Umweltverschmutzung vor Gericht
Soll der sogenannte Ökozid zum fünften Straftatbestand vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag werden? Die Debatte ist in vollem Gange. Bislang urteilte der IStGH neben Völkermord und Kriegsverbrechen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Verbrechen der Aggression. Was ändert sich, wenn von nun an auch der sogenannte Ökozid als fünftes Kernverbrechen international bestraft werden kann? Und was beinhaltet dieser genau?
Seit 2002 können Militärs sowie Politikerinnen und Politiker, die sich einem der vier Kernverbrechen schuldig gemacht haben, vom IStGH verurteilt werden. Der Gerichtshof bildete sich auf Grundlage der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg. Die in seine Zuständigkeit fallenden Verbrechen wurden als so gravierend empfunden, dass ihre Strafverfolgung nicht allein nationalen Gerichten überlassen werden konnte. Bewusst wurden nur die schwersten Verbrechen der Menschheitsgeschichte im Licht des Zweiten Weltkriegs und der Shoa ausgewählt.
„Ökozid“ – ein neuer Straftatbestand
Diese Liste möchte die „Unabhängige Expertengruppe für die rechtliche Definition von Ökozid“ nun um den Ökozid ergänzen. Die Expertengruppe besteht aus zwölf Juristinnen und Juristen mit Expertise in Straf-, Umwelt- und Klimarecht. Seit November 2020 erarbeitete sie über sechs Monate hinweg eine Ökozid-Definition und beriet dabei mit weiteren Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik, Jugend, Religion und indigenen Gruppen. Das Ergebnis ist die nun veröffentlichte Definition:
„Für die Zwecke dieses Statuts bedeutet „Ökozid“ rechtswidrige oder mutwillige Handlungen, die in dem Wissen begangen wurden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch diese Handlungen schwerwiegende und entweder weitverbreitete oder langfristige Umweltschäden verursacht werden.“
Die Definition nimmt Bezug auf bereits bestehendes internationales Umweltrecht, Urteile von internationalen Gerichten und Besonderheiten des Internationalen Strafgerichthofs. Generell entspricht ihr Vorschlag einem fertigen Änderungsantrag zum Statut, der in seiner Form von den Staaten direkt angenommen werden könnte. Auf eine Auflistung konkreter Handlungen, die als Ökozid interpretiert werden können, verzichtete die Expertengruppe jedoch bewusst, damit nicht manche Umweltschädigungen wichtiger erscheinen als andere.
Das Ende von Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen?
Die Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler argumentieren, die Welt müsse ihre Beziehung zum Planeten Erde in politischer und ökonomischer, aber eben auch in strafrechtlicher Hinsicht neu denken. Und in der Tat könnte ein Straftatbestand Ökozid den Internationalen Strafgerichtshof auf die Höhe der Zeit führen. Denn es sind eben nicht nur die ursprünglichen vier Kernverbrechen – die allesamt Bezug zu direkter, zwischenmenschlicher Gewalt haben – existenzgefährdend. Jede Umweltschädigung wirkt sich früher oder später auch auf menschliches Leben aus, sei es mittels lebensfeindlicher Extremwetterereignisse, Missernten oder erzwungener Flucht und Migration. Mit dem Straftatbestand Ökozid wäre schwere Umweltverschmutzung international strafbar. Das hätte nicht nur eine Abschreckungs- und damit Präventionsfunktion, sondern dient auch der Genugtuung und Gerechtigkeit für Opfer.
Diese Auswirkungen zeigen sich zwar in den meisten Fällen zeitversetzt, sodass die Täterinnen und Täter oft nicht mehr leben, wenn die Opfer die Folgen spüren. Doch der Vorschlag der Expertengruppe stellt bereits die Gefährdung der Umweltgesundheit unter Strafe – und nicht erst, wenn eine umweltschädigende Handlung Jahrzehnte später ihre schlimmsten Folgen zeigt.
Dennoch wird ein Ökozid-Straftatbestand nicht das Ende jeglicher Umweltverschmutzung bedeuten. Die Ökozid-Definition enthält sehr hohe Schwellenwerte. Es ist schließlich die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs, nur die schwersten Verbrechen zu bestrafen. Der Vergleich mit anderen Straftatbeständen verdeutlicht das sehr gut: Der IStGH bestraft nicht Mord, sondern Völkermord. Er bestraft keine aggressiven Handlungen zwischen Individuen, sondern zwischen Staaten. Und so wird er auch nicht jede Treibhausgasemission bestrafen können. Wann die Schwellenwerte erreicht sind, wird der Gerichtshof in seinen Urteilen entscheiden.
Probleme des Gerichtshofs könnten die Umsetzung erschweren
Hinzu kommen die generellen Probleme des Internationalen Strafgerichtshofs: Viele große Staaten haben den völkerrechtlichen Vertrag, auf dem der Gerichtshof basiert, nicht ratifiziert – zum Beispiel China, Russland und die USA. Sollten sich diese Staaten dem Vorwurf des Ökozids ausgesetzt sehen, könnte der UN-Sicherheitsrat den Fall zwar dennoch an den Strafgerichtshof überweisen. Das ist jedoch höchst unwahrscheinlich, weil alle diese Staaten die Überweisung mit ihrem Veto im Sicherheitsrat blockieren könnten. Auch hat der Internationale Strafgerichtshof keine eigene Polizei, mit der er Angeklagte festnehmen könnte. Er ist immer auf die Kooperation seiner Vertragsstaaten angewiesen. Hinzu kommt die Gefahr des Austritts derjenigen Staaten, die gegen die Aufnahme von Ökozid in das IStGH-Statut stimmen, sowie die Tatsache, dass der Straftatbestand gegen diese Staaten nicht angewendet werden kann (Art. 121 Absatz 5 IStGH-Statut). Somit ist fraglich, ob des Ökozids Schuldige auch wirklich strafrechtlich verfolgt werden könnten.
Der Straftatbestand Ökozid unterscheidet sich in seinem Inhalt erheblich von den anderen Kernverbrechen. Für die einen bricht der Entwurf in unangemessener Weise mit der Tradition des IStGH, für die anderen stellt er seine notwendige Modernisierung dar. Fest steht: Der Entwurf der Expertengruppe hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn einer der 123 Vertragsstaaten ihn in die Vertragsstaatenkonferenz des Gerichtshofs einbringt. Die Hoffnungen der Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler liegen dabei auf Frankreich, das den Straftatbestand bereits in seinem nationalen Recht verankerte. Wenn die nötigen zwei Drittel der Vertragsstaaten dem Entwurf zustimmen, wird es mit dem Ökozid tatsächlich einen fünften Straftatbestand vor dem Gerichtshof geben.
Von Timo Frahm