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Arktis unter Druck

Die Arktis gilt als Hotspot des Klimawandels: Die Temperaturen steigen dort viel schneller als im globalen Durchschnitt. Der Klimawandel wirkt sich auch auf die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Arktis aus. Doch internationale Kooperationen liegen seit Russlands Angriffskrieg brach.

Im Hintergrund sind mit Schnee bedeckte Berge, im Vordergrund das arktische Meer mit Eisschollen.
Blick auf den norwegischen Teil der Arktis. (UN Photo/Rick Bajornas)

14,62 Millionen Quadratkilometer Meereis – für mehr hat es am Ende dieses Winters nicht gereicht. Die Größe des arktischen Meereises schwankt im Laufe des Jahres und zeigt am Ende des Winters seine größte Ausdehnung. Diese lag 2023 deutlich unter dem üblichen Durchschnitt von 1981 bis 2010. Nur in vier Jahren war die Ausdehnung des arktischen Meereises am Ende eines Winters noch kleiner als 2023.

Über den Sommer schmilzt das Eis auf etwa 50 Prozent seiner Winterausdehnung zusammen, bevor es im Winter wieder wächst. Doch in vergangenen Jahren ist das Meereis im Arktischen Ozean insgesamt deutlich geschrumpft. „In den letzten dreißig Jahren sind vor allem durch den menschengemachten Klimawandel etwa drei Viertel des Arktischen Meereisvolumens verschwunden“, sagt Dirk Notz vom Institut für Meereskunde an der Universität Hamburg.

Nordpolarmeer wird bis 2050 im Sommer eisfrei sein

Für das verbliebene Eis sind die Aussichten schlecht – vor allem im Sommer. 2050 könnte das Nordpolarmeer im Sommer größtenteils frei von Eis sein. „Seit Jahrzehnten wird ein solcher Eisverlust von Klimamodellen vorhergesagt, inzwischen ist der Eisschwund soweit fortgeschritten, dass wir den Verlust des Eises im Sommer kaum noch verhindern können,“ sagt Notz. Ursache für den Eisrückgang im Nordpolar ist der menschenverursachte Ausstoß an Treibhausgasen, vor allem das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas. „Pro Tonne CO2, die wir in die Atmosphäre freisetzen, schwinden etwa drei Quadratmeter Sommer-Meereis in der Arktis“, erklärt Notz

Die Arktis gilt als eindeutiges Frühwarnsystem für Klimaveränderungen auf der Erde. Nicht nur beim arktischen Meereis schlägt dieses System seit vielen Jahren Alarm. Auch die mächtige Eisschicht, die Grönland bedeckt, schmilzt. Auf der Insel findet sich die größte zusammenhängende Inlandeismasse der Nordhalbkugel, in der etwa zehn Prozent des weltweiten Süßwassers gespeichert sind. „In den letzten dreißig Jahren hat der Eisschild im Mittel in jeder Sekunde etwa 5 000 Tonnen Eis verloren“, sagt Notz. Das schmelzende Eis lasse den Meeresspiegel immer weiter ansteigen.

Arktis erwärmt sich schneller

Ausgelöst wird die Eisschmelze durch einen rapiden Anstieg der Temperaturen in der Arktis. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Temperaturen dort fast viermal so schnell gestiegen wie im globalen Mittel. Expertinnen und Experten erwarten, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird.

Die zunehmende Erwärmung der Arktis hat weitreichende Konsequenzen für die Permafrostböden: Sie drohen aufzutauen. In den Böden befinden sich riesige Mengen abgestorbener Pflanzenreste, die nicht durch Mikroben abgebaut wurden. Taut der Boden nun auf, wird das organische Material zersetzt und der Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen. Wie viele Treibhausgase dabei freiwerden, ist schwer zu beziffern. „Es wird geschätzt, dass der tauende Permafrost eine zusätzliche Treibhauswirkung bis 2050 haben wird, die ungefähr dem menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen eines einzelnen Jahres entspricht“, erläutert Notz.

Kooperation zwischen den Arktis-Anrainern beschädigt

Allerdings stockt die Forschung in der Arktis. Seit dem Überfall Russlands auf Ukraine im Februar 2022 liegen Forschungsprojekte mit Beteiligung russischer Institutionen auf Eis. „In der Wissenschaft gibt es keine Zusammenarbeit mehr mit Russland auf institutioneller Ebene“, sagt Volker Rachold vom Deutschen Arktisbüro. Forschende bekämen keine Daten mehr aus Russland. Die Daten zur Arktis seien dadurch unvollständig, weil nur noch die Hälfte des Gebietes wissenschaftlich erfasst werde.

Für die Klimaforschung hat das dramatische Folgen: Langjährige Messreihen zum Klimawandel sind nun unterbrochen. Auch Deutschland, das zu den führenden Staaten in der Arktis-Forschung gehört, hat die Kooperation mit russischen Institutionen ausgesetzt.

Zukunft des Arktischen Rats ungewiss

Das Problem ist nicht auf die Wissenschaft beschränkt. Auch die Kooperation auf zwischenstaatlicher Ebene ist eingestellt. „Der Arktische Rat ist auf internationaler Ebene seit fast 30 Jahren das führende Gremium für die Arktis. Infolge des Angriffs auf die Ukraine ist die Zusammenarbeit aber unterbrochen“, sagt Rachold. Die fünf Anrainerstaaten Dänemark, USA, Kanada und Norwegen sowie die Mitglieder Finnland, Island, und Schweden seien nicht bereit zu Gesprächen oder Sitzungen nach Russland zu reisen, das bis Anfang Mai den Vorsitz in dem Gremium innehatte.

Lösungen für das Problem wurden auch auf der Konferenz Arctic Frontiers, die Anfang Februar im norwegischen Tromsø stattfand, gesucht. „Die zentrale Frage war, wie Norwegen, das im Mai den Vorsitz übernimmt, den Wechsel angehen kann und ob [es] eine Lösung findet, damit der Arktische Rat seine Arbeit wieder aufnehmen kann“, sagt Rachold.

Ungelöste Probleme

Lange galt die Arktis als Vorzeigemodell, in der politische Spannungen durch Kooperation ausgehandelt werden konnten. Auch die Interessen der indigenen Bevölkerung sind in dem Gremium mit einem Beteiligungsrecht eingebunden. Akteure wie das UN-Umweltprogramm und das UN-Entwicklungsprogramm oder Staaten wie Deutschland haben Beobachterstatus. Ob die Zusammenarbeit innerhalb des Arktischen Rat künftig wieder gelingt, ist ungewiss und dürfte Fingerspitzengefühl erfordern. Der Rat arbeitet nach dem Konsensprinzip und basiert auf Einstimmigkeit – das heißt, auch Russland müsste mit Vorschlägen zur Weiterarbeit des Rats einverstanden sein. „Man möchte dieses Gremium auf jeden Fall wieder zum Laufen kriegen“, sagt Rachold.

Notwendig wäre es. Das schmelzende Eis weckt Begehrlichkeiten. Durch den Klimawandel werden Rohstoffe leichter zugänglich. Norwegen, das bislang zurückhaltend beim Abbau fossiler Ressourcen in der Arktis war, will aufgrund hohe Energiepreise nun Öl und Gas in der Arktis fördern. Russland beutet seit jeher entlang seiner arktischen Küste fossile Reserven aus. Die EU hat sich hingegen mit ihrer Arktisstrategie dafür ausgesprochen, dass die Öl- und Gasreserven in der Arktis unangetastet bleiben sollen.

Interesse gibt es auch an mineralischen Rohstoffen, vor allem an Seltenen Erden. Große Vorkommen werden in Grönland vermutet. „In den letzten Jahren haben mehrere Länder in Grönland die ersten Botschaften aufgemacht“, sagt Rachold. Auch die EU wolle demnächst eine Vertretung in Grönland eröffnen. Zudem wollen Handelsnationen und Reedereien verstärkt die Seeroute zwischen Atlantik und Pazifik nutzen. Das schmelzende Meereis im Sommer gibt immer häufiger den Weg für Frachtschiffe frei, sodass diese Überfahrt im Vergleich zur Route von Asien nach Europa durch den Suezkanal erheblich Zeit und Treibstoff einspart. Doch auch bei der Schifffahrt hat der Angriff Russlands auf die Ukraine Spuren hinterlassen – internationale Transite meiden die Strecke seither.

Sandra Kirchner


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