Menü

Russland und das Recht auf freie Meinungsäußerung

Anfang Februar 2022 musste das Büro der Deutschen Welle in Russland schließen. Handelte es sich dabei um eine Vergeltungsmaßnahme? Und wie reagiert die internationale Gemeinschaft auf dieses Verbot, das die russische Bekenntnis zum Recht auf freie Meinungsäußerung in neuem Licht erscheinen lässt?

Zwei Männer mit Mundschutz und eine Frau in grünem Mantel auf einem grauen Platz.

Teilnehmende des „Municipal Russia Forums“ im März 2021 in Moskau, bei dem es zu zahlreichen Festnahmen kam. (Foto: Valery Tenevoy, Free Unsplash License)

Das Jahr 2022 hat nicht gut begonnen, was das Recht auf freie Meinungsäußerung anbelangt. In China ist die Journalistin und Anwältin Zhang Zhan dem Tode nahe. Aus Protest gegen den Gerichtsbeschluss, der sie zu vier Jahren Gefängnis verurteilt hat, befindet sie sich im Hungerstreik. Ihr Vergehen: sie berichtete über den Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Wuhan. In Mexiko wurden seit Beginn des Jahres 2022 bereits fünf Journalisten ermordet, was den Ruf des Landes als eines der gefährlichsten Länder der Welt für kritischen Journalismus unterstreicht. Und die russische Regierung ordnete Anfang Februar 2022 an, das Büro des deutschen Senders Deutsche Welle in Russland zu schließen – aus Vergeltung, nachdem die Live-Sendung des russischen Senders RT in Deutschland eingestellt worden war.

DW und RT: vergleichbare Fälle?

In Deutschland unterliegt jeder Rundfunkveranstalter dem deutschen Medienstaatsvertrag (MStV). Alle Rundfunkveranstalter, die nicht nach §54 MStV von einer Lizenz befreit sind, benötigen eine Sendelizenz – und RT DE hatte keine Sendelizenz nach §52 MStV beantragt, als es im Dezember 2021 auf Sendung ging. Mit der Schließung des DW-Büros setzte Russland somit die rechtliche Verfügung, die unter dem MStV geregelt ist, mit einer politischen Entscheidung gleich. Mit anderen Worten: Russland beging eine Vergeltungsmaßnahme gegen die rechtlichen Folgen einer deutschen Norm, die  für alle Sender, unabhängig ihres Hintergrunds, gleichermaßen gelten. Zudem drohte Russland der DW damit, das „Gesetzes über ausländische Agenten“ anzuwenden. Laut diesem Gesetz wird jede Person oder Gruppe, die ausländische Gelder erhält und „gedruckte, audiovisuelle oder andere Berichte und Materialien“ veröffentlicht, grundsätzlich als „spionageähnlich“ einstuft. Die Maßnahmen gegen sogenannte ausländische Agenten können mitunter zu bis zu fünf Jahren Haft führen, wie verschiedene Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen berichten.

Diese Ereignisse wecken Zweifel daran, inwieweit Russland als verlässlicher Partner beim Einhalten internationaler Menschenrechte gelten kann, da es so leicht dazu bereit zu sein scheint, international geltende Normen und Gesetze, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, zu unterlaufen.

Die Rolle des Menschenrechtsausschusses

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Menschenrecht, das im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) festgehalten ist. Die Einhaltung dieser Rechte wird vom UN-Menschenrechtsausschuss wahrgenommen. Ende Februar 2022 kommt der Menschenrechtsausschuss für seine 134. Sitzung zusammen, dabei steht unter anderem der Staatenbericht für Russland auf der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang hat der Menschenrechtsausschuss mehrere Fragen aufgelistet, die Fälle zum Ausdruck bringen, in denen es in Russland zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein könnte. Von großer Bedeutung sind dabei Verfolgung, Gewalt und die Ermordung von Anwälten, Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Oppositionspolitikern sowie die Regulierung der Meinungsäußerung – Themen, die in Artikel 2, 6, 7, 9, 14, 17 und 19 des ICCPR geregelt sind.

Im Zusammenhang mit diesen Verstößen wurde berichtet, dass Anwälte in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit strafrechtlichen oder disziplinarischen Verfahren ausgesetzt waren und keinen Schutz erhielten, wenn sie bedroht wurden. Kritische Journalisten wurden wegen zweifelhafter Drogenvorwürfe inhaftiert, oder sogar zu psychiatrischen Untersuchungen geschickt, um Druck auf sie auszuüben. In Bezug auf die Regulierung der Meinungsäußerung musste Russland auf Vorwürfe zu Maßnahmen reagieren, die zur Erleichterung der staatlichen Kontrolle der Medien ergriffen wurden – darunter die Kriminalisierung der Beleidigung des Staates und seiner Symbole sowie das willkürliche Verbot von „Fake News“. Darüber hinaus wurde auch das „Gesetz über ausländische Agenten“ aufgeführt, das als Mittel gegen Organisationen eingesetzt wird, die einen Beitrag zur öffentlichen Debatte leisten wollen. In vielen Fällen führt die Einordnung als „ausländischer Agent“ zur Einstellung der Aktivitäten dieser Organisationen.

Wie reagiert die russische Regierung auf die Fragen des Menschenrechtsausschusses?

Die Antwort Russlands bestand aus eher knappen Ausreden angesichts der Anschuldigungen. So wurde etwa auf den Vorwurf, die Arbeit von Anwälten und Journalisten nicht zu schützen, lediglich erklärt, dass es wegen COVID-19 notwendig war, Treffen zwischen Anwälten und Angeklagten zu beschränken.

Was den Vorwurf der Kontrolle der Online-Medien angeht, so wies Russland darauf hin, dass das „Föderale Gesetz über Information, Informationstechnologien und Datenschutz“ geändert wurde, um den Zugang zu Websites, die „bestimmte Arten von Informationen“ verbreiten, leichter beschränken zu können. Unter diese „bestimmten Arten von Informationen“ fällt alles, was eine „unverhohlene Verachtung der Behörden“ beinhaltet. Anders formuliert: Jede Kritik gegen die russische Regierung kann verboten werden.

In Bezug auf das „Gesetz über ausländische Agenten“ wies Russland schließlich darauf hin, dass es keine Schranken für die Beteiligung ausländischer oder internationaler Nichtregierungsorganisationen an politischen Aktivitäten gebe, obwohl diese für unerwünscht erklärt werden können, wenn ihre Aktivitäten „eine Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung, die Verteidigungsfähigkeit oder die nationale Sicherheit der Russischen Föderation darstellen“. Zusammen mit den „Föderalen Gesetzen über Information, Informationstechnologien und Datenschutz“ gibt es somit praktisch keinen Spielraum, in dem diese Organisationen handeln können, um zu einer öffentlichen Debatte beizutragen.

Handlungsspielraum der internationalen Gemeinschaft

Die Schlussbemerkungen, die der Menschenrechtsausschuss Ende Februar 2022 nach seiner 134. Sitzung veröffentlicht, werden sich auf den Staatenbericht Russlands und die beschrieben Vorwürfe beziehen. Der UN-Menschenrechtsauschuss verfügt zwar über keine Durchsetzungsbefugnis gegen Menschenrechtsverletzungen im Sinne des ICCPR. Doch die Schlussbemerkungen sind wichtig, um Verstöße in der internationalen Gemeinschaft gegen den ICCPR festzustellen.

Auch die Erfolgsaussicht, Fälle wie das Verbot der Deutschen Welle in Russland etwa vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, ist zweifelhaft. Denn obwohl Russland Mitglied des Europarats ist, der 1998 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat, hat es Mechanismen entwickelt, um deren Resolutionen nicht einzuhalten. Ein Beispiel hierfür ist die Änderung von Artikel 79 der russischen Verfassung, indem festgelegt wird, dass jede Entscheidung eines internationalen Gremiums, die auf einem internationalen Abkommen beruht und der russischen Verfassung widerspricht, in der Russischen Föderation nicht umgesetzt wird.

Es bleibt abzuwarten, ob Russland die Absicht hat, sich an die Grundsätze zu halten, die dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder den Zielen der Vereinten Nationen zugrunde liegen. Aktuell macht es eher den Anschein, dass die russische Bekenntnis zum Recht auf freie Meinungsäußerung lediglich auf einer verwässerten, den eigenen Zielen angepassten Auffassung der Menschenrechte beruht.

Leonel Bustamante


Das könnte Sie auch interessieren