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„Wir kämpfen weiter“

Die kenianische Umweltaktivistin Phyllis Omido wurde im Jahr 2023 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Im Interview erzählt sie von den Herausforderungen und Gefahren ihrer Menschenrechtsarbeit – und was ihr dennoch Kraft gibt. Ein Gespräch.

Die kenianische Umweltaktivistin Phyllis Omido. Foto: David Ehl

Frau Omido, Sie sind für Ihren unermüdlichen Einsatz gegen toxische Bleifabriken in Kenia international bekannt geworden. Wie wurden Sie zur Aktivistin?

Gezwungenermaßen. Vor ein paar Jahren war ich einfach nur eine junge Frau, die im Büro einer staatlich genehmigten Bleifabrik in einem Vorort von Mombasa gearbeitet hat. Dort wurden Autobatterien eingeschmolzen. Irgendwann erkrankte mein kleiner Sohn schwer – und der Kinderarzt stellte eine Bleivergiftung fest. Ich fand heraus, dass er nicht der einzige war: die 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes Owino Uhuru, das nahe der Fabrik liegt, waren dem giftigen Blei ausgesetzt, weil in der Fabrik völlig unzureichende Schutzmaßnahmen bestanden. Sehr viele der Menschen erkrankten und starben, darunter 800 Kinder. Ich wollte die Regierung darauf aufmerksam machen, was für ein enormes Gesundheits- und Umweltrisiko diese Anlage darstellte. Schließlich hatte ich all die medizinischen Unterlagen als Beweis. Damals habe ich allerdings nicht damit gerechnet, wie vehement sich die verschiedenen Akteure dagegen wehren würden.

Konnten die Verantwortlichen der Anlage zur Rechenschaft gezogen werden?

Im Jahr 2009 gründete ich die Organisation Centre for Justice, Governance and Environmental Action (CJGEA), um als Vollzeitaktivistin für die Rechte der Menschen kämpfen zu können. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen arbeite ich nun seit über zehn Jahren am Owino-Uhuru-Fall. Eigentlich ist die Sache eindeutig: Die Rechte der betroffenen Menschen auf eine saubere und gesunde Umwelt wurden verletzt. Vor dem Gericht für Umwelt- und Landfragen waren wir zunächst erfolgreich. Wir gewannen den Fall und den Betroffenen wurden insgesamt 12 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Aber unglücklicherweise ist es gar nicht so einfach, dieses Recht durchzusetzen. Zwei staatliche Behörden legten Berufung dagegen ein – und leider handelt es sich dabei ausgerechnet um die Nationale Behörde für Umweltmanagement (National Environmental Management Authority – NEMA) und um die Behörde für Freie Exportzonen (Export Processing Zones Authority – EPZA). Eigentlich sollten diese Behörden ja dafür sorgen, dass keine Industrien nach Kenia geholt werden, die unsere Umwelt verschmutzen und die Bevölkerung krank machen. Wir haben herausgefunden, dass im Jahr 2012 in Kenia 17 Bleifabriken betrieben wurden, in denen Altbatterien aus der ganzen Welt gereinigt und dann in die Länder zurück exportiert werden, wo diese Art von giftiger Industrie längst verboten ist. Als ich das verstanden habe, hat mich diese Ungerechtigkeit erschüttert.

Wie steht es heute um den Fall?

Die 17 Fabriken mussten schließen, was ein großer Erfolg ist. Doch was die Entschädigungen anbelangt, stecken wir in einer Sackgasse: Die 12 Millionen Dollar Entschädigung wurden bis jetzt nicht ausgezahlt, weil von den staatlichen Behörden gefordert wurde, dass wir als CJGEA die Personalakten aller 3.000 Betroffenen mit Bleivergiftungen vorlegen müssen. Das ist praktisch unmöglich, einige dieser Menschen sind bereits gestorben und es würde zudem enorme Kosten verursachen. Mittlerweile sind wir bis vor das oberste Gericht Kenias gezogen.

Sind Sie zuversichtlich, dass der Fall bald beigelegt werden kann?

Unsere Argumente sind sehr stichhaltig, aber wir haben keine Unterstützung von Seiten der Regierung. Die staatlichen Behörden sind der Meinung, dass eine Entschädigung für die Gemeinde einen Präzedenzfall schaffen würde, weil andere in ähnlichen Situationen ebenfalls Entschädigungen fordern könnten. Andererseits haben wir eine recht gute internationale Sichtbarkeit. Das Hohe Kommissariat für Menschenrechte (OHCHR) hat diesen Fall von Anfang an unterstützt. Die Tatsache, dass der Fall von Seite der Vereinten Nationen (UN) beobachtet wird, trägt hoffentlich dazu bei, dass die Betroffenen zu ihrem Recht kommen.

Sie wurden zu Rate gezogen, als die UN-Resolution zur Bekämpfung unsachgemäßen Recyclings von Bleibatterien in Afrika verabschiedet wurde. Hat diese Resolution Ihre Arbeit unterstützt?

Ja, im Jahr 2017 war das. Damals haben wir zusammen mit dem deutschen Ökoinstitut in fünf afrikanischen Ländern zu Giftmüll aus Bleifabriken geforscht. Die meisten reicheren Länder verbieten das Recycling von Batterien auf ihrem Staatsgebiet. So werden die umwelt- und gesundheitsgefährdenden Folgen nach Afrika verlagert. Ich bin mir darüber im Klaren, dass Recycling betrieben werden muss. Aber es muss internationale Standards geben, nach denen die Menschen vor Ort und die Umwelt geschützt werden. Die staatlichen Behörden eines Landes müssen in der Lage sein, diese Art von Arbeit zu überwachen. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir dringend eine internationale Resolution brauchten. Wir haben viele schlaflose Nächte bei den Vereinten Nationen verbracht, um an dieser Resolution zu arbeiten. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, auch wenn sie leider verwässert wurde. Ich hätte mir eine Verpflichtung der Endverbraucher gewünscht. Wenn jemand beispielsweise in Europa Blei kauft, dass in Afrika recycelt wurde und hier die Umwelt geschädigt hat, sollte der Endkunde dafür haften müssen. Bedauerlicherweise ist dieser Aspekt nicht im Resolutionstext gelandet. Trotz allem, wir haben eine Resolution und das war ein enorm wichtiger Schritt. Seitdem versuchen wir, die UN-Mitgliedsstaaten zu überzeugen, diese Resolution in nationales Recht umzusetzen. Kenia hat das leider noch nicht getan.

Im Jahr 2023 wurden Sie mit dem sogenannten alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, dem Right Livelihood Award. Welche Auswirkungen hat die internationale Anerkennung auf Ihre Arbeit?

Mittlerweile bietet sie mir einen gewissen Schutz vor Repressionen. Als ich mit meiner Arbeit anfing, war das allerdings nicht so. Mein Team und ich mussten viele Anfeindungen, Drohungen und Übergriffe über uns ergehen lassen, weil unsere Arbeit für einige einflussreiche Menschen unbequem war. Als ich zum ersten Mal in einer Gefängniszelle schlafen musste, wurde ich die ganze Nacht von der Polizei schikaniert. Sie schrien und brüllten mich an. Ich wurde der Finanzierung einer illegalen Gruppe beschuldigt, was mit Terrorismus gleichzusetzen ist. Bis Dezember 2022 war ich deswegen vorbestraft. Im Jahr 2017 hat jemand versucht, meinen Sohn zu entführen. Zum Glück ist das gescheitert, aber stattdessen haben sie einen Jungen aus der Dorfgemeinschaft entführt. Erst, als Human Rights Watch und der UN-Sonderberichterstatter zu Giftstoffen und Menschenrechten in öffentlichen Erklärungen die sofortige Freilassung des Jungen forderten – und die Medien das Thema überall bekannt machten – wurde der Junge freigelassen. Wegen meines internationalen Profils traut sich heute wahrscheinlich kaum jemand mehr, mich persönlich anzugreifen, aber sie schikanieren die Gemeinden, mit denen ich arbeite und schüchtern die Menschen ein.

Was gibt Ihnen Kraft, trotz dieser Anfeindungen weiterzumachen?

Wie kann ich aufgeben, wenn ich sehe, dass meine Arbeit viel bewirken kann? Ich bekomme sehr viel Unterstützung. All diese Menschen geben mir Kraft. Anfangs hatte ich große Angst. Ein Jahr lang habe ich mit meinem Sohn unter dem Bett geschlafen. Ich habe das Schlimmste befürchtet. Einiges davon ist eingetreten und ich habe es überlebt. Das hat mich stärker gemacht. Jetzt fürchte ich nicht mehr um mein Leben, sondern um die Menschen, mit denen ich arbeite. Viele der betroffenen Dorfbewohnerinnen und -bewohner sind schutzlos, wenn sie dieser Art von Willkür und Gewalt ausgesetzt werden. Darum versuchen wir, sie psychologisch darauf vorzubereiten, dass Polizeigruppen ihre Meetings unterbrechen und sie womöglich bedrohen.

Wie unterstützen Sie die betroffenen Menschen in solchen Bedrohungslagen?

Wir führen Menschenrechtsschulungen durch. Denn wer seine Rechte kennt, kann nicht so leicht eingeschüchtert werden. Es ist immer wieder beglückend mitzuerleben, wie einfache Fischerinnen und Dorfbewohner für ihre Rechte eintreten, sobald sie verstehen, was ihnen zusteht. Mit denjenigen, die besonders gefährdet sind, haben wir ausgeklügelte Sicherheitsprotokolle erarbeitet. Und für den Notfall haben wir Notrufknöpfe verteilt, mit denen Hilfe gerufen werden kann.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Zurzeit ist Atomkraft ein großes Thema. Seit 2021 gibt es Pläne, Kenias erste Atomkraftwerke zu bauen. Ein Standort, der dafür im Gespräch ist, ist ganz in der Nähe: Es ist ein unberührtes Gebiet direkt am Wasser, mit Mangroven, Stränden, Delfinen. Dabei gibt es noch nicht einmal einen realistischen Plan für die Entsorgung des Atommülls – die verantwortlichen Ministerien schlagen vor, den Atommüll ins All zu schießen. Kenia hat keinerlei Kapazitäten für die Raumfahrt! Ich bezweifle sehr, dass unser Land in der Lage wäre, sichere Atomreaktoren zu entwickeln. Darum klären wir die betroffenen Gemeinden über die ökologischen und sozialen Gefahren der Atomkraft auf. Bislang ist die überwältigende Mehrheit sehr deutlich gegen das Kraftwerk. Wir haben eine Petition an den Senat geschickt, die von über 3.000 Personen unterschrieben wurde. Darin fordern wir eine unabhängige Untersuchung, warum ausgerechnet dieser unberührte Naturraum, der touristisches Potenzial hat, als Standort ausgewählt wurde. Wir kennen unsere Rechte und werden nicht zulassen, dass sie den Reaktor bauen. Wir kämpfen weiter.

 

Protokolliert von Gundula Haage

Das Interview entstand im Rahmen einer journalistischen Recherchereise nach Kenia, organisiert von journalists.network e.V.