Vereinte Nationen stärken kleinbäuerliche Rechte
Seit mehr als 15 Jahren haben Diego Montón und seine Mitstreiter vom Weltverband der Kleinbauern Via Campesina auf diesen Moment hingearbeitet. Mit großer Mehrheit nahm der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen am 28. September die Erklärung für die „Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten“ an. 33 Staaten votierten dafür, 3 dagegen und 11 enthielten sich, darunter auch Deutschland. „Endlich spricht man auf höchster Ebene über Campesinos, endlich werden Kleinbauern dort als eigenes Subjekt anerkannt“, sagte der argentinische Bauer Montón zuvor bei einem Besuch in Berlin. Am 20. November beschloss auch der dritte Ausschuss der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit einen Resolutionsentwurf zu der Erklärung. Im Dezember soll dieser von der UN-Vollversammlung bestätigt werden. Damit wird die Erklärung als Resolution verabschiedet.
Warum braucht die Landbevölkerung besondere Rechte?
Menschenrechte, Rechte von Arbeiterinnen und Indigenen sind bereits in verschiedenen Übereinkommen der internationalen Gemeinschaft festgeschrieben. Das aber, so meint die Juristin Adriana Bessa, genüge nicht, um Kleinbauern und Kleinbäuerinnen effektiv vor Diskriminierung und Verfolgung zu schützen. Sie hat die Erarbeitung der Erklärung unter dem Vorsitz Boliviens seit 2012 begleitet. „Wir müssen Campesinos aus der Unsichtbarkeit holen“, so Bessa bei einer Veranstaltung in Berlin.
In der UN-Erklärung mit 28 Artikeln sind zahlreiche individuelle und kollektive Rechte für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern festgeschrieben - ein absolutes Novum. Dazu gehören das Recht auf Land, das Recht auf Saatgut, auf Selbstorganisation, Zugang zu Justiz und Souveränität bei Entscheidungen über ihre wirtschaftlichen Ziele und Ernährungsweisen.
Rechtlich bindend – und damit einklagbar - ist die Erklärung nicht. Allerdings können Gerichte sie in juristischen Konflikten zur Auslegung und Urteilsbegründung nutzen. Verfechter hoffen darauf, dass die Erklärung einen internationalen Standard setzt. Sie könnte auf lange Sicht über das Gewohnheitsrecht (das nicht über Gesetzgebung sondern über kontinuierliche Anwendung und allgemeine Akzeptanz entsteht) Wirkung entfalten. Zudem kann die Deklaration Aufmerksamkeit für die Probleme der Kleinbauern schaffen und Staaten dazu veranlassen, ihre Gesetzgebung anzupassen. Paula Gioia von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Europäischen Koordination von Via Campesina nannte die Entscheidung im Menschenrechtsrat "einen wichtigen Schritt für die Durchsetzung der Menschenrechte". Die UN-Erklärung sei ein Auftrag an die Staaten, Kleinbauern und ihre Gemeinschaften besser gegenüber Agrarkonzernen zu schützen. "Sie stärkt uns darin, die zunehmende Verdrängung von Kleinbauern zu stoppen, Landflucht zu vermeiden, das Klima zu schützen und Ernährungssouveränität zu erlangen", so Gioia.
Auf dem Land ist der Hunger am größten
Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit leben und arbeiten auf dem Land. In Folge der weltweiten Finanz- und Ernährungskrise 2007 gab der UN-Menschenrechtsrat eine Studie zum überproportionalen Hunger in ländlichen Regionen in Auftrag. Demnach macht die Landbevölkerung fast 80 Prozent all jener aus, die unter absoluter Armut leiden. Als Ursachen wurden Vertreibungen, Enteignungen, schlechte Agrarpolitiken, fehlende Mindestlöhne und die Kriminalisierung von Landbewegungen festgestellt.
Die Liste der Fälle, in denen Kleinbäuerinnen oder Landarbeiter buchstäblich um ihr Leben kämpfen, ist endlos. In Nordsumatra wurden erst kürzlich über 100 Familien von der Polizei gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für eine Palmölplantage zu schaffen. Im Rahmen der G7-Initiative „Allianz für Ernährungssicherheit“ haben Länder wie Tansania ihre Saatgutgesetze zum Schutz geistigen Eigentums angepasst. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen werden so daran gehindert, traditionelle, selbstkultivierte Samen zu kaufen und in die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen gedrängt. In Brasilien wurden nach Angaben der brasilianischen Landpastorale seit 1985 über 1800 Menschen in Landkonflikten ermordet.
Aber, so macht Paula Gioia, deutlich, beim Schutz kleinbäuerlicher Rechte gehe es nicht nur um Lateinamerika, Afrika oder Asien. Auch in westlichen Staaten drohe dieser Form der Landwirtschaft das Ende. „Hier werden die Kleinbauern zum Aufgeben gezwungen und ziehen weg.“ In Ostdeutschland etwa wird seit Jahren großflächig ehemals staatseigenes Land an Großinvestoren wie Versicherungskonzerne verkauft. „Deutschland und Europa haben eine doppelte Verantwortung“, so Gioia, „denn sie zerstören kleinbäuerliche Strukturen hierzulande, aber über ihre Handels- und Investitionspolitik auch in Ländern des globalen Südens.“
Enthaltung und Ablehnung der Industrieländer
Keines der derzeit im Menschenrechtsrat vertretenen EU-Länder stimmte für die Deklaration. Der Großteil von ihnen, darunter Deutschland, enthielt sich. Großbritannien, Ungarn sowie Australien votierten gegen die Erklärung. Auch bei der Abstimmung im dritten Ausschuss der Generalversammlung stimmte kein europäischer Staat mit Ja. Der deutsche Vertreter argumentierte im Menschenrechtsrat, dass alle wesentlichen Rechte schon in anderen Menschenrechtsabkommen festgelegt seien, diese sollten zuerst vollständig implementiert werden. Zudem kritisierte er einzelne Punkte in der Erklärung, etwa das Recht auf Saatgut.
Mehrere Nichtregierungsorganisationen, die die Erarbeitung der Deklaration eng begleitet haben, warfen der Bundesregierung in der Vergangenheit mehrfach Intransparenz und eine Blockadehaltung innerhalb der Europäischen Union vor. So seien Fragen der NGOs zur deutschen Position nicht beantwortet und EU-intern gegen Zustimmung lobbyiert worden. Zu den Sitzungen der entsprechenden Arbeitsgruppe, so erklärt Gertrud Falk von der Organisation FIAN, habe Deutschland regelmäßig Praktikanten oder Personen ohne Rederecht geschickt.
Jan Urhahn von der NGO INKOTA bezeichnet das Verhalten der Bundesregierung als Armutszeugnis. "Sie hat sich von Anfang an gegen zentrale Inhalte der Erklärung gestellt. Offenbar wollte sie damit die Interessen von Konzernen wie Bayer schützen", so Urhahn. Er fordert die Bundesregierung auf, ihre Meinung zu ändern und sich bei der finalen Abstimmung in der UN-Generalversammlung "auf die Seite der Menschen und nicht der Konzerne stellen".