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„Building Back Better“: Die Welt auf SDG-Kurs bringen

Mit einem „Weiter so“ ist die Welt auf dem verkehrten Dampfer, der in die falsche Richtung fährt und dabei viel CO2 in die Luft bläst. Dies machen verschiedene UN-Berichte deutlich, in denen untersucht wird, wie die Corona-Krisenpolitik auf SDG-Kurs gebracht werden kann und muss.

Auf dem richtigen Kurs für die Erreichung der SDGs? (UN Photo/Mark Garten)

Die Corona-Pandemie hat viele Bereiche der Wirtschaft massiv ausgebremst und damit der Natur, der Umwelt und den Menschen eine kleine Atempause verschafft, oft im wahrsten Sinne des Wortes. Der Rückgang der CO2-Emissionen 2020 im Vergleich zum Vorjahr wird auf vier bis acht Prozent geschätzt und könnte damit erstmals der Zielvorgabe entsprechen. Die liegt – mit oder ohne Pandemie – bei einer Verringerung um mindestens 7,6 Prozent pro Jahr, um zu verhindern, dass die Erderwärmung mehr als 1,5°C betragen wird. Nun aber müssen die Emissionen in genau dieser Größenordnung Jahr um Jahr weiter reduziert werden.

Um ihre Volkswirtschaften in der Krise zu stützen, greifen Staaten derzeit noch stärker als zuvor in die Wirtschaft ein. Damit haben sie die Chance, ihre Maßnahmen gezielt und verstärkt an den Klimazielen und an der Agenda 2030 auszurichten und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaften und der Umwelt zu stärken. Die Agenda 2030 – ein ambitioniertes Programm, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft 2015 verpflichtet hat – beschreibt, was für eine zukunftsfähige Entwicklung nötig ist. Zu den darin formulierten 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) gibt es konkrete Zielvorgaben.
 

Schwachstelle Klimaschutz

Waren vorher schon die Fortschritte bei den meisten SDGs zu gering, lassen die Auswirkungen der Corona-Krise Zweifel aufkommen, ob die Ziele bis 2030 überhaupt noch erreichbar sein werden. Besonders im Rückstand war die Welt bislang in Bezug auf die umweltbezogenen Ziele wie die Eindämmung des Klimawandels und des dramatischen Rückgangs der biologischen Vielfalt. Nun zeigt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zusammen mit Partnerorganisationen unter dem Titel “The Production Gap”, dass auch nach derzeitigem Planungsstand der Klimakrise nicht Einhalt geboten wird. 2030 würden noch immer doppelt so viele fossile Brennstoffe gefördert werden, als mit dem Klimaziel von maximal 1,5°C Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau vereinbar sei.

Um das Klimaziel zu erreichen, müsse die Kohleförderung um elf, die Erdölförderung um vier und die Erdgasförderung um drei Prozent pro Jahr zurückgefahren werden. Die Kluft zwischen der geplanten Produktion und einem zukunftsfähigen Kurs ist dramatisch und untergräbt nicht nur das Klimaziel im Kern, sondern auch viele weitere SDGs, deren Erreichbarkeit davon abhängig sein wird. Regierungen sollten Rettungspakete für die Wirtschaft auf Diversifizierung ausrichten und auf die Wende hin zu sauberen Energien mit größerem Potenzial für die Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen, sagt Ivetta Gerasimchuk, eine der Hauptautorinnen des Berichts.
 

Rückschläge bei der menschlichen Entwicklung

Auch in Bezug auf die menschliche Entwicklung besteht die Gefahr, dass viele der in den vergangenen Jahren erzielten Erfolge zunichte gemacht werden. Es droht nicht nur eine Verschärfung der Armut, sondern auch weiter zunehmende Ungleichheit. Die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) warnt insbesondere vor den Folgen für die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries - LDCs). Zum ersten Mal seit der Finanzkrise in Asien 1998 nehme die Armut weltweit wieder zu. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen könnte in Folge der Corona-Krise um 130 Millionen steigen.

Um festzustellen, ob und unter welchen Umständen es möglich ist, die SDGs trotz Krise doch noch zu erreichen, hat die Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UNDESA) in ihrem Sustainable Development Outlook 2020 verschiedene Szenarien entwickelt. Sie zeigen, dass es vor allem darauf ankommen wird, wie Regierungen, Volkswirtschaften und Gesellschaften mit der Krise und ihren Folgen umgehen. Nach dem optimistischsten der drei Szenarien ist es durchaus möglich, mit neuer Kraft weiter Fortschritte in Richtung der SDGs zu machen und die Krise sogar als Chance zu nutzen.
 

Die SDGs als Richtschnur

Maßnahmen zum Abfedern der Folgen der Krise und Investitionen in den Neustart müssen gezielt darauf angelegt werden, die SDGs zu befördern. Ein erheblicher Teil der Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft müsse in die Verringerung der Treibhausgase investiert werden, heißt es in einem Policy Brief der UNDESA. Die Gewährung staatlicher Nothilfen könnte an Investitionen in erneuerbare Energien gebunden werden. Bislang wurden in den meisten Fällen solche Chancen für mehr Klimaschutz in Rettungspaketen allerdings vertan.

Statt einer reinen Stimulation der Nachfrage, wie sie in Wirtschaftskrisen sonst üblich ist, plädiert das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dafür, besonders der zunehmenden Ungleichheit entgegenzuwirken. Dazu müssen vor allem die schwächsten Gruppen gestärkt werden. Das heißt zum Beispiel der informelle Sektor, Frauen und Migrantinnen und Migranten. Es gilt nicht einfach nur Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch die soziale Absicherung der Beschäftigten zu verbessern.

Schulschließungen beeinträchtigen die Bildungschancen von über 1,5 Milliarden Kindern und Jugendlichen. Das Kinderhilfswerk UNICEF weist unter dem Titel „Building Back Equal“ auf die besonderen Benachteiligungen von Mädchen hin und zeigt, wie in und nach der Krise ihren Rechten besser Geltung verschafft werden muss.
 

„Building back better“

Die Corona-Krise liefert wichtige Erkenntnisse, denn sie wirkt wie ein Zeitraffer und Vergrößerungsglas. In kurzer Zeit und mit großer Wucht hat sie fast alle Bereiche des menschlichen Lebens beeinträchtigt, Schäden verursacht und schnelle Lösungen gefordert. Im positiven Sinne hat sie aber auch gezeigt, welch entschlossene, ambitionierte und einschneidende Maßnahmen möglich sind, wenn der politische Wille, Vertrauen in die öffentlichen Institutionen und Solidarität in der Bevölkerung besteht. Nun gilt es, das UN-Motto „Building back better“ als doppelte Herausforderung anzunehmen – wie es UN-Generalsekretär António Guterres in einer Rede Anfang Dezember an der New Yorker Columbia University formulierte: "Die Corona-Erholung und die Reparatur des Planeten müssen die beiden Seiten ein- und derselben Medaille sein".

 

Weitere Informationen:

SEI, IISD, ODI, E3G, UNEP (2020): The Production Gap. Special Report 2020.

United Nations Development Programme (2020): COVID-19 and Human Development: Assessing the Crisis, Envisioning the Recovery. Human Development Perspectives. New York.

UNDESA (2020): Sustainable Development Outlook 2020. Achieving SDGs in the wake of COVID-19: Scenarios for policymakers.

World Meteorological Organization (2020): WMO Statement on the State of the Global Climate in 2019.

United Nations Conference on Trade and Development (2020): The Impact of the COVID-19 Pandemic on Trade and Development: Transitioning to a New Normal.
 

Christina Kamp


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