Weltbevölkerungsbericht 2017: Mehrdimensionale Ungleichheit verringern

Unter dem Titel „Gespaltene Welt – Reproduktive Gesundheit und Rechte in Zeiten der Ungleichheit“ stellt UNFPA in diesem Jahr sein Plädoyer für eine dringend nötige Verbesserung der reproduktiven Gesundheit in den Zusammenhang von Inklusivität und Geschlechtergerechtigkeit. Inklusive Gesellschaften und Volkswirtschaften sind eine zentrale Vision der Agenda 2030. Die Verringerung der Ungleichheit in und zwischen Ländern ist im Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) Nr. 10 festgeschrieben, die Gleichberechtigung der Geschlechter in Ziel 5. Beide Ziele erfordern wirksame Maßnahmen, mit denen sich die Kluft in verschiedenen Lebensbereichen verringern lässt.
Armut und Ungleichheit hat viele Dimensionen
„Soziale Ungleichheit hat viele Fassetten, und jede davon ist Symptom – und Ursache – einer anderen Ungleichheit“, heißt es im diesjährigen Weltbevölkerungsbericht. Er zeigt, wie mehrfache Benachteiligungen sich gegenseitig verstärken und wie Menschen in eine Abwärtsspirale von Entbehrungen und entgangenen Möglichkeiten gezwungen werden. Zu diesem Schluss kam auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), das in seinem Bericht über die menschliche Entwicklung 2014 neue Indizes einführte, die Ungleichheiten, der Mehrdimensionalität von Armut und der Geschlechtergerechtigkeit Rechnung tragen. UNFPA greift nun den Bereich der reproduktiven Gesundheit als zentralen Ansatzpunkt heraus.
Reproduktive Gesundheit als Schlüssel
Reproduktive Gesundheit umfasst sexuelle Aufklärung, Verhütungsmethoden, Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere und fachkundige Geburtshilfe. In Entwicklungsländern und vor allem in den ärmsten Ländern beklagt UNFPA große Diskrepanzen, denn die ärmsten Bevölkerungsgruppen hätten oft deutlich weniger Zugang zu solchen Angeboten als die wohlhabenderen. Doch nicht allein die soziale Schicht sei maßgeblich. Auch zahlreiche weitere soziale, institutionelle, politische, geografische und wirtschaftliche Faktoren spielten eine Rolle.
Im Mittelpunkt steht der Begriff der „intersektionalen Ungleichheit“. Er beschreibt, dass arme Frauen, die in ländlichen Gegenden leben und über ihre Schwangerschaften nicht selbst entscheiden können, kaum in den Genuss von Bildung kommen und kaum bezahlte Arbeit finden können. „Infolgedessen werden sie Armut und Marginalisierung wahrscheinlich nicht entrinnen können“, heißt es in dem Bericht. Weitere Folgen sind mangelnde Selbstbestimmung und eingeschränkte politische Teilhabe. UNFPA räumt ein, dass zwischen den verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit zwar keine lineare Kausalität bestehe, Zusammenhänge seien aber eindeutig erkennbar.
„Das Weltwirtschaftsforum berechnet den sogenannten Global Gender Gap Index, der den unterschiedlichen Zugang von Männern und Frauen zu Ressourcen und Chancen erfasst – zum Beispiel zu Einkommen, Erwerbsbeteiligung, Bildung, Gesundheit und politischer Mitbestimmung. In 68 von den 142 Ländern, die 2016 untersucht wurden, waren die geschlechtsbedingten Unterschiede größer als im Jahr davor.“
Weltbevölkerungsbericht 2017, Kurzfassung, S. 11
Was ist zu tun?
Um den Teufelskreis der mehrdimensionalen Armut und Ungleichheit zu durchbrechen und eine generationenübergreifende Aufwärtsspirale von Armutsbekämpfung und steigenden Einkommen in Gang zu setzen, macht sich UNFPA für eine allgemeine Versorgung im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit stark.
Eine solche Versorgung müsse besonders dringend für die Menschen bereitgestellt werden, die bislang aus Kostengründen, aufgrund ihres Geschlechts oder ihres Wohnortes davon ausgeschlossen waren. Überdies müsse sie für die ärmsten und am stärksten benachteiligten 20 Prozent der Bevölkerung vorrangig ausgebaut werden.
Dass dieser Ansatz erfolgversprechend sein kann, zeigt UNFPA am Beispiel von Bangladesch, Bhutan, Kambodscha und Thailand. In diesen und einigen anderen Ländern hätten konzertierte Maßnahmen zur Verbesserung von Familienplanungsangeboten dazu geführt, dass heute nahezu die gesamte Bevölkerung Zugang zu modernen Verhütungsmitteln habe.
Eine weitere Empfehlung von UNFPA ist ein universeller sozialer Mindestschutz, der ein sicheres Grundeinkommen garantiert und lebenswichtige Dienstleistungen – einschließlich Leistungen und Unterstützung für Mütter – abdeckt.
In der Sprache der Ökonomie
Der Weltbevölkerungsbericht argumentiert schließlich ökonomisch. Eine bessere Versorgung im Bereich der reproduktiven Gesundheit sei eine Investition, die sich auch wirtschaftlich rentiere: „Investitionen in hochwirksame Maßnahmen im gesamten Bereich einer kontinuierlichen Versorgung generieren – über die gesundheitlichen Ergebnisse hinaus – zudem enorme wirtschaftliche und soziale Erträge mit einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von bis zu 1 : 8,7. Durch Investitionen lässt sich die Fertilitätsrate senken und damit das Wirtschaftswachstum eines Landes ankurbeln“, heißt es in dem Bericht. Insbesondere Investitionen in die Empfängnisverhütung generierten nachweislich maßgebliche gesamtwirtschaftliche Renditen.
Ob menschenrechtlich begründet oder zur Erzielung einer ’demografischen Dividende’ – Verbesserungen im Bereich reproduktive Gesundheit, die alle Menschen einbeziehen, sind ein wichtiger Baustein für den Erfolg der Agenda 2030. „Die inklusive Gesellschaft ist eine bewusste Entscheidung und ein Ziel, das mit einer unterstützenden staatlichen Politik und entsprechenden Gesetzen, Dienstleistungen und sozialen Normen erreichbar ist“, heißt es im Weltbevölkerungsbericht 2017.
Weitere Informationen:
Weltbevölkerungsbericht 2017: „Gespaltene Welt – Reproduktive Gesundheit und Rechte in Zeiten der Ungleichheit“ (Deutsche Kurzfassung, herausgegeben von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung - DSW), Hannover.
State of World Population 2017: Worlds Apart. Reproductive health and rights in a age of inequality (Englische Originalfassung, herausgegeben vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen - UNFPA), New York.
Daten und Fakten aus dem Weltbevölkerungsbericht 2017
Christina Kamp