Weltraumtechnik: Wie Bilder aus dem Weltall bei Katastrophen auf der Erde helfen
Am Abend des 8. Septembers 2023 erschüttert ein Erdbeben weite Teile Marokkos. Über 2 800 Menschen sterben, Häuser und Straßen werden zerstört. Damit Hilfskräfte vor Ort schnell reagieren können, braucht es Informationen zum Beispiel darüber, welche Straßen und Brücken noch befahrbar sind und wo sich noch Überlebende befinden könnten. Diese Informationen können aus dem Weltall kommen.
„Mithilfe von Satellitenbildern können wir die Lage einer Katastrophe einschätzen - und zwar auch in abgeschnittenen oder schwer zugänglichen Gebieten“, erklärt Sandro Martinis, der Leiter des Teams Naturgefahren am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). In akuten Katastrophensituationen betreibt sein Team Notfallkartierung, bei der geografische Daten, zum Beispiel durch die Erstellung von Karten, möglichst schnell generiert werden. Welche Region ist wie stark betroffen? Wie viele Personen leben dort? Ist kritische Infrastruktur beschädigt? Können Hilfsorganisationen in das Gebiet fahren? Diese Informationen unterstützen Hilfskräfte, den Einsatz zu planen.
Erdbeobachtung mit Satelliten
Erdbeobachtung ist eine der wichtigsten Aufgaben der Raumfahrt. Während Kommunikations- und Nachrichtensatelliten für Internet- und Live-Übertragungen verantwortlich sind, dienen Erdbeobachtungssatelliten der Umweltbeobachtung, Klimaforschung und Landwirtschaft. Hierbei werden verschiedene Fernerkundungssensoren wie Satelliten, Radarsysteme, Drohnen oder unbemannte Flugzeuge (Unmanned Aerial Vehicle - UAV) eingesetzt.
„Die satellitenbasierte Fernerkundung bietet flächendeckende, standardisierte und regelmäßig aktualisierte Informationen über sehr große Areale“, erklärt Martinis. Diese Technologien ermöglichen die Erfassung von Umweltveränderungen wie Deichabsenkungen, Grundwasserentnahmen oder Bergbauaktivitäten, sowie die Überwachung von Meeren, des Klimas und der Atmosphäre.
Erdbeobachtung spielt auch bei der Prävention und Frühwarnung von Naturkatastrophen eine wichtige Rolle. So können Extremwetterereignisse wie Waldbrände, Hochwasser oder Stürme bereits bei der Entstehung erkannt werden. Mithilfe von Wettersatelliten lassen sich Tiefdruckgebiete, zirkulierende Stürme oder die Entwicklung eines Hochtemperaturgebietes feststellen. „Daraus können wir abschätzen, wie hoch das Ausmaß der Naturgefahr ist und wie sie sich vermutlich weiterentwickelt. Bei Bränden können wir beispielsweise die Brandflächen extrahieren sowie aktuelle Feuer detektieren“, sagt Martinis.
Ein Faktor, der diese Prozesse zukünftig beschleunigen wird, ist die Künstliche Intelligenz, da mit ihrer Hilfe große Datensätze schneller ausgewertet werden können. Insbesondere bei der Bildanalyse wird das sogenannter Deep Learning beim DLR immer öfter verwendet. Deep Learning ist ein Teilgebiet des maschinellen Lernens, wobei Deep Learning versucht, das menschliche Gehirn zu „simulieren“, wodurch es in der Lage ist, selbständig zu lernen. Beim Deep Learning können unstrukturierte Daten wie Bilder durch das Selektieren von Merkmalen aufgenommen und verarbeitet werden. „Künstliche Intelligenz wird immer relevanter, um große Datensätze auszuwerten“, sagt Martinis.
„Alle Daten können wir nicht auswerten“
Das deutsche Satellitendatenarchiv des DLR in Oberpfaffenhofen speichert Daten Erdbeobachtungsmissionen, um sie für die Nachwelt nutzbar zu machen. Eine vollständige Auswertung ist auf Grund der hohen Anzahl an Satellitenmissionen allerdings nicht möglich. Die Erdbeobachtungsdaten des DLR werden von verschiedenen Bundesbehörden und dem Auswärtigen Amt genutzt. Auf internationaler Ebene arbeitet das DLR unter anderem mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und UN-Organisationen, wie dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme - WFP) oder der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation - WHO).
Erdbeobachtungsdaten kommen auch in den Bereichen Konfliktforschung, Migration und Klimawandel zum Einsatz und dienen als Grundlage für internationale Verträge, zum Beispiel für das Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen. „Weltraumtechnik hat es überhaupt erst möglich gemacht, den Klimawandel zu erklären“, sagt Lew Töpfer, Projektassistent für UN-Angelegenheiten beim DLR und Jugenddelegierter zur UN-Generalversammlung 2023.
Die Internationale Charta für Weltraum und Großkatastrophen
Seit 2010 ist das DLR volles Mitglied der Internationalen Charta für Weltraum und Großkatastrophen (International Charter on Space and Major Disasters). Die Charta wurde im Nachgang der Dritten Konferenz der UN über die Erforschung und friedliche Nutzung des Weltraums (UNISPACE III) 1999 initiiert. Sie setzt sich aus 17 Raumfahrtbehörden und Betreibern von Raumfahrtsystemen zusammen, die ihre nationale Erdbeobachtungsdaten austauschen. Deutsche Satelliten sind beispielsweise TerraSAR-X und TanDEM-X. Die beiden X-Band-Radarsensoren können unabhängig von atmosphärischen Bedingungen – bei Tag und Nacht, unabhängig von Wetterbedingungen oder Beleuchtung – hochqualitative Daten liefern. Dies ist besonders bei Naturkatastrophen hilfreich, die oft mit Bewölkung oder Rauchentwicklung verbunden sind.
Die Charta kann in Krisensituationen von ihren Mitgliedern, Katastrophenmanagementbehörden oder internationalen Organisationen aktiviert werden, um Zugang zu den Daten zu bekommen - und zwar kostenfrei, schnell und unbürokratisch. Fast 850 Mal ist das seit dem Jahr 2000 eingetreten. Im Fall des Erdbebens in Marokko aktivierte das Ausbildungs- und Forschungsinstitut der UN (United Nations Institute for Training and Research - UNITAR) die Charta bereits am Morgen nach dem Beben.
Die Grenzen der Weltraumtechnik
Was Erdbeobachtungssatelliten jedoch nicht können: Erdbeben vorhersagen. Außerdem hat das DLR keinen Zugriff auf Daten aus Ländern, die auf Grund von Krieg oder Unruhen auf der „Schwarzen Liste“ stehen. Problematisch ist auch, dass der Platz im All begrenzt ist. Um Unfälle zu vermeiden, werden deshalb Satelliten auf unterschiedlichen Höhen generiert und einige Umlaufbahnen freigelassen. Zudem besteht die Gefahr, dass Teile des durch Satelliten entstehenden Weltraummülls zum Beispiel in Raumfahrzeuge einschlagen. Noch gibt es dafür keine Lösung – und auch wenn Weltraumorganisationen bereits beraten, wie man Weltraumschrott einfangen kann – komplett vermeiden lässt sich der Müll nicht. Doch um auch zukünftig die Vorteile der Weltraumtechnik nutzen zu können, ist zumindest eine Regulierung der Müllbeseitigung zeitnah notwendig.
Elisa Kautzky