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Russland und die Vereinten Nationen: Aktuelle Bestandsaufnahme am Beispiel des Syrien-Konflikts

Russland nimmt in den Vereinten Nationen verstärkt eine Sonderrolle ein. Im Sicherheitsrat scheitern immer wieder Resolutionen zum Krieg in Syrien an russischen Vetos. Das Land nutzt sein Vetorecht dabei zur Machtprojektion und zielt durch sein Gegengewicht zu westlichen Initiativen auf die Schaffung einer multipolaren Weltordnung ab.

Der scheidende VN-Generalsekretär Ban Ki-moon mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin
Der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. (UN Photo/Mark Garten)

In letzter Zeit erregt Russland besondere Aufmerksamkeit innerhalb der Vereinten Nationen, da es mit seinen Positionen verstärkt eine Sonderrolle einnimmt. Bei der Frage der Befriedung des Syrien-Konflikts agiert Russland zunehmend konfrontativ. In den vergangenen drei Monaten legte es gleich zweimal sein Veto gegenüber Forderungen zur Beendigung der Kampfhandlungen in Aleppo ein. Inzwischen hat Russland aufgrund seiner ambivalenten Haltung im Syrien-Konflikt sogar die Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat verloren. Wie sind jene aktuellen Entwicklungen und das russische Verhalten in den Vereinten Nationen vor dem Hintergrund der Syrien-Krise einzuordnen?

Russland als Mitglied der Vereinten Nationen

Russland versteht den permanenten Sitz im Sicherheitsrat als Ausdruck seines geografischen, militärischen und politischen Gewichts in der internationalen Staatengemeinschaft. Die Veto-Macht erlaubt es der Russischen Föderation, Initiativen abzulehnen, die seinem Verständnis von Menschenrechten oder der nationalen Souveränität nicht entsprechen. Infolge der nach russischem Verständnis unverhältnismäßigen Ausweitung der Libyen-Intervention durch die NATO setzte sich Russland zunehmend gegen Initiativen zur Wehr, die auf der Norm der Schutzverantwortung basierten, und blockierte mehrfach Resolutionen, die zur Befriedung Syriens beitragen sollten. 

Sechs russische Vetos in der Syrien-Frage

Russland nutzte seit Beginn der Syrienkrise im Jahr 2011 seine Vetomacht in sechs Fällen, um Resolutionsentwürfe im Sicherheitsrat zu stoppen. Dabei bedient es sich meist der gleichen Narrative. Vor dem Hintergrund der Intervention müsse in Syrien vermieden werden, dass der Westen einen Regimewechsel erzwinge. Russland stehe für umfassenden Dialog mit Syrien, wobei die westlichen Staaten sich der Philosophie der Konfrontation verschrieben hätten. Wichtiger seien jedoch die nationale Versöhnung und die nachhaltige Bekämpfung terroristischer Gruppierungen. Sanktionen oder unilaterale Regelungen würden dem zuwiderlaufen. Russland betonte in der Erklärung seiner Vetos stets die Fundamente seiner Außenpolitik, die auf territorialer Integrität, Souveränität und Nicht-Einmischung in nationale Angelegenheiten basieren, was wiederum wie eine Belehrung des Westens verstanden werden kann.

Der russische Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Witali Tschurkin, während einer Sitzung des VN-Sicherheitsrats
Der russische Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Witali Tschurkin, während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats. (UN Photo/Cia Pak)

Das vierte Veto aus dem Jahr 2014 richtete Russland gegen die französische Initiative, den Syrienkonflikt an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen. Die Argumentation lautete dabei, dass der Westen so nur versuche, eine Begründung für militärisches Eingreifen in Syrien zu erreichen und den Konflikt nur noch weiter anheize. Der russische Vertreter im Sicherheitsrat appellierte an seine westlichen Kollegen, ihre vergebliche Politik zu beenden, die bald in einer Sackgasse münden würde und nur zur endlosen Eskalation der Syrienkrise beitragen würde. Im Herbst 2016 verstärkte sich die aggressive und konfrontative Rhetorik gegenüber den westlichen Sicherheitsratsmitgliedern, die fortan von Russland nur noch die „humanitäre Troika“ getauft wurden. Aufgrund der erbitterten Kämpfe um Aleppo wurden zwei Initiativen zur Beendigung militärischer Flüge über Aleppo sowie Angriffe auf die Stadt im Sicherheitsrat vorgestellt. Russland legte nicht nur sein Veto zu beiden Resolutionsentwürfen ein, sondern nutzte die Gelegenheit außerdem zur Verurteilung der angeblich interventionistischen Politik seiner westlichen Kollegen: Man wisse doch, was der eigentliche Plan hinter Syrien sei, denn nachdem der Westen die Zerstörung Libyens als Erfolg verbucht habe, hätte sich ebenjene Troika der drei westlichen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates Syrien zugewandt. Nach sechs russischen Vetos scheint die Diplomatie im Sicherheitsrat am Ende. Doch welche Ziele verfolgt Russland mit seiner Blockadehaltung?

Russische Beziehungen zu Syrien

Russland stellt eine der wichtigsten geopolitischen und militärischen Kräfte in Syrien dar. Schon die Sowjetunion führte traditionell freundschaftliche Beziehungen mit Syrien, erste militärische Abkommen wurden 1946 sowie 1980 geschlossen. Mit dem Amtsantritt von Putin und Assad im Jahr 2000 verbesserten sich die Beziehungen abermals. Syrien ist in mehreren Aspekten für Russland relevant: Zum einen befindet sich Russlands einzige Militärbasis mit Zugang zum Mittelmeer in Tartus im Nord-Westen Syriens. Zum anderen hat Russland eigene Sorgen mit der muslimischen Bevölkerung im Nordkaukasus und befürchtet die islamistische Radikalisierung der eigenen Bevölkerung. Außerdem gibt es einen nicht unerheblichen Anteil russischer Staatsbürger in der syrischen Bevölkerung. Russland stabilisierte das Assad-Regime daher mit Waffenlieferungen und unternahm ab Herbst 2015 auch Luftangriffe. Russland schaffte es dadurch, dass nun keine politische Lösung in Syrien ohne die Einbeziehung Moskaus erreicht werden kann. Politikwissenschaftler bekräftigen, dass die russischen Vetos im Sicherheitsrat eher als Gegengewicht zur Übermacht der USA gedacht sein dürften, als dass sie primär mit der Gestaltung der Zukunft Syriens zu tun hätten.

Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat

Aufgrund der ambivalenten Haltung in der Befriedung des Syrienkonflikts und seiner Unterstützung des Assad Regimes hat Russland seinen Sitz im UN-Menschenrechtsrat zum ersten Mal seit der Schaffung des Organs im Jahr 2006 verloren. Die Sitze im Menschenrechtsrat werden auf regionaler Basis vergeben, die Wahl der Mitglieder findet alle drei Jahre statt. Dutzende Nichtregierungsorganisationen hatten im Herbst 2016 gefordert, Russland nicht als Mitglied im Menschrechtsrat wiederzuwählen, da die russischen Luftangriffe in Syrien regelmäßig auf Zivilisten zielten und diese Kampfhandlungen nicht mit der Mitgliedschaft vereinbar seien. Russland jedoch hält daran fest, dass seine Aktionen rechtmäßig seien, da sie zur Bekämpfung des Terrorismus und auf offizielle Bitte der nach eigener Auffassung rechtmäßigen Regierung Syriens erfolgten.

Der russische Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow bei der VN-Generalversammlung
Der russische Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow bei der UN-Generalversammlung. (UN Photo/Loey Felipe)

Durchsetzung eigener Großmacht-Ansprüche

Das Beispiel der Abwahl Russlands im Menschenrechtsrat verdeutlicht, welche Sonderrolle es inzwischen in den Vereinten Nationen eingenommen hat. China hat die russischen Vetos in der Syrien-Frage zwar in fünf von sechs Fällen aus ideologischen und machtpolitischen Gründen mitgetragen, besitzt selbst jedoch kein signifikantes Interesse an dem Land. Der Großteil der übrigen UN-Mitgliedsstaaten hat weder Verständnis für den russischen Machtanspruch in der Region, noch für seine angestrebte Politik des Recht des Stärkeren innerhalb der Vereinten Nationen. Russland nutzt sein Vetorecht im Sicherheitsrat zur Machtprojektion und zielt durch sein Gegengewicht zu westlichen Initiativen auf die Schaffung einer multipolaren Weltordnung ab. Aktuell lähmt Russland die Vereinten Nationen dabei, ihrer humanitären Pflicht in Syrien nachzukommen und eine nachhaltige politische Lösung für den nun schon fast sechsjährigen Konflikt zu erreichen. Solange Russland diese Haltung vertritt, bleibt eine nicht-militärische Lösung des Konflikts ungewiss.

Russlands Streben nach einer Sonderrolle geht sogar über den Bereich der Vereinten Nationen hinaus. Erst kürzlich kündigte Moskau seinen Rückzug aus dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs an. Russland scheint sich durch seine Politik der Stärke eine bessere Verhandlungsposition bezüglich der Ukraine zu erhoffen. Es nutzt parallel dazu jede Gelegenheit, die in seinen Augen aussichtslose Position des Westens vorzuführen und ihn über das russische Verständnis von internationalem Recht aufzuklären. So bleibt abzuwarten, ob die Vereinten Nationen durch das russische Verhalten bald gänzlich paralysiert werden, oder ob Russland eine neue Strategie zur Durchsetzung seiner Großmacht-Ansprüche entwickelt. Da das Streben nach mehr Gewicht in der internationalen Staatengemeinschaft und die Konfrontation mit dem Westen aber auch innenpolitisch motiviert sind und Wladimir Putin sich damit erhofft, mehr Legitimität zu gewinnen, scheint von russischer Seite in nächster Zeit kein Einlenken in Sicht.

Text von Inger-Luise Heilmann
Der Text spiegelt die persönliche Auffassung der Autorin wider. 


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