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Debatte: 50 Jahre deutsche Mitgliedschaft in den UN: Eine kritische Bilanz und ein notwendiger Ausblick

Deutschlands Rolle auf der internationalen Bühne sollten wir nutzen, um neben Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch insbesondere Steuergerechtigkeit weltweit zu fördern.

Auf einem Holzspielstände liegen Buchstabenplättchen, die TAXES buchstabieren.

(Foto: airpix/flickr/CC BY 2.0 DEED/"taxes"/cropped from original)

Gegründet als Antwort auf die unmenschlichen Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs sind die Vereinten Nationen (UN) ein entscheidendes Gremium, um globale Herausforderungen wie die Klimakrise, bewaffnete Konflikte und Armut anzugehen. Deutschland, das bereits seit 50 Jahren Mitglied der UN ist, hat eine gewichtige Rolle auf der internationalen Bühne. Dieses Gewicht sollten wir nutzen, um Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu etablieren. Dafür sind auch strukturelle Veränderungen in den globalen Wirtschafts-, Finanz- und Steuersystemen erforderlich.

Denn die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs), eine Reihe von globalen Zielen, die essentielle Aspekte wie Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz abdecken, können nur mit genügender Finanzierung erreicht werden. Um den Hunger, besonders unter dem Einfluss der Klima- und Biodiversitätskrise, zu bekämpfen, sind Investitionen in nachhaltige Agrarsysteme erforderlich. Bildung für alle erfordert Investitionen in Schulen und Universitäten. Steuereinnahmen sind die Voraussetzung für diese Finanzierung. Jeder souveräne und funktionierende Staat braucht Geld, um eine ausreichende öffentliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Indem sie umverteilen, können Steuern Gerechtigkeit und Demokratie fördern. Steuern betreffen alle Staaten und auch uns alle. Deshalb sollten alle mitsprechen und mitbestimmen.

Auf dem Weg zu mehr internationaler Steuerkooperation

Viele internationale Steuerfragen werden bilateral in Doppelbesteuerungsabkommen geregelt. Diese sind oft zu Gunsten der wirtschaftlich stärkeren Staaten des Globalen Nordens ausgestaltet. Der Abschluss bilateraler Abkommen ist außerdem kompliziert und fragmentiert. Deswegen können multilaterale Lösungen besser sein. Allerdings werden die multilateralen Normen, die derzeit existieren, von den Industriestaaten auf Ebene der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development – OECD) festgesetzt. Verhandlungen werden intransparent und ohne effektive Beteiligung von Nicht-OECD-Ländern geführt. Solche Praktiken haben zu einem internationalen Steuersystem geführt, das Ungleichheit verstärkt. Die OECD hat jüngst ein “Zwei-Säulen-Lösung” für eine fairere Unternehmensbesteuerung entwickelt. Allerdings sichert dieses Modell keine ausreichenden Besteuerungsrechte für Staaten, in denen multinationale Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen verkaufen und Umsätze erlösen. Zumal derzeit eine Einigung zu Säule 1, die eine bestenfalls begrenzte Umverteilung von Besteuerungsrechten erreichen soll, nicht sicher ist. Mehrere Studien zeigen, dass der Globale Süden kaum von dem Vorschlag profitieren würde. Die Länder des Globalen Südens sind deswegen umso entschlossener, mehr Mitsprache zu erlangen.

Ende 2022 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine wegweisende Resolution zur internationalen Steuerkooperation. Diese Resolution eröffnete einen zwischenstaatlichen Verhandlungsprozess, der auf eine universell gültige UN-Steuerkonvention abzielt. Umfassende Standards für Steuertransparenz und –zusammenarbeit sollen eingeführt werden. Statt, wie bisher, nur auf Handel und Investitionen zu schauen, sollen weitere Kriterien wie Ungleichheit, Nachhaltigkeit und Gender berücksichtigt werden. Insbesondere die Länder des Globalen Südens, geführt durch die Gruppe der afrikanischen Staaten (Group of African States) bei den UN, haben diese bahnbrechenden Fortschritte vorangetrieben. Ausgebremst wurden sie von den Staaten des Globalen Nordens. Statt dem anfangs avisierten Beschluss einer UN-Steuerkonvention wurde beschlossen, dass im ersten Schritt der Generalsekretär eine Bestandsaufnahme zur internationalen Steuerkooperation und Optionen vorbereiten sollte.

Bestandsaufnahme: Potential für mehr organisationsübergreifende Kooperation

Seit diesem Sommer liegt der Bericht des Generalsekretärs António Guterres vor. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen bei der Gestaltung von Steuerregeln der erfolgversprechendste Weg zu einer vollständig inklusiven und effektiveren internationalen Steuerkooperation ist. Der Bericht stellt drei mögliche Wege vor:

  1. Eine UN-Steuerkonvention, also ein verbindliches, multilaterales Abkommen mit regulatorischem Charakter. In diesem völkerrechtlichen Abkommen würden Grundsätze und Regeln zu internationalen Steuern festgelegt werden.
  2. Einen Rahmenvertrag zur internationalen Steuerkooperation, eine sogenannte “Framework convention”, der ein flexibleres System der internationalen Steuerführung etablieren würde.
  3. Einen unverbindlichen Rahmen für die internationale Steuerkooperation, ein sogenannter “Framework”, wobei hier die UN lediglich eine koordinierende Rolle übernehmen würden.

Der Bericht schlägt zudem konkrete nächste Schritte vor, um eine dieser Optionen umzusetzen. Die Optionen 1 und 2 wären die wirksamsten und ambitioniertesten, da sie im Gegensatz zu Option 3 verbindlich wären.

Die Initiative stößt jedoch auf Widerstand bei der Mehrheit der OECD-Mitgliedsstaaten, darunter auch die EU und Deutschland. Ihr Hauptargument ist, der Vorschlag dupliziere die bereits existierenden Strukturen auf OECD-Ebene. Doch eine Überführung oder enge Zusammenarbeit zwischen OECD und UN, ähnlich wie sie in anderen Bereichen stattfindet, ist möglich. Die EU will nun eine eigene Arbeitsgruppe schaffen, um Alternativen zu Guterres‘ Vorschläge zu suchen. Dies wird von Stakeholderinnen und Stakeholdern sowie Staaten des Globalen Südens kritisiert. Denn es behindert ihr Vorhaben für mehr Entscheidungsmacht auf UN-Ebene.

Deutschland sollte eine Vorreiterrolle in der Förderung von Steuergerechtigkeit einnehmen

Besteuerungsrechte müssen umverteilt werden, damit Unternehmen endlich auch dort Steuern zahlen, wo sie Umsätze erwirtschaften. Eine Zusammenarbeit zu Steuern auf UN-Ebene bietet die Möglichkeit, gemeinsam faire, einheitliche und ambitionierte Regeln für ein gerechtes Steuersystem weltweit einzuführen, Regulierungslücken zu schließen und Steuerflucht von Unternehmen weltweit effektiv ein Riegel vorzuschieben.

Es ist an der Zeit, dass Deutschland, die EU und andere wohlhabende Staaten ihre Haltung überdenken. Deutschland kann eine Vorreiterrolle einnehmen, indem es die Initiative unterstützt und sicherstellt, dass sie transparent, inklusiv und gerecht implementiert wird. Die Förderung von Steuergerechtigkeit stärkt damit globale Gerechtigkeit.

Der Vorschlag einer UN-Steuerkonvention ist nicht nur ein Beispiel für die Art von mutigen Entscheidungen, die wir auf UN-Ebene erwarten, sondern auch für die dringende Notwendigkeit, unsere globalen Institutionen zu stärken. Nur durch koordinierte Anstrengungen können wir die ungleichen Machtverhältnisse überwinden und eine gerechtere, nachhaltigere Welt schaffen. Es ist an der Zeit, dass wir unserer Verantwortung angesichts unserer kolonialen Vergangenheit und als eines der reichsten Länder der Welt nachkommen und uns für mehr Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen. Es ist an der Zeit, weitere strukturelle Maßnahmen zu ergreifen, um die Erreichung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung zu einer Realität werden zu lassen.

Deborah Düring, MdB

Mitglied des Finanzausschusses und Sprecherin für Entwicklungspolitik, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen


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