Berichte von israelischen Angriffen auf UN-Friedenstruppe in Libanon: eine völkerstrafrechtliche Einordnung
Mitte Oktober geriet die Interimstruppe der Vereinten Nationen in Libanon (United Nations Interim Force in Lebanon - UNIFIL) im wahrsten Sinne des Wortes zwischen die Fronten und vermeldete, dass einige Peacekeeper bei israelischen Angriffen verletzt und Gebäude der UN-Beobachtermission beschädigt worden seien. Die Details sind umstritten. Von Seiten UNIFILs wird der Vorwurf erhoben, es handele sich um gezielte Angriffe auf ihre Positionen. Die israelische Regierung spricht von versehentlichen Schädigungen, wirft aber zugleich UNIFIL vor, als menschliche Schutzschilde für die Hisbollah zu agieren.
Welche völkerstrafrechtlichen Grundsätze für den Fall relevant sind
Die von UNIFIL erhobenen Vorwürfe werfen die Frage auf, ob das Verhalten der israelischen Armee als Kriegsverbrechen gewertet werden könnte. Grundsätzlich gelten hier die folgenden völkerstrafrechtlichen Grundsätze:
Das Kriegsvölkerrecht gewährt Personen, Fahrzeugen und Gebäuden von friedenserhaltenden Missionen besonderen Schutz vor Angriffen durch die Konfliktparteien. Vorsätzliche Verstöße gegen diese Vorschriften können als Kriegsverbrechen strafrechtlich sanktioniert werden. So sieht beispielsweise das deutsche Völkerstrafgesetzbuch vor, dass ein solcher Angriff gegen Soldatinnen und Soldaten von UN-Friedenssicherungskräften nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 VStGB bestraft werden kann.
Das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court - ICC) sieht in Art. 8 Abs. 2 (b) (iii) für den internationalen bewaffneten Konflikt und in Art. 8 Abs. 2 (e) (iii) für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt eine Strafbarkeit derartiger Angriffe vor. Im Fall Abu Garda – Hintergrund waren Angriffen auf Soldatinnen und Soldaten des Hybriden Einsatzes der Afrikanischen Union und der UN in Darfur (UNAMID) – hat der ICC letztere Regelung zur Anwendung gebracht und die zentralen Maßstäbe erläutert. Gewisse Unklarheiten verbleiben jedoch. Insbesondere hat der ICC nicht abschließend geklärt, ob es ausreicht, wenn die angreifende Partei sicher davon ausgeht, dass neben den gezielt angegriffenen gegnerischen Truppen auch Mitglieder von UN-Friedensmissionen durch die Angriffe verletzt oder getötet werden können. Hier sprechen gute Gründe gegen eine Strafbarkeit. Sofern allerdings festgestellt werden kann, dass sich die Angriffe unmittelbar gegen UN-Friedenssicherungskräfte richten, liegt ein strafbares Verhalten auf der Hand.
Für die strafrechtliche Bewertung als Kriegsverbrechen ist ohne Bedeutung, ob die angreifende Konfliktpartei grundsätzlich berechtigt ist, kriegerische Handlungen vorzunehmen. Auch eine sich nach Art. 51 UN-Charta selbstverteidigende Konfliktpartei hat bei der Wahl der Mittel das Kriegsvölkerrecht zu achten. Das Recht zur Selbstverteidigung erlaubt keine gezielten Angriffe auf UN-Friedenssicherungskräfte. Anders wäre dies nur, wenn sich die UN-Friedenssicherungskräfte selbst aktiv an den Kampfhandlungen beteiligen und so zur Konfliktpartei würden. Bei UNIFIL liegt ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vor. Selbst wenn die Hisbollah UNIFIL-Einheiten als menschliche Schutzschilder missbraucht haben sollte, hätte dies keinen Einfluss auf den Schutzstatus der UNIFIL. Direkte Angriffe auf UNIFIL-Personal oder -Einrichtungen blieben untersagt und wären strafbar.
Wie Völkerstraftaten geahndet werden
Sollte sich herausstellen, dass es sich tatsächlich um gezielte Angriffe auf Mitglieder der UNIFIL-Mission gehandelt hat, wäre zu klären, welche Staaten zur Ahndung derartiger Völkerstraftaten befugt wären. Zuvörderst wäre hier an eine Strafverfolgung durch israelische Gerichte zu denken. Auch die Bundesrepublik Deutschland könnte nach § 1 S. 1 VStGB Ermittlungen einleiten.
Ob auch die Zuständigkeit des ICC begründet werden könnte, ist derzeit noch unklar. Dieser ist grundsätzlich (nur) zuständig, wenn die Tat auf dem Territorium oder durch Staatsangehörige eines Mitgliedstaats begangen wurden (Art. 12 Abs. 2 Rom-Statut). Weder Israel noch Libanon haben jedoch das Rom-Statut ratifiziert. Allerdings gab es Überlegungen der libanesischen Regierung, die Zuständigkeit des ICC ad hoc nach Art. 12 Abs. 3 Rom-Statut anzuerkennen. Die Ukraine hatte in der Vergangenheit ebenfalls diese Option gewählt, um Ermittlungen des ICC möglich zu machen. Ob diese Pläne von der libanesischen Regierung weiterverfolgt werden, steht jedoch in den Sternen. Eine weitere Option wäre eine Verweisung durch den UN-Sicherheitsrat – eine Möglichkeit, die in Art. 13 Rom-Statut ausdrücklich vorgesehen ist. Ein solche dürfte angesichts des Veto-Rechts der fünf ständigen Mitglieder jedoch äußerst unwahrscheinlich sein.
Mayeul Hieramente