worten zitiert, dass Gefangene bei Fluchtversuchen erschossen werden sollten.

Menschenrechtskonform produzieren

In Deutschland und der EU wurde durch die Enthüllungen der „Xianjiang Police Files“ der Ruf nach menschenrechtskonformen Lieferketten verstärkt. Doch das ist gar nicht so leicht zu gewährleisten, denn die Begriffe der Wertschöpfungs- oder Lieferkette vereinfachen die ökonomische Realität: Oftmals handelt es sich nicht um leicht nachvollziehbare lineare Abfolgen von Produktionsschritten, sondern um netzförmige Strukturen von vor- und nachgelagerten Prozessen, Tochterfirmen und internationalen Finanzflüssen. Wie können europäische Industrie- und Handelsunternehmen, die enorme Verflechtungen mit dem chinesischen Markt haben, verpflichtet werden, auch im Ausland die Menschenrechte einzuhalten?

In Deutschland wurde ein Versuch auf den Weg gebracht: Im Mai 2021 hatte der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages das Vorgehen Chinas gegen die Minderheit der Uiguren als Völkermord eingeordnet. Im Juli 2021 wurde das deutsche „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ beschlossen, das 2023 in Kraft treten wird. Das Gesetz basiert im Wesentlichen auf den Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011, welche die menschenrechtliche Verantwortung von transnational agierenden Unternehmen untermauern.

Ab 2023 soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen kontrollieren, die mit mindestens 3.000 Mitarbeitern im Ausland tätig sind. Bei Verstößen sollen Bußgelder fällig werden.

Europäische Lieferketten

Ein Vorschlag der EU-Kommission vom Februar 2022 geht weiter als das deutsche Lieferkettengesetz,. Unternehmen sollen auf eine „wirksame Sorgfalt“ in Bezug auf Menschenrechte, die natürliche Umwelt sowie Unternehmensführung verpflichtet werden. Nicht nur die eigenen Tätigkeiten, Dienstleistungen und Produkte eines Unternehmens spielen dabei eine Rolle, sondern auch jene, die durch Geschäftsbeziehungen und Wertschöpfungsketten mit ihnen verbunden sind. Ausländische Zulieferfirmen von Rohstoffen oder Dienstleistungen fallen also ebenso darunter.

EU-Unternehmen sollen mit Geldbußen belegt werden können, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sollen gegebenenfalls vom Binnenmarkt ausgeschlossen werden können. Alle in der EU ansässigen Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten fallen unter das Gesetz, womit der Vorschlag weitaus strengere Maßgaben verfolgt, als das deutsche Lieferkettengesetz. Das EU-Lieferkettengesetz muss noch vom Europäischen Parlament und dem Rat gebilligt werden.

Auch auf UN-Ebene wird die Frage der Lieferketten weiter intensiv behandelt: Seit 2015 wird im Zusammenschluss vieler Staaten – der Treaty Allianceein internationaler Menschenrechtsvertrag verhandelt. Der Vertrag würde Regeln für globale Unternehmensaktivitäten und einen besseren Rechtsschutz für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen schaffen. Länder des Globalen Südens, deren Bevölkerung etwa bei Landnahmen oder Rohstoffabbau immer wieder die Folgen rücksichtslosen Handels transnationaler Unternehmen erfährt, setzen sich besonders für das Abkommen ein. Die letzten Verhandlungen der Treaty Alliance fanden im Oktober 2021 statt und gehen im Herbst 2022 in die nächste Runde.

Menschenrechtsverletzungen vor Gericht

Schon im Jahr 2020 wurde eine Reihe von deutschen Unternehmen bekannt, in deren Arbeitsstätten in Xianjiang Uiguren unter Bedingungen der Zwangsarbeit arbeiteten, oder die Produkte bezogen, die unter Zwangsarbeit hergestellt wurden – darunter BASF, Adidas, Fila, Mercedez-Benz, VW und Siemens. Insbesondere über die Textil- und Baumwollproduktion in Xinjiang, die 20 Prozent des Weltmarktes ausmacht, bestehen Verbindungen zu deutschen Unternehmen: Recherchender STRG_F-Reporter fanden im Mai 2021 heraus, dass unter anderem Puma und Adidas Baumwolle aus Xinjiang in ihren Produkten verwendeten und damit indirekt die Ausbeutung uigurischer Zwangsarbeiter förderten. Im weiteren Kontext der Textilproduktion läuft derzeit eine Klage des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gegen Hugo Boss, Aldi, C&A und Lidl. Laut Recherchen des Fair Finance Guide sind auch große deutsche Finanzunternehmen mit der Textilproduktion in Xianjiang verflochten, darunter die Commerzbank, die Deutsche Bank, die HypoVereinsbank sowie Allianz und AXA. Während sich eine verstärkte Aufklärung über die Rolle deutscher Unternehmen in Xinjiang registrieren lässt, bleibt offen, wie die BAFA in Zukunft gegen Missbrauch vorgehen wird.

Noch bevor das Lieferkettengesetz 2023 in Kraft tritt, setzte das Bundeswirtschaftsministerium im Mai 2022 einen Präzedenzfall in Bezug auf Xinjiang, als es die sonst üblichen Investitionsgarantien für VW in China ablehnte. Laut Minister Habeck war es das erste Mal, dass Investitionsgarantien aus menschenrechtlichen Gründen nicht zustande kamen. Er deutete außerdem an, dass gegebenenfalls weitere chinesische Funktionäre – ähnlich wie russische Oligarchen – unter Sanktionen gestellt werden könnten, sollten sie nachweisbar an Verbrechen gegen Uiguren beteiligt gewesen sein. Für die praktische Umsetzung des Lieferkettengesetzes ab dem Jahr 2023 könnte dieser Schritt eine scharfe Gangart des Ministeriums andeuten. Das wird auch davon abhängen, inwiefern ein Abbau der Abhängigkeiten vom chinesischen Markt vollzogen werden kann, da China gerade für die deutsche Industrie von entscheidender Bedeutung ist.

Von Wasil Schauseil


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